Es gibt Tage, da weiß ich nicht mehr ob die Welt ein Irrenhaus ist oder ich selbst in eins gehöre. Alles ganz normal, sagen einem die Leute, alles locker sehen, easy und cool sein.
Nur, ich selbst will und kann so nicht sein, weil es mich irre machen würde an der Welt. An solchen Tagen fällt mir die Geschichte vom blauen Kind ein.
Auf der Wiese stand es - das blaue Kind. Eine Berliner Künstlerin hatte es gestaltet aus Pappmaché. Wie lebendig sah es aus in seinem dicken Overall und war geschützt durch ein Laufställchen. Darin stand es leicht vorgebeugt, als sei es neugierig auf die Welt jenseits des Gitternetzes und als schiene es auf Besucher zu warten. Auf Menschen, die es sich ansahen, vielleicht auf die Mutter oder den vielleicht fernen Vater.
Vielleicht auch auf etwas, das Trost versprach in einem Lebensabschnitt besonderer Trostbedürftigkeit.
Das blaue Kind stand nicht lange dort. Schon nach einigen Tagen war das Laufställchen umgekippt, die Plastik lag zerbrochen unter dem Drahtgitter. Die Künstlerin war empört und traurig, aber sie gab nicht auf. Sie richtete die zerbrochene Figur notdürftig wieder her und stützte sie mit den Resten des Laufstalls.
Jetzt stand das blaue Kind da wie ein kleiner trotziger Widerstand. Schon wenige Tage später lagen auf der Wiese unkenntliche blaue, weiße und rote Brocken aus Pappmaché. Darüber waren das Gestell und der Draht des kleinen Schutzgitters geworfen. Noch war zu erkennen, was diese Brocken früher einmal gewesen waren, aber es gab nichts mehr zu reparieren. Darum ließ die Künstlerin alles liegen, wie es jetzt so kaputt und wirr am Boden lag, und als sie nach wieder einer Zeit dort ankam, da war aus den noch kenntlichen Trümmern ein unkenntlicher Haufen Pappmaché geworden. Sie hatten noch einmal nachgetreten, wie im wirklichen Leben, es sollte nichts mehr übrig bleiben.
Das alles hat die Künstlerin in fünf Bildern dokumentiert. Immer, wenn ich sie mir ansehe, ist mir zumute, als sei ein wirklicher Mord geschehen. Ein Mord an kindlicher Arglosigkeit, die es so nicht mehr geben soll, ein Mord an den Menschen, die sich trauen, ein Symbol kindlicher Schutzlosigkeit auf eine öffentliche Wiese zu stellen.
Ein neues Kunstwerk ist so entstanden, das mich immer daran mahnt, mich nicht abzufinden und nicht cool und locker zu sein, nur weil ja nichts Lebendiges wirklich ums Leben gekommen ist. Doch, es ist.
http://static.twoday.net/magda/images/Blick-auf-die-Autobahn.jpg
Weil ich die Rechte an den Bildern nicht habe: Ein blauer Abendblick aus meinem Fenster über Berlin
Kommentare 19
Ja, sowas macht(e) mich auch immer sprachlos. Vandalismus wird es auch genannt. Bin trotzdem der Meinung, kein ausgewachsener, vernünftiger, ausreichend sensibler, halbwegs mit sich im Reinen seiende, halbwegs auskömmlich leben könnender Mensch tut derartiges, solange er bei Sinnen ist. Es gibt die Aussetzer, natürlich auch bei Menschen der beschriebenen Art. Es ist eine Art in mehr oder minder großen Anteilen vorhandene infantile Grausamkeit. Die Sandburgen der anderen zertrampeln...
ich kann nichts neues sagen als meisterfalk. nur, dass mir der ausblick aus deinem fenster sehr gut gefällt.
und ein spruch fällt mir ein (ich bin ja orientale, da werden wir schon mit der muttermilch damit gefüttert :-)
Sei nicht traurig mein Herz, es ist das Schicksal der Rechtschaffenden wenige zu sein; Adler fliegen allein, Krähen in Schaaren!
Hallo,
Danke Ihr beiden fürs Lesen. Ich habe es ausgekramt, weil es mir auch ein bisschen gleichnishaft erschien. Es gibt sehr verschiedene Formen von Vandalismus.
@ outnumber - Danke für den Spruch.
Gruß
Liebe Magda,
sehr berührender Beitrag, dem ich auch inhaltlich voll zustimme. Hier in Essen sind es zwar nicht solche schönen Kunstweke, die dran glauben müssen, aber auch wenn ich die umgekippten Blumenkübel in der Innenstadt sehe kommt in mir ein gewisser Ärger hoch.
Das ist nicht fair und die so was machen , sollte sich schämen ob es jetzt das beschriebne Kunstwerk ist oder auch lebendige Blumen.
Den blauen Abendblick über Berlin finde ich auch sehr schön.
Herzliche Grüße
por
Hallo - ich verlinke mal zu einem älteren Beitrag über die Aussicht, die ich hier genieße. Das wäre in gewisser Weise der Text zum obigen Bild. Vielleicht hat jemand Lust.
www.freitag.de/community/blogs/magda/aussicht-mit-wohnung-dran
lieber outnumber, überdenk das bitte noch mal mit den adlern und krähen. wenn die beobachtungen der forscher zutreffen, sind krähen intelligenter als adler. das nur nebenbei. sprichwörter sind oft wie taubes gestein.
liebe magda, das hast du sehr eindringlich geschrieben. danke.
dennoch muss ich in zwei richtungen über die szene hinausdenken:
a) was waren das für menschen?
b) was hat die menschen biografisch zu vandalen gemacht?
und weiter: ist es der künstlerin nicht gelungen, das kindchenschema mit seinen schlüsselreizen darzustellen? wenn ausgebildet, warum taten sie nicht ihre wirkung?
Liebe Magda,
manchmal macht es auch einfach Spaß etwas böses zu tun. Hier da kann ich mich über manche Formen des Vandalismus auch kaputt lachen. Ganz ehrlich. Was treibt einen Menschen dazu einen ekligen Haufen auf die Ablage einer Telefonzelle zu setzen?
Der lag da tagelang! Und ich beobachtete damals immer wieder Leute, welche sich nicht daran störten trotzdem telefonierten.
Oder das Kriegsdenkmal am Dammtor. Das immer wieder mit roter Farbe "besudelt" wurde. Erst durch dieses Kunstblut wurde das Ding für mich komplett.
Oder "OZ" / Olli. Ein Hamburger Sprayer. Er hat mit seinem Tags die Leute fast wahnsinnig gemacht. Manche möchten ihn gerne lebenslang weg sperren. Zur Strafe zur Prävention. Persönlich finde ich, da wo er sprayte hat ist es so häßlich, dass das bißchen Farbe die Sachen nur besser machte.
Wenn Feuerwehrball im Ort gefeiert wurde, dann wurden bei meinen Eltern am Haus immer die Blumen rausgerissen. Jedesmal. Warum nur?
Die Geschichte vom blauen Kind finde ich sehr anregend und nachdenkenswert, liebe Magda, eigentlich könnte man ganz viel dazu schreiben, aber das gehört sich (zum Glück) nicht in einem Kommentar, drum belasse ich's im Kurzen und wünsche einen besinnlichen 1. Advent.
Das Kind war wohl Blau von der Kälte, der es ausgesetzt war. Was mehr angst macht ist "Sie hatten noch einmal nachgetreten, wie im wirklichen Leben, es sollte nichts mehr übrig bleiben." Ganz, als würde so Geschichte geschrieben.
Nein, das Kind war nicht Blau von der Kälte, sondern trug blaue Sachen. Wie gesagt, ich kann keine Bilder reinstellen.
@ archinaut - danke archinaut.
@ sachichma - nein es war nicht Blau von der Kälte das Kind, es hatte Sachen in Blau an. Das ist wohl nicht so deutlich geworden. Zum Rest: Das ist durchaus eine gute Interpretation.
@ Magda
Bilder reinstellen?
1. gehe zu imageshack:
www.imageshack.us/
2. Dort die Motive von Deiner Festplatte up-loaden.
Als kostenloses Mitglied.
3. Dann vom Freitag aus auf den Bilder-button rechts drücken Bild von Imageschack ( Link kopieren einsetzen ) einfügen.
Ergänzend:
Kann auch von einem anderem Speichermedium als von der Festplatte geladen werden.
[URL=http://img21.imageshack.us/my.php?image=frstin.jpg][IMG]http://img21.imageshack.us/img21/9884/frstin.th.jpg[/IMG][/URL]
Das hat jedenfalls nicht geklappt...
@chrisamar:
Welchen Bilderbutton meinst DU??
Liebe Chrisamar - wie man Bilder in einen Beitrag reinstellt, das kann ich inzwischen auch, wie Du ja oben siehst, aber ich weiß nicht, ob und wie das bei Kommentaren geht. Das ist das Problem.
Ach pardon - mit der Erklärung, ich kann keine Bilder reinstellen, habe ich auf die Bilderrechte verwiesen, die nicht bei mir lieben.