Das alte Klavier - Melancholisches Werk mit Gesang

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Ich weiß ja nicht, das ist mal wieder ein längeres Werk aus meinen Memoiren. Vielleicht amüsiert es eine geduldige Leserschaft. Die anderen – einfach einen Akkord weiter anschlagen.

Eigentlich ist es herzlos, das Ding aus meinen Kindertagen hier zurückzulassen. Aber – wir werden es nicht mitnehmen können. Es wird bestimmt keinen neuen Besitzer finden, sondern auf dem Müll enden – das alte Klavier

Schon der Klavierstimmer hat uns gewarnt. Eines Tages werden uns die Saiten um die Ohren fliegen. Weiter kann er sie nicht spannen und der Ton gewinnt dabei natürlich auch nicht.

Es geht nun mal nicht und wenn ich ganz ehrlich bin, ich will es auch gar nicht so recht. Es stünde dort nur 'rum, erinnerte mich an die Zeiten, da es mir diente und auch an meine Mutter. Erinnern ist gut, aber es soll aus dem Herzen kommen, nicht aus den Gegenständen.

Meine Mutter hat es bauen lassen als ich noch klein war, damit wir Kinder jene musische Erziehung erhalten, die sie an bildungsbürgerlichen Familien so bewunderte. Aber in unserer Nähe gab es kaum bildungsbürgerliche Familien, die Leute dort hatten ganz andere Sorgen – damals. Und wir wurden auch nicht bildungsbürgerlicher, sondern noch fremder. Man hielt uns für unvernünftig und überspannt. Kein Geld, aber ein Klavier.


Fünf Klaviere für eins

Mindestens fünf alte Klaviere hat der Meister ausgeschlachtet, um daraus ein halbwegs funktionierendes neues zu machen. Er hatte viel Freude an dem Auftrag, das weiß ich noch von einem Besuch in seiner Werkstatt. Er nahm dafür in Kauf, dass meine Mutter in winzigen Raten bezahlte. Was sollte er auch machen, in diesen Zeiten damals. Es muß ewig gedauert haben, bis das Instrument wirklich uns gehörte und es ernst wurde mit dem Klavierunterricht.

Die erste Klavierlehrerin war eine Studentin vom Leipziger Konservatorium. Sie gehörte zu den bildungsbürgerlichen Vorbildern, die meine Mutter so vor Augen hatte und wurde später auch Pianistin. Sie legte die Damm'sche Klavierschule auf den Notenhalter und ich begann mit den ganzen Noten. Als wir bei den Viertelnoten waren, ging sie nach dem Westen und meine Mutter suchte einen neuen Lehrer für uns. Mein Bruder sträubte sich, er wollte keine musische Erziehung genießen, die mit täglichem Üben errungen werden muß. Ihm reichte der Musikunterricht in der Schule, den er mit allerlei Kaspereien belebte.

Wechselnde Klavierlehrer

So ging ich denn allein zu einem älteren Herrn. Der hatte unendlich viel Geduld und ständig einen Tropfen an der Nase, der irgendwann nach unten fiel oder geistesabwesend von ihm abgewischt wurde. Er hatte außerdem eine Kommode in seinem Unterrichtszimmer stehen, aus dessen unterem Teil er hin und wieder eine Flasche hervorholte und sich einen genehmigte. Davon bekam er rote Bäckchen, die zu seinem schlohweißen vollen Haar gut paßten.

Trügerische sonata facile

Bei ihm lernte ich die ersten Klaviersonaten, zum Beispiel die sonata facile in C-Dur von Mozart, mit der man viel Virtuosität vorgaukeln kann. Das lag mir, denn ich gab gern an.

Der Herr Bresch war wie gesagt nicht mehr der Jüngste. Irgendwann erklärte mir meine Mutter, ich würde da nicht mehr hingehen und sie habe schon jemanden Neues für mich. Das war der Herr Seifert, ein durch eine Skoliose schwer behinderter Mann. Ich hatte ihn vorher schon oft mit seinem Krankenfahrstuhl auf der Strasse gesehen. Seine Frau war sehr lieb und fast zahnlos. Er brachte mir Grundzüge der Harmonielehre bei, legte die "Schule der Geläufigkeit" auf den Notenständer, damit ich ein bisschen vorankam und rügte meinen Hang zur Bequemlichkeit. In ein kleines Oktavheft zeichnete er den Quintenzirkel und den Quartenzirkel und allerlei Notenbeispiele. Oft hatte er Schmerzen dann wurde er ungeduldig und sein Ton barsch

Böse Intervalle

Er bescheinigte mir gute Fähigkeiten, mehr aber auch nicht. Ob meine Mutter wirklich glaubte, in mir schlummert ein geniales Talent, weiß ich nicht. Seit ich zu Herrn Seifert gehen mußte, zerfiel die Woche für mich in zwei ungleiche Teile. Der erste Teil begann, wenn ich am Freitag, je nach Leistung und Laune von Herrn Seifert mit Tadeln bedacht oder freundlich gelobt aus der Klavierstunde kam. Dann lag vor mir ein seliges klavierloses Wochenende. Der bösartige Teil begann ab Montag mit den Pflichten und der Fron und dem schlechten Gewissen. Diese Klavierintervalle waren die kleinen bösen Schwestern des großen Beichtintervalls, bei dem ich immer nachzählte, wenn sich der Sonnabend bedrohlich näherte und ich noch eine Woche säumig wurde und noch eine, und noch eine.....bis ich dann doch hinschlich zum Beichtstuhl und sagen mußte: "Meine letzte Beichte war vor acht Wochen".....furchtbar, man kriegt als Kind einen Schaden mit diesen dauernden bösartigen Pflichten.

Rebellion mit dem Stimmband

Eines weiß ich genau: Hätte meine Mutter mich zur Gesanglehrerin geschickt, die merkwürdigerweise im gleichen Haus wie Herr Seifert wohnte, hätte ich mich nicht gesträubt. Ich hatte eine kleine, ganz hübsche Stimme, sang auch Solo im Schulchor. Aber meine Mutter fürchtete wohl, dass ich in die Fußstapfen der Großmutter treten würde, wenn sie mich zum Singen ermutigte. Ich würde eine leichtsinnige Person werden und zur Bühne wollen oder andere Abwege vom bürgerlichen Leben nehmen. Irgendwann in der Pubertät kam die Rebellion. Ich verweigerte die Klavierstunden und wollte Schlager singen.

Also strengte ich meine kleine Stimme an, drückte auf die Stimmbänder und brachte damit diesen Schlagerton zustande, der meine Stimme ruinierte, mich aber befreite. Meine Mutter war entsetzt, aber das rührte mich wenig. Ich wollte unbedingt so klingen, wie es die Schlagersänger mit technischen Möglichkeiten aller Art zustande brachten, ich wollte den Hall mit singen und die Weite und das Gefühl der Freiheit. Es hatte mehr von Schreien als von Singen. Einige Harmonien auf dem Klavier hatte ich parat, um mich zu begleiten und sang alles nach, was mir mit meiner Stimme passend schien. So was wie "Die Liebe ist ein seltsames Spiel", aber auch "locomotion", Manuela-Titel waren auch dabei "Schuld war nur der Bossanova". Später kam Elvis dazu. "heartbreak hotel" konnte ich prima. Seltsamer Verschnitt.

Als ich in eine andere Stadt ging, gewöhnte ich mir an, überall vor mich hin zu summen. Ich vermißte das Klavier, ich brauchte das Singen. Als ich nach einiger Zeit eine Wohnung bekam, schickte es mir meine Mutter dankbar nach. Denn sie hatte jetzt eine viel kleinere Wohnung und war froh, dass sie es los wurde. Vielleicht erinnerte es sie auch zu sehr an die Illusionen, die sie über meine musischen Talente gehegt hatte.

Wilde Nächte

Ich fing etwas mühsam wieder an mit meinen Übungen und erfreute eine Gottseidank wohlmeinende Nachbarschaft mit meinem Klavierspiel und meinem Gesang. Es waren alles Bekannte, die - wenn ich bestimmte Regeln einhielt - nichts gegen meine Kunstausübung hatten. Außerdem, wenn sie wollten, dass ich aufhörte, klopften sie. Nicht böse, sondern nur als Hinweis. So war das damals. Ich sang wieder ziemlich oft , spielte dazu Klavier, nicht sehr gut. Es half mir im Leben, wenn mich zuviel Gefühl bedrängte und ich niemanden fand, der es mit mir teilte. Oft aber teilte ich die Musik mit vielen Freunden, wir waren nächtelang zusammen und ich spielte bis zum Morgen.

Es waren schöne Feten. "Manchmal hast Du wirklich irre Töne drauf", sagten die Freunde und liebten mich dafür und ich sie auch. Ich sang mit Inbrunst "Sitting on the dock of the Bay" und "So long Dixie". Ich sang mir die Seele aus dem Leibe. Leider auch die Stimme.

...und die Folgen

Eines Tages nach solch einer Nacht konnte ich morgens keinen Ton mehr hervorbringen. Das hatte sich schon angekündigt, weil ich zunehmend diesen Bonnie Tyler Sound drauf hatte. Also ging ich hin zum Spezialisten Professor Wendler in der Charite, der mir einen riesengroßen Polypen vom Stimmband entfernte, mir gebot vier Wochen zu schweigen und dann mahnte, ich sollte mir das Rauchen abgewöhnen und es beim Singen mal mit meiner eigenen Stimme versuchen, nicht immer andere nachahmen. Als ich vorsichtig damit begann, da hatte ich in der Tat wieder jene kleine unscheinbare nette Sopranstimme, mit der ich mich nicht anfreunden konnte. Zwar konnte ich etwas höher singen, aber mir fehlten die falschen großen Töne, die ich gespuckt hatte.Ich versuchte ein bisschen auf Oper zu mimen, ahmte manchmal die Lotte Lenya nach, aber es machte keinen Spaß. Mir fehlte der Aufruhr in der Stimme, den ich nicht mehr erzeugen konnte ohne zu husten.

Das Klavier rührte ich immer seltener an. Manchmal spielte ich ein paar solide Sonaten wegen der Übung. So stand das Nußbaummöbel zunehmend nutzlos herum. Es tut mir leid darum. Ich werde das Schild vorn abschrauben. Da steht "Emil Lange Leipzig" drauf. Dabei weiß ich genau dass sicherlich nur der Deckel von dieser Firma stammte. Kürzlich waren die Kolleginnen aus meiner letzten Arbeitsstelle hier. Wir hatten alle einen sitzen und übten ein Volkslied zusammen ein. "Die Gedanken sind frei" oder so etwas. Wir brachten es - auf dem Klavier von mir begleitet - so einigermaßen zustande. "Ach ja", seufzte die große freundliche Christa: "Singen befreit". Das stimmt auf jeden Fall, aber das geht ja auch ohne Klavier.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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