Beruf Schreiber – Nietzsche und die Schreibmaschine

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Von Schreibakten zu Schreibkräften – Potenzraub und Geschlechterkampf

Ein Schreiber – können Sie sich noch vorstellen, was das bedeutet? Ganz früher war das ein Mönch der vor einem Pergament sitzt und die heilige Bibel abschreibt, das Wort immer und immer wieder fortzeugend. Und etwas später dann- da sitzt einer, ehrenvoll mit Ärmelschoner und hält den Federkiel in der Hand. Die Bedeutsamkeit ist schon im Wort „Schreibakt“ mit enthalten. Schreibakt –Potenz – natürlich schöpferische Potenz.

Zu vorangeschrittenen Zeiten auf dem Weg zu effektiveren Schreibwerkzeugen hält der Protagonist einen Federhalter in der Hand. Vielleicht ist er zu diesen Zeiten schon vom Stehpult an den bequemeren Schreibtisch gewechselt. Er steht nicht mehr so gern, der Schreiber, er wird bequem. Aber Bedeutung hat er noch, er verkörpert sie geradezu, da ist es erst mal gleich was er schreibt.

Wenn derSchreiber das, was er aufschreibt auch noch selbst erdacht und geschaffen hat – da hat man dann das Nonplusultra. Eine wichtige handwerkliche Tätigkeit, mit einem kreativen Inhalt verbunden. So ist es richtig und gut.

Warum diese Würdigungsadresse an die Schreiberei? Weil natürlich auch das Schreiben als triviales Handwerk dem Ansturm moderner Zeiten ausgesetzt war und ist. Und nicht zuletzt, weil das Rad der Geschichte sich auch in der Art, wie Texte aller Art oder - künstlerischer - Lyrik und Prosa zu Papier gebracht werden, dreht und dreht und manches unter sich begräbt.

Was war das zum Beispiel für eine völlig neue und fremde Zeitumdrehung, als die Welt der Comptoirs – eine Männerwelt – sich in die der Schreibkräfte (weiblich) wandelte. Schreibkraft gegen Schreibakt – das klingt doch nach Potenzraub.

Wie komme ich darauf? Ganz einfach weil es eine interessante Arbeit gibt „Nietzsche und die Schreibmaschine“, in welcher der Sachverhalt, dass Friedrich Nietzsche ab dem Jahr 1882 gezwungen war, sich dieser Maschine zu bedienen, eine besondere Würdigung erfährt, also speziell interpretiert wird. Und es wird auf eine entsprechende Veröffentlichung verwiesen.

www.stephan-guenzel.de/Texte/Guenzel_Nietzsche-SM.pdf

(Friedrich Nietzsche, Schreibmaschinentexte. Vollständige Edition. Faksimiles und kritischer Kommentar, hg. v. Stephan Günzel und Rüdiger Schmidt-Grépály, zweite, verbesserte Auflage, mit einem Nachwort zur zweiten Auflage von Friedrich Kittler, Weimar 22003 [2002)

Stephan Günzel, der Autor der Arbeit, stellt hochinteressante Überlegungen an über die Auswirkungen, die der Wechsel zu dieser – als eine Art Prothese erlebten Schreibhilfe - auf die Schreibweise des Philosophen hatte. Und allerlei Einsprengsel aus der Genderforschung lassen sich ebenfalls finden. Dass für Frauen die Schreibmaschine der Weg in die von Männern dominierte Sphäre der Schreiber oder Sekretäre war, wurde schon erläutert.

Dass die Männer in den Schreibstuben des 19. Jahrhundert vom industriellen Wandel respektive seinem emanzipatorischen Potential überrascht wurden und dies als Angriff auf ihre Potenz erlebten, wird beleuchtet.

Allerdings: auch ohne Schreibmaschine begannen Frauen in Universitäten, der Politik und auch der Literatur zu schreiben.

Mit der Maschine ging die männliche kulturelle Vormachtstellung verloren. Verloren ging aber auch etwas, das wir auch in der Gegenwart beklagen. Die eindeutige Handschrift, die in ihrer besondern Form die Einzigartigkeit des Gedankens spiegelte. Auch sie verlor ihren Status als Repräsentation des individuellen Gedankens, meint der Autor und referiert die Diagnose von Philosophen, nach der das Schreiben mit beiden Händen jedem Anspruch auf Geschlossenheit des Sinns und der Totalität des Gedankens widersprochen habe. Er zitiert z.B. Heidegger, nach dessen Ansicht in der Maschinenschrift alle Menschen gleich aussehen.

Spannende einzelne Betrachtungen werden in der kleinen Arbeit angestellt. Zum Beispiel über den männlichen Widerstand gegen die maschinelle Umsetzung von Worten auf Papier.

Sehe man es psychoanalytisch, so sei das Festhalten an der Idee, nur der kontinuierliche Fluss der Tinte aus dem einen Schaft der Schreibfeder könne Geist ins Papier bringen, ein im wahrsten Sinne des Wortes Ausfluss männlicher Machphantasien, so eine Diagnose des Autors.

Wie auch immer. Nietzsche musste sich dieses ungeliebten Hilfsmittels bedienen, schrieb auch – so der Autor – anders als vorher mit der Hand. Vornehmlich Briefe sind es, die erhalten sind, wovon es faksimilierte Beispiele gibt.

Aber auch die Modelle der Schreibmaschinen, die er verwendet hat, werden betrachtet. Ein lehrreicher kleiner Exkurs, den man mal so schnell im Internet verfolgen kann.

Übrigens. Was hätte Nietzsche bloß mit dem Computer verbunden, fragt man sich als Leserin solcher interessanter Forschungsergebnisse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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