Hier wird gemeldet, wie katastrophal die Arbeitsbedingungen beim Meinungsforschungsinstitut Forsa sind. „Forsa“ ist der Laden, deren Chef sich andauernd meinungsmanipulativ in die öffentlichen Debatten einmischt.
Dazu schreibt Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten:
„Die Verhältnisse dürften bei anderen Meinungsforschungsinstituten nicht wesentlich besser sein, nur Forsa ist einer der „Billiganbieter“ auf dem Umfragemarkt. Forsa-Chef Güllner hat erkannt, das man mit Umfragen Meinung machen kann, deswegen macht er Interessierten entsprechende Billig- und aktualitätsbezogene Angebote. Es wäre auch übertrieben, wenn man Forsa noch wirklich als ein Meinungs-„Forschungs“-Institut bezeichnete.
Natürlich sind die Preise für solche Umfragen viel zu billig, um Mitarbeiter ordentlich zu bezahlen. Es wäre nur besser wir hätten weniger solcher Billig-Umfragen, dann hätten wir auch weniger Meinungsmache mit Umfragen.“
Ich habe vor einiger Zeit mal an einer Einführungsveranstaltung teilgenommen und mich einen Abend – aus Neugier – an so einen PC gesetzt.Daraus ist dieser Bericht entstanden.
Call Center
Die Meinung einer 18 Jahre alten Friseuse in einer mittleren Stadt im Süden der Bundesrepublik unterscheidet sich nicht wesentlich von der einer Friseuse gleichen Alters im Norden des Landes, auch wenn die beiden jungen Damen ganz anderer Meinung darüber sind. Das ist die statistisch belegte Meinung der freundlichen Supervisorin, die uns in die künftige Arbeit einführt.
Man muss sehr pünktlich sein. Zehn Minuten bevor der ganze Betrieb überhaupt losgeht sollte man schon ankommen, damit man die nötigen Vorbereitungen treffen kann. Normalerweise sucht man sich unter den über 100 Plätzen mit Computer, Bildschirm und Headset seinen Platz. Wenn man aber das erste Mal dabei ist und sich noch einarbeiten soll,bekommt man reservierte Computer in der ersten Reihe neben dem Pult der Supervisoren, wo man sich – wie alle anderen -erst mal meldet.
Man wird noch einmal freundlich eingewiesen und kann anschließend 10 Minuten „trocken“ das üben, was aufder Informationsveranstaltung einige Tage zuvor bereitserklärt wurde
Nun ist es aber Zeit, sich einzuloggen. Man gibt die Daten ein, die für einen vorgesehen sind.Der eigene Name – wenn es den schon gibt, hängt eine Ziffer dran – und noch eine fünfstellige Nummer. Man setzt sich das Headset auf und schaltet ein. Jetzt hat man die Wahl:
1. Das Projekt beginnen
2. Eine Pause machen
3. Die Arbeit beenden
Nachdem man die 1 eingegeben hat, wird man eingetaktet in die Reihen jener, die das Dialersystem ständig mit angewählten Telefonnummern versorgt. Vorstellen kann man sich das wie eine riesige digitale Lostrommel. Sie gewährleistet völlige Zufälligkeit und Anonymität.
Man kann deshalb nicht wissen, wer oder was sich hinter einer angewählten Nummer verbirgt. Ein Privat- oder Geschäftsanschluss, ein geschalteter Anrufbeantworter, oder auch ein Faxgerät. Wenn man im Ohrhörer hört, dass sich ein Teilnehmer meldet, muss man einen Spruch aufsagen, der persönlich en bisschen variiert werden kann, aber doch bestimmten Regeln folgen muss.
Man sagt also, man rufe im Auftrag eines Meinungsforschungsinstituts an, es gehe um eineUmfrage in Privathaushalten. Wenn es zu diesem Zeitpunkt noch nicht geknackt hat und das Freizeichen zu hören ist, gilt es, das entstehende Gespräch so zu lenken, dass man die Bereitschaft zur Teilnahme an der Befragung erreicht. Man hört zum Beispiel, dass jemand – vielen Dank – keine Probleme habe und – vielen Dank – auch niemandem was erzählen will. Dann erklärt man noch einmal den Sinn und Zweck eine Umfrage. Oder man räumt den Verdacht aus, man wolle irgendetwas verkaufen.
Wenn das gelungen ist, fragt man nach der Zielperson. Das ist die schwierigste Kiste: man darf nicht einfach den oder die befragen, die man glücklicherweise schon überzeugt hat, sondern man muss nach der Person fragen, die zuletzt im Haushalt Geburtstag hatte und über 14 Jahre alt ist. Wenn man Pech hat, dann hat genau diese Person überhaupt keine Lust und alles war umsonst. Wenn jemand sagt, er oder sie habejetzt keine Zeit, soll man das respektieren, aber doch versuchen, einen neuen Termin zu machen. Wenn jemand sagt, es sei gerade jemand gestorben in seinem Haushalt, spricht man sein Beileid aus. Abstand halten soll man zu albernenblöde Bemerkungen. Das soll man nicht ernst nehmen. Das ist nicht persönlich gemeint.
Dann geht es los mit den Fragen, deren Beantwortung viel mehr Zeit kostet, als man am Beginn ankündigt. Man soll den Interviewten vorher keinen reinen Wein darüber einschenken, weil sie dann noch weniger Lust haben, sich auf so eine Befragung einzulassen.
Wenn man ein Interview geführt hat, speichert man das mit seiner Nummer ab. Darauf wird man gefragt, ob man – ja oder nein - das nächste Interview führen will. Wenn man ja eingibt, dann geht es weiter, wenn man nein tippt, ,muss man „Pause“ eingeben – weil die in der Stundenentlohnung nicht enthalten ist. Es ist wie Bandarbeit, sehr stressig.
Am ersten Tag wird man ungefähr nach einer Stunde zu einer Supervisorin gebeten, die mitgehört hat, wie man sich anstellt. Sie wertet das kritisch aus und gibt Tipps, wie man die Angerufenen trotz geäußerter Ablehnung doch noch rankriegt. Es gibt dafür im Grunde keine Patentrezepte.
Es ist – so wird angemerkt – ein Fehler, dass man bei der Frage, ob man die Nominierung Hillary Clintons zur Präsidentschaftskandidatin 1 gut oder 2 schlecht findet, die Information gegeben hat, dass sie gegen George W. Bush antritt. Das beeinflusst natürlich die Antwort und stimmt außerdem nicht. Das ist ärgerlich.
Nach diesem Coaching kann man sich wieder an die Arbeit machen und noch weitere zwei Stunden auf den Bildschirm gucken und – sobald er sich wiedererhellt und eine Stimme im Ohr erklingt - seinen Eingangsspruch aufsagen... und so weiter. Denn so ein Einsatz dauert jeweils vier Stunden und das ist endlos lang.
Man kann es aber auch lassen. So wie ich – ich fand das alles höchst interessant, aber schon bei dem Gedanken wieder an diesem Platz zu sitzen, brach mir der Schweiß aus. Deshalb erklärte ich der freundlichen Supervisorin, dass ich meine Tätigkeit beende. „Dann hätte ich Ihnen das doch gar nicht alles erklären müssen“, meinte sie. Ich aber bedankte mich ausdrücklich, weil gerade das so interessant gewesen wäre. Ich räumtemeinen Arbeitplatz auf und das Feld. Man muss zäh sein für diese Tätigkeit. Respect to whom it may concern. Es ist eine Galeere. Wirklich.
Kommentare 7
"Man muss zäh sein für diese Tätigkeit. Respect to whom it may concern. Es ist eine Galeere. Wirklich".
Deshalb bin ich trotz extremer Genervtheit von solchen Anrufen (vor allem denjenigen die sich als Umfrage tarnten und dann doch reine Werbung waren) immer freundlich gewesen. Weil diejenigen, die da mit mir sprechen müssen, wohl zumeist unter extremen Existenzdruck stehen oder gar durch Ämterhandeln dazu gezwungen wurden.
Letztlich ging ich nicht mehr ran, wenn "Unbekannt" auf dem Display erschien. Inzwischen rufen "Die" ja mit angezeigten Telefonnummern an. Da gehe ich auch nicht ran bzw. gucke erstmal unter whocallsme.com/ wer denn dahinter steckt ...
Interessante Schilderung, die ich gern gelesen habe. Kompliment!
Bei meinem Festnetzanschluß habe ich permanent den Anrufbeantworter, als "Puffer gegen unerwünschte Anrufe" vorgeschaltet. Viele Werbe-Anrufer legen dann bereits auf, während "wichtige" Anrufer sich mit Namen und "Anliegen" melden. Während ich mithöre, kann ich entscheiden, ob ich den Hörer abnehmen will oder ggf. zurückrufen werde.
Diese Methode hat sich bewährt.
Ich habe mich vor Jahren mal in einem Call Center beworben, das am Telefon Termine für Aussendienstmitarbeiter anderer Fimen festmachen sollte. Als ich für mich mal durchgerechnet hatte, dass ich, bei etwa 200 Anrufen täglich, etwa 20 real geführten Gesprächen und einer Ausfallquote von mindestens 50% bei etwa 2 Terminen, die wirklich Erfolg bringen, lande und was ich damit verdiene, habe ich diese Rechnung in der Einführungsveranstaltung laut gedacht, sprich offen ausgesprochen. Daraufhin wurde ich höflich aber bestimmt gebeten, zu gehen. Mit mir gingen aber noch einige Andere, was mir eine Genugtuung war. Es sind die Ärmsten der Armen, die so ihr Geld verdienen müssen, Ausbeutung pur.
Da viele Angerufene Gespräche abbrechen und nicht beendete Interviews häufig auch nicht bezahlt werden, gehen "Meinungsforscher" gelegentlich dazu über Interviews zu faken.
Interessanter Bericht. Gerne gelesen. Das ist die andere seite der genervtheit, wenn m,an so einen Anruf erhält un diie ist auch nicht gerade lustig. Vor den NRW-Wahlen bin ich von forsa interviewt worden. Die Mitarbeiterin war nett.
liebe magda, im beliebigkeitsbetrieb der wilden wachstumswirtschaft hast du ein typisches pflänzchen ausgegraben. wie der autor der nachdenkseiten schon sagte, gilt forschung = werbung und umgekehrt. ausbeutung gilt immer, sonst kann doch der tellerwäscher es nicht zum millionär bringen.
systemlogisch dürfte es in der ddr solche institute nicht gegeben haben. aber regierende sind immer daran interessiert, wie die stimmung in der bevölkerung ist. umfragen taugen dazu aber wohl weniger.
"systemlogisch dürfte es in der ddr solche institute nicht gegeben haben. aber regierende sind immer daran interessiert, wie die stimmung in der bevölkerung ist. umfragen taugen dazu aber wohl weniger."
Lieber h.yuren - doch, man wollte in der DDR in den 80er Jahren auch solche Meinungsforschung zumindest beginnen. Man hatte - vorsichtig - die Soziologie entdeckt. Es gab solche Projekte vom Institut für Jugendforschung und das war damals sensationell und wurde argwöhnisch betrachtet.
Das wahre Meinungsforschungsinstitut in der DDR aber hatte eine ganz andere Funktion. Der Name war Stasi. Die hatten ihr Ohr ja nicht an den Leuten, weil sie sie andauernd verhaften wollten, sondern weil sie wissen wollten, wie das Volk so tickt.
Und manchmal wurden daraus auch "Schlüsse" gezogen. Das habe ich in einer interessanten Sendung kürzlich mal gesehen, da ging es um den Umweltschutz in Mitteldeutschland.
Vor offziellen Meinungen hatten sie immer Angst.