Das Borchardt - eine Vergangenheitsaufarbeitung

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Wenn man die Friedrichstrasse von den „Linden“ in Richtung Check Point Charly läuft, kreuzt man nach der Behrenstraße die Französische Straße. Dort gab es mal eine der Fischkneipen der Stadt, die meist „Gastmahl des Meeres“ hießen, so wie diese auch.

Zu den bemerkenswerten Sozialleistungen, mit denen wir bedacht wurden, gehörten Ermäßigungsmarken für das Essen in dieser Kneipe. Bons im Werte von zwei Mark der DDR, den Rest legten wir selbst drauf. Das Essen kostete meist so zwischen drei und fünf Mark. Die Gerichte waren einfach und gut. Kartoffelsalat mit gebackenem Fisch, Grüner Hering mit Salzkartoffeln oder auch Fischfilet in Remoulade.

Für ein Mittagessen dort brauchte man viel Zeit. Die Kellner waren nicht die schnellsten, sie hatten keinen Grund zur Eile. Deshalb pilgerten wir meist am späten Freitagnachmittag dorthin, wenn alles getan war und keiner Spätdienst hatte.Wir, das war eine Gruppe von Kollegen, die gut miteinander konnten und auch privaten Kontakt pflegten, einige auch intimen Kontakt.

Manchmal saßen wir da abends um zehn noch rum oder waren von dort in ein anderes Etablissement gezogen. Die Kneipe war der Ausgangspunkt langer Besäufnisse, beginnender oder beendeter Liebeshändel oder alkoholgeschwängerter Debatten über Politik, Leben und persönliche Dinge.

Irgendwann mussten wir alle nach Hause. Ich war damals Single, hatte aber unter den Kollegen einen festen Freund. Der war verheiratet, weswegen es immer viel Theater gab.

Heute frage ich mich, wie überhaupt die verheirateten Männer das alles organisiert haben. Was haben die Ehefrauen gesagt, wenn die Männer am Freitagabend, leicht blau nach Hause kamen? Eine der Ehefrauen hat mir mal gesteckt, dass in diesem Verhalten ja auch eine gewisse Form von Verlässlichkeit zu erkennen sei. Sie rechne zu bestimmten Zeiten nicht mit ihm und damit wäre das vom Tisch. Er komme ja auch nicht unzufrieden nach Hause, sondern von Zeit zu Zeit ein bisschen zu redselig. Dies war aber einer der Kollegen, die ihre Frau nur mit Bier und Schnaps betrogen, er liebte sie und war ihr ansonsten treu ergeben. Zu recht wie ich fand, denn sie war eine ganz reizende Person, charmant und von ironischem Humor, der auch angesichts der Eskapaden ihres Mannes nicht schwand.

Wieso kommt es mir in der Erinnerung so vor, als hätten wir alle damals unendlich viel Zeit gehabt. Wieso nur? Wir hatten einen mehr als Acht-Stunden-Tag. Wir hatten Zeitdruck und Hetze. Danach aber kam immer dieses lange gemeinsame kneipengeschützte Innehalten, bevor jeder in sein Privatleben ging. Wir schimpften laut, wir machten auch allerlei politische Witze – allerdings kannten wir die Grenzen, das muss ich schon einräumen.

Manchmal war die Lage so, dass ich mit dem „Bestimmten“ gemeinsam aufbrach und entschied „ob zu Dir oder zu mir“. Das richtete sich nach den Gegebenheiten. Bei mir war immer sturmfrei in dieser Zeit, manchmal aber war die Ehegattin des Betreffenden, also die Betroffene unterwegs und dann gab es eine Abwechslung. Das war mir nicht immer recht, denn ich war am nächsten Morgen schlecht zu gebrauchen. Aufzustehen, Konversation zu machen und sich zu trollen - ich fand immer das sei für Männer, die angeblich einen stärkeren erotischen Wandertrieb besitzen sollen, angemessener.

Am liebsten war mir, wenn ich mir überlassen wurde und im Bett bleiben konnte. Ich nutzte dafür den höchst philosophischen Spruch: „Lass mich allein, dann kann ich besser an Dich denken“. Dann lag ich rum und sagte mir: „Das machst Du nicht wieder, der Tag ist verloren und die große Liebe ist es auch nicht“, aber wer hält sich schon an Vorsätze.

So begann der Sonnabend mit verspäteten missmutigen Einkaufsgängen in die zum Bersten gefüllte Kaufhalle, ein bisschen Saubermachen, Musik hören und Fernsehen. Sonntage waren meist einsam und öde. Telefon hatte ich keins, ich musste mich also auf die Socken machen, wenn mir wieder nach Menschen war. Dann gab es Streit, dann wurde eine Trennung vollzogen, der kein wirkliches Miteinander vorausgegangen war. So war das alles und ist lange her.

Heute ist das ehemalige „Gastmahl des Meeres“ die absolute Edelkneipe in Mitte und nennt sich wieder „Borchardt". Sieht ziemlich unzugänglich aus. Da tagen jetzt Gerhard Schröder und Angela Merkel oder allerlei Wirtschaftskapitäne, vielleicht auch Schauspieler und Künstler. Und in der „Morgenpost“ wird definitionsmächtig die Geschichte des Hauses aufgearbeitet: „Zu DDR-Zeiten ließen sich Funktionäre Fisch servieren.“ Ich war – soviel ist sicher – keine DDR-Funktionärin. Da konnte jeder rein, aber manche mussten etwas mehr zahlen.

Ein Gefühl von Neid und Fremdheit überfiel mich als ich kürzlich da vorbeiging. Wie sich eine Stadt so ändert, dass die Bewohner wie ausgeschlossen da stehen, nicht mehr wissen, was vorher wo war oder sich wehmütig dran erinnern, wenn sie sich erinnern. Und wie immer alles anders und man selbst älter wird und andere sich jetzt da räkeln, wo man doch auch mal ... usw.

Da muss ich mich zur Ordnung rufen. Es ist ja nicht alles so aus dem Nichts plötzlich aufgetaucht. Schon vor der Wende wurde der Platz umgewühlt. Damals fand ich den „Gendarmenmarkt“ ein Elend. Jetzt aber nennt man ihn den schönsten Platz Europas. Kann ja sein, dass es so ist, aber es ist immer schwer seinen Platz zu finden, im Leben wie in Städten. Ins „Borchardt“ werde ich wohl nie im Leben gehen, es sei denn der Günther Jauch lädt mich ein. Der soll auch öfter dort sein. habe ich gehört

Das tut er nicht, aber ich lese jetzt Gästerezensionen, die mich an die Vergangenheit erinnern. Die Kellner sind zwar nicht mehr träge, dafür aber in Hektik. Der Effekt ist wohl der Gleiche. Meinen intimen Kollegen von einst treffe ich jetzt manchmal an einer S-Bahn-Station vor der Stadt und wir grüßen uns jetzt wieder freundlich.


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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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