Blick aus der Zukunft auf vergangene Hoffnung

Ein bewegender Film Kürzlich habe ich mir mit drei Berliner Facebook-Freunden den Film "Und der Zukunft zugewandt" angesehen. Ein Abend der Diskussion und Nachdenklichkeit

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Als 1989/ 1990 der Lebensbericht von Trude Richter (auch: Erna Barnick) – noch in der DDR – erschien, wurde das als ein deutliches Zeichen der Liberalisierung und Öffnung hierzulande wahrgenommen. „Totgesagt“ heißt ihr Buch. Darin berichtet sie über ihre langen Jahre in sowjetischen Straflagern. Sie berichtet, wie sie und ihr Lebensgefährte Hans Günther im Jahr 1936 – aus nicht mehr heiterem sondern von Verdächtigungen und Angst verdüstertem Himmel – nachts verhaftet wurden, wie sie hofften, dass mit dem Besuch Lion Feuchtwangers in der Sowjetunion, ein Anwalt und Zeuge ihrer Unschuld sich für sie einsetzen würde und wie sie und ihr Lebenspartner sich dennoch schworen. „Der Sache bleiben wir treu“.

Artikel 58, Punkt 10

Sie sitzt monatelang in einer Massenzelle des Butyrka-Gefängnisses und trifft dort auf die Ehefrau des Schriftstellers Ernst Ottwalt, später auch kurz auf die Schauspielerin Carola Neher. Die Anklage gegen sie erfolgt laut dem berüchtigten Artikel 58, Punkt 10 – konterrevolutionäre trotzkistische Tätigkeit – und sie wird zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Abe, sie wird lange in Kolyma und anderen Orten bleiben, bis sie nach zwanzig Jahren endlich zurückkehren kann in die sozialistische DDR, allerdings mit der Order, über ihre Erlebnisse zu schweigen.

Ihr Schicksal und das vieler anderer deutscher Kommunisten, die in der Sowjetunion Schutz gesucht hatten und auf gnadenlose Rechtlosigkeit stießen, dem großen Terror ausgeliefert – manchmal aber auch an Hitlers Nazireich – war die Grundlage für den hervorragenden Film Und der Zukunft zugewandt, den ich mir gestern mit Facebook-Freunden im Berliner Kino Blauer Stern ansah. Er verfolgt den Weg von Antonia Berger, überwältigend gespielt von Alexandra Maria Lara, aus einem sowjetischen Straflager, wo sie 12 Jahre unschuldig verbrachte, zurück in die DDR in ihren Anfängen der 1950er Jahre.

Es ist ein Schicksal, wie es u. a. auch Trude Richter beschreibt, aber das auch der Ehefrau von Erich Mühsam „Zenzl“ Mühsam widerfuhr, die noch in der Verbannung lebte, als zu Ehren ihres Mannes schon eine Straße in Ostberlin nach ihm benannt wurde. Auch Swetlana Schönfeld, die im Film die Mutter von Antonia Berger spielt, ist in der sowjetischen Verbannung geboren, wo ihre eigene Mutter inhaftiert war und ihr Vater starb.

Sozialistischer Aufbau mit neuen Zwängen

Der Film ging uns allen nah, gerade weil er nicht verurteilt, anprangert oder schwarz-weiß argumentiert. Deutlich werden die Beweggründe von Menschen und Funktionären, deutlich wird, dass sich neben vielen Opportunisten, auch Menschen mit heißem Herzen am sozialistischen Aufbau beteiligen wollten und dafür neue Lügen, neue Zwänge und neues Unrecht für vertretbar hielten.

Zwei Opfer begegnen sich

Als Antonia Berger in der DDR erneut in Haft gerät, weil sie sich nicht an das unterschriebene Schweigeverbot hält, trifft sie auf einen Vernehmer, der nach ihrer Aussage, sie habe 12 Jahre unschuldig in einem sowjetischen Straflager verbracht, voll Zorn auf seine Beinprothese zeigt, und erklärt, sein Bein habe er in einem Lager nicht weit von Weimar verloren, bei ärztlichen Versuchen, wie lange ein Mensch den Schmerz aushält, das sei ein Lager gewesen, nicht das wo sie herkomme.

Unter den kommunistischen Offiziösen der deutschen Ostzone fehlt es gewiß nicht an subalternen, streberischen, gewaltlüsternen Tyrannen.

Aber ich habe in Gesichter geblickt, denen ein angestrengt guter Wille und reiner Idealismus an der Stirn geschrieben steht. Gesichter von Menschen, die achtzehn Stunden täglich arbeiten und sich aufopfern, um zur Wirklichkeit zu machen, was ihnen Wahrheit dünkt, und in ihrem Bereich gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die, wie sie sagen, einen Rückfall in Krieg und Barbarei verhindern sollen.

(Thomas Mann im Jahr 1949 an einen schwedischen Journalisten.)

Antonia Berger im Film bleibt trotz allem weiter in der DDR, so wie Trude Richter, die Anfang 1989 starb.

Andere gehen in den Westen wie eine Mitgefangene - und diskutieren anderswo die Frage „ob der Zweck die Mittel heiligt“ und ob das Sozialismus ist.

Deutlich wird, dass die Kraft zum Überleben sich aus verschiedenen Quellen speiste. Bei Trude Richter, so scheint es, kam sie aus dem ungebrochenen Glauben an die Richtigkeit der sozialistischen Sache. Andere wieder – wie die russische Schriftstellerin und GULAG-Insassin Ewgenija Ginzburg - sahen die Erlebnisse und ihr Schicksal als Weg in die Wahrheit und die Verpflichtung Zeugnis abzulegen von der unglaublichen Unmenschlichkeit, die sie erlebten. All dies fand statt in einem Land, das die Menschen besangen: "Denn es gibt kein anderes Land auf Erden, wo das Herz so frei dem Menschen schlägt".

Christa aus unserer kleinen Gruppe kannte das Lied noch und sogar auf Russisch. Stellenweise konnte ich bei unserem kleinen Umtrunk danach einstimmen. Wir haben es in der Schule gelernt – ein Lied, das mich immer anrührte, aber heute aus ganz anderen Gründen als früher.

Wir sprachen nach dem Film noch lange: Über Glaubenslehren, über Hoffnungen, über Gnadenlosigkeiten und über grandiose Schauspielkunst auch.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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