Die energische Agnes Wabnitz
Vor einigen Tagen war ich im Museum Prenzlauer Berg, um einen Text aufzusprechen. Ich bin zwar keine ausgebildete Sprecherin, habe aber eine recht energische Stimme, und die braucht es, wenn man die Rede der Mantelnäherin Agnes Wabnitz vor einer Versammlung ihrer Arbeitskolleginnen authentisch wiedergeben will. So stellte sie fest: „Wir Frauen sind geborene Redner“ und erntete dafür Heiterkeit und Beifall. „Wir arbeiten, wir zahlen Steuern, also verlangen wir auch die Rechte von Arbeitern und Steuerzahlern. Denn es ist erwiesen, dass wir Frauen zur Erhaltung dese Staates notwendig sind, eben wegen unserer Arbeitskraft und unserer Groschen, das Kinderkriegen nicht zu vergessen.“
Agnes Wabnitz klagte – nachdem sie die Schutzmänner im Saal spöttisch aufgefordert hatte, ruhig ordentlich alles aufzuschreiben – mit Leidenschaft und Zorn die unmenschlichen Arbeitsbedingungen für Frauen nicht nur in ihrer Branche an.
50 Pfennig für ein Lachen
Sie berichtet über die Tabakarbeiterinnenaus Frankfurt/Oder, die – wenn sie während der Arbeitszeit lachen - 50 Pfennig abgezogen bekommen. Diese Frauen verdienen pro Woche zwischen sieben und 12 Mark und dann kommt’s: „Wenn eine Frau oder ein Mädchen während der Arbeitszeit lacht, werden dort pro Lachen fünfzig Pfennige vom Lohn abgezogen. „Lacht sie also mehrmals in der Woche, hat sie sich buchstäblich totgelacht“, ruft Agnes Wabnitz und erntet Empörung in Saal.
Agnes Wabnitz (1841-1894), auf deren Grab mehr Kränze als auf dem des Kaisers lagen, gehört zu den Frauen, die in einer Wanderausstellung, die im Museum Berlin-Prenzlauer Berg ihren Anfang nimmt, den ihr gebührenden Platz bekommen wird. Sie steht unter dem Motto:
„...der Zukunft ein Stück voraus“ – Pankower Pionierinnen in Politik und Wissenschaft
Ein Projekt des Frauenbeirats Pankow
www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/gleichstellung/frauenbeirat.html
Seit einigen Jahren engagiert sich der Frauenbeirat Pankow, und besonders die Arbeitsgruppe Spurensuche, in der auch ich mitarbeite, für diese Ausstellung. Von Anfang an legten wir bei dem Vorhaben großen Wert auf Qualität – sowohl was die inhaltliche als auch was die gestalterische Umsetzung betrifft. Es sollte kein kunsthandwerkliches Provisorium werden, sondern einfach, aber gut und professionell gestaltet sein.
Für die inhaltliche Vorbereitung gewannen wir die bekannte Berliner Historikerin und Frauenforscherin Claudia von Gelieu.
Die gestalterische Umsetzung übernahm die Architektin und Designerin Hanne Sommer.
Unterstützung leistete Esther Stenkamp.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Auf 16 Fahnen wird das Leben und Wirken bekannter und weniger bekannter Frauen kurz aber prägnant vorgestellt. Darunter Regina Jonas, die weltweit erste Rabbinerin, deren Lebensweg in Auschwitz-Birkenau endete. Käthe Kollwitz ist dabei und die erste Notenbankpräsidentin der DDR, Greta Kuckhoff, Ehefrau des von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Adam Kuckhoff.
Eröffnetwird die Ausstellung am
Freitag, dem 2. Oktober, 18 Uhr in der Ausstellungshalle des Museumsverbundes Pankow, Prenzlauer Allee 227.
Dort ist sie einen Monat zu sehen und wandert dann weiter durch zahlreiche Orte im Großbezirk Pankow.
Für die Eröffnungsrede haben wir Christine Bergmann, Bundesministerin a.D. gewonnen. Es gibt auch Musik und ein geselliges Drumherum.
Kommentare 8
Respekt für Eure Arbeit!!
Dem Kommentar von meisterfalk kann ich mich nur anschließen mit dem besten Dank für den kleinen intimen Einblick in versunkene Lebenswelten aus Berlin. Das Gesicht der Ausbeutung hat sich gewandelt, aber die Ausbeutung ist geblieben , wenn ich an Sprechsklavinnen in Call-Centern und an Putzfrauen denke.
Vielen Dank. Ja, das war eine lange Fummelei, bis das Ganze auch wirklich stand. Es gibt da auch organisatorisch noch viel aktivere Frauen als mich.
@ poor on ruhr
Du hast völlig Recht, das Gesicht der Ausbeutung wandelt sich - manchmal wird es ein bisschen verschönert, aber im Grunde kommen viele Leute geschafft nach Hause.
Gestern gab es eine Meldung über France Telecom, wo sich innerhalb von 18 Monaten 23 Mitarbeiter das Leben genommen haben. Existenzangst, Frust und Verschleiß. Ist doch schlimm.
Das mit der France Telekom habe ich auch gehört.
Man fängt schon bald zu frieren an, wenn man das nur hört. Diese entsetzlichen Geschichten gibt es tausendfach. Ich habe die Zahl von ca 12.000 Suiziden p.a. als zweithäufigste Todesursache in der BRD im Kopf. Sicher sind das nicht alles Fälle wie bei der Frane Telecom mit Mobbing in der Leistungsgesellschaft, aber etwas mit unserer Gesellschaft hat das auch zu tun. Das sind nicht alles Verrückte , die sich mal so eben das Leben nehmen. Das sind aber gern verschwiegene Zahlen in der BRD in 2009.
Ich bin aber Geschichtsfan und manchmal neige ich dazu vergangene Zeiten zu idealisieren. Dein Beitrag hat mir mal wieder gezeigt, dass es für jemanden meiner durchaus nicht schlechten Herkunft aus einem Arbeiterhaushalt eigentlich niemals goldene Zeiten gab.
Lieber poor on ruhr,
nicht nur France Telekom entpuppt sich als Tunnel in eine ausweglos empfunden Lage und Falle, die die Zahl der Suizide in die Höhe treibt, die militärischen Einsätze in Afghanistan, Iraque schaffen ebenso ausweglose Lagen für Menschen mit und ohne Uniform. Die Zahl der Toten aufgrund von Suiziden ist höher als die Zahl der Toten im Kampf. Spricht das nicht Bände. Die USA veröffentlichen solche Daten über Siuzide in der US- Army, Deutschland verweigert diese Daten über Tote aufgrund von Suiziden in der Bundeswehr.
JP
Liebe Magda,
Gott soll doch auf die Frage Abrahams:
"Darf ich Dir einen Witz erzählen, der Dich zum Lachen bringt?, geantwortet haben"Okay Abraham!, erzähle mir von Deinen Plänen!".
Unternehmer fühlen sich heute noch wie Abraham beim Umsetzen ihrer Pläne durch das Lachen der Arbetnehmer/innen verhöhnt. Deshalb kostet jeder Lacher 50 Pfennig/Lach- Einheit!?
So lebt der Mensch als Lohn- Arbeitender dem lohnfernen Paradies des "Ora et Labora" entronnen auf des Messers Schneide:
Lachst du nicht, landest du verkümmert im Elend, lachst du doch, landest du auch im Elend, aber lachend.
Das ist deine Qual der Wahl 2009.
Das hört sich ja nach einem prächtig gelungenen Projekt an. Klasse!
Hier in Hamburg gibt es das urch Gassen "wandelnde Theater" Stadtgeflüster", das szenisch mit Darstellern/innen historisch interaktiv Momente beschreibt, z. B. den Moment einer Marktfrau, die an einem Markttag im Jahre 1720 spielt. Die Marktfrau erzählt, der Senat von Hamburg habe den beliebten kantor telemann eingestellt. Worauf ich einwerfe"Den Johann Sebastian Bach haben die Hamburger Pfeffersäcke nicht genommen, weil der Bach, anders als der telemann aus einer reichen Dynastie, den Einstieg in das Kantoren Amt nicht bezahlen konnte. Worauf die Marktfrau sagt:
"Pfeffersäcke aus fernen Ländern sind wichtig für unser Hamburg . Wer ist der Herr Bach? Der Herr Bach ist mir unbekannt!"
Ist euer wanderndes Museum so etwas ähnliches wie dieses Hamburger Stadtgeflüster Theater?
tschüss
JP
"Ist euer wanderndes Museum so etwas ähnliches wie dieses Hamburger Stadtgeflüster Theater?"
Ach iwo, es ist angesiedelt ganz beim offziellen Museum und recht brav. Das was Du beschreibst, ist ja Kunst. Wir machen Aufklärung.
Gruß Magda
Liebe Magda,
ach iwo!,wo laufen sie denndie Aufklärer/innen?
Liegt nicht im Kern von Kunst Aufklärung geborgen verborgen?,
warum nicht Aufklärung mit Kunst unterfüttern?
tschüss
JP