Wenn ich morgens vor halb sieben wach bin, dann stecke ich mir den Knopf ins Ohr und höre Deutschlandradio Kultur mit guten aktuellen Reportagen, Berichten, manchmal einem stockkonservativen politischen Feuilleton.
Christliche Wegweisung liefert ein „Wort zum Tage“, bei dem sich die evangelischen mit den katholischen Wortlieferanten abwechseln..
Mal geht’s an und wird sofort wieder vergessen, mal ist es nichts als SMS-Kummerkastenprosa, gewissermaßen McChrist, mal ist es schlicht und ergreifend hochfahrend, im wahrsten Sinne des Wortes. Nur leider nicht im Niveau, sondern in der Anmaßung.
Heute sprach Pfarrer Wolf Fröhling, der u.a. ein Gespräch schildert, das der Lobetaler Pfarrer Uwe Holmer mit seinem im Kirchenasyl befindlichen Gast Erich Honecker führte. Dabei sei es auch um das Scheitern des Sozialismus gegangen.
Er sei am Menschen gescheitert, der Sozialismus, habe der Pfarrer Holmer dem Erich Honecker erklärt. Denn; Der Mensch sei eben nicht gut, sondern ein Egoist und ein Sünder, kolportiert der wackere Gottesmann das Gespräch. Nebenher wischt Fröhling – übrigens im geschriebenen Predigttext nicht enthalten - den Spruch, man solle an das Gute im Menschen glauben, souverän beiseite. Das hält er für billigen Trost, der Gottesmann. Sehr undialektisch, wenn er nur das Böse gelten lässt.
Außerdem klingt das so, als hätten nur Gott und sein irdisches Personal das Recht, den Menschen zu begnadigen gewissermaßen, normale Gotteskinder selbst nicht.
Tja, wenn das so ist, dann war dieses tolldumme Predigtstück die Innenseite der Jacke, die sich andauernd die Apologeten des Kapitalismus anziehen. Gier und Egoismus gibt’s nun mal und sie haben die Welt vorangebracht. Und ist nicht das Anhäufen von messbaren Reichtümern, die Vermehrung des eigenen Hab und Gutes gottgefällig und folgerichtig und sichert einen Platz im Himmel? Wo habe ich das bloß gelesen. Ach bei Max Weber. Na, zugegeben, ich vereinfache. Muss man manchmal. Amen.
Ein früher Morgenvogel, glaubt, er fängt den armseligen Erdenwurm, wenn er so herumpriestert und herrschaftskompatible Argumente liefert. Der Kapitalismus ist das viel menschlichere Konzept, denn es appelliert nicht an das Gute, das ja ohnehin gar nicht vorhanden ist. Der Rest muss beten lernen, wenn die Not es sie nicht ohnehin lehrt. Der schlaue kabarettistische Kirchenmann, der sich durch und durch als Künstler begreift, wie ich inzwischen nachlesen durfte, liefert ohnehin schon die ganze Woche Wegweisungen zur Politik statt die Menschen zu trösten. Die informiert er andauernd nur über ihre Kleinheit und ihre Schwächen, mit denen sie sich arrangieren sollten.
"Ich bin ein rechtes Rabenaas,
Ein wahrer Sündenkrüppel,
Der seine Sünden in sich fraß,
Als wie der Rost den Zwippel."
Kann man in den Buddenbrooks nachlesen.
Meine Güte, nach solchen Belernungen hatte ich heute morgen eigentlich überhaupt keine Lust mehr aufzustehen: Wenn mein Mann nicht immer käme und zwar mit seinem eigenen Morgengebet: „Meine Liebe, ich habe uns einen schönen Kaffee gemacht, steh’ auf“. An Tagen. wo es ein Wort mehr braucht, sagt er auch manchmal: „Komm, fasse Mut“, eine bessere Wegweisung gibt’s nicht. Und dann denke ich immer: Doch es gibt gute Menschen.
Und erhebe mich im besten Sinne aus der Kleinheit dieser Predigttexte in Richtung Sanitärtrakt. Eine Dusche - heiß und dann kalt - tut auch ganz gut.
Kommentare 25
Früher habe ich diese Predigten häufig auf dem Weg zur Arbeit gehört. Mal habe ich gelacht und mal geschimpft. Sah sicher lustig aus, morgens um halb sieben auf dem Rad.
Mit dem Deutschlandradio wache ich immer auf. Da ich spätenstens um 7.00 Uhr beim Frühstück sein muss, ist die letztendliche Weckhilfe immer die Ankündigung, daß das morgendliche "Wort zum Tage" ansteht. Das treibt mich aus dem Bett und ist daher - sicher in einem nichtgewollten Sinn - sehr nützlich.
@ hermanitou - manchmal höre ich mir das an, um den "Zeitgeist" ein bisschen zu schnuppern.An der Auswahl der Leute, kannst Du die Programmplanung gut erkennen.
@ borntobemild - Nee, linkskompatibel ist der nicht. Glaube ich nicht. Das ist sehr konservatives Zeug, das Ding mit alle sind Sünder, Egoisten usw.
Ich bin fern davon ,den Menschen romantisch "gut" zu reden, das sind ohnehin alles so "Begriffe", aber ich denke an Maxim Gorki: "Der Mensch, wie stolz das klingt". Und dies in seiner Größe und Kleinheit - in allem.
Dieses "Sünde, alle sind schwach, Gnade, Gott Gerede" ist zutiefst herrschaftsfreundlich und überhaupt nicht irgendwie links.
"Altruismus gibt es nicht, ist nur bemäntelter Egoismus."
Evolution verrückt!
"Altruismus gibt es nicht, ist nur bemäntelter Egoismus."
Könnte auf der These von Richard Dawkins zurückgehen.
"Das egoistische Gen" beschreibt dabei die Tatsache, dass jedwedes Lebewesen nur ein Behälter seiner Gene ist. Altruismus wird daher als Mantel des Egoismus auf Genbasis erklärbar.
Naja, ich kenne den Fröhling nicht. Bei ihm scheint der Pessimist Oberwasser zu haben.
Am besten gefällt mir das Gedicht vom "Rabenaas" - und was ist denn ein "Zwippel"?
Zu Gut und Böse (im Menschen, in der Natur, im Geist) fällt mir noch dies hier aus dem Faust ein:
Er fragt Mephisto:
"Wer bist du also - sprich !"
- "Ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will
und stets das Gute schafft".
(sinngemäß)
LG Feli
Ich dachte auch an den "Faust" bei dieser einseitigen Herauskehrung des Bösen im Menschen.
Was ein Zwippel ist, haben die Forscher an den "Buddenbrocks" nicht rauskriegen können. Es ist dies wohl auch kein Kirchenlied, sondern Thomas Mann selbst hat es erfunden, sehr treffend allerdings. Vielleicht ist ihm kein anderes Reimwort auf Krüppel eingefallen.
Ich will es mir nicht zu leicht machen, aber für mich sind das immer alles so Thesen zum jeweiligen Zeitgeist.
Meine eigene private Theologie ist: Wirkliche Güte ist ein Himmelstalent, Gut sein kann man nicht erstreben und erbeten, es sowas einfach. Alle anderen können sich nur um irgendwie Anstand bemühen.
Wer aber mal einen wirklich guten Menschen kennengelernt hat, der ist sich sicher: Nicht mal Mutter Theresa war wirklich gut, sondern eine irdische Streberin.
Aber es gibt sie, diese Menschen: Das sind ganz unauffällige Erscheinungen, die noch nicht mal besonder klug sind.
So das war jetzt "Mon Credo". :-))
Berichtigung: Gut sein kann man nicht erstreben und erbeten, es gibt sowas einfach.
liebe magda, der text gefällt mir so gut, dass ich ihn gleich zweimal genossen habe.
du gibst dem frust über die frechheit der sendlinge (in jeder bedeutung des wortes) angemessenen ausdruck.
danke.
Danke lieber h.yuren, es freut mich, dass es Dir gefällt. Genau das soll das Ganze ja sein, ordentlich biestig und doch unterhalten.
Gruß Magda
Liebe Magda,
ein Blog von der Meisterin! Hammermässig gut! Danke!
Da möchte ich nur rufen, Pastor bleib bei Deinen liturgischen und spirituellen Themen, jeden falls was disen Pastor betrifft!
Herzliche Grüße
por
@ born2bmild - Den Link habe ich inzwischen auch gelesen. Sehr interessant und genau so zu verfolgen. Obwohl ich manchmal denke, dass diese Welle schon wieder im Abflauen ist.
@ Magada:
aber linksfeudal!,um "Erich währt am längsten" vornehm pastoral im Lobetal zu schonen oder?
JP
@ HoppelPoppel:
Atruismus hat womöglich Wurzeln in feudal blühenden Landschaften, wo die Altruisten als jene galten, die die Untertanen nicht schalten, noch willkürlich mit Zierstock, gar mit Knüppel, jähzornig wie beliebig traktierten, sondern zum Missfallen des hohen eigenen Standes, von langer Hand die Untertanen, Anempfohlenen, Mündel mit wohlbedachten Deputaten asymmetrisch, weg von Reformbewegungen, gar Revolutionen, Rebellionen, hin in die Richtung versandeter Erwartungen an die Zukunft demobilsierten, Ehrenämtler eben?
Die eigentliche Botschaft von Ehrenämtern scheint es mir, ist, dass alles andere an Arbeit ehrenlos erscheinen soll.
Dabei steckt in jeder Arbeit ein Stück Ehre = Ähre.
ist die Spaltung von Ehrenamt aus der normal entlohnten Arbeit folglich gewollt?, um einmal mehr alle Ehren Speere auf sich zu ziehen, damit die Arbeit weiter, mehr schlecht als recht, entlohnt, in vordemokratisch verfassten Wirtschaftsstrukturen organisert, ehrlos vor sich her und hin vegetiert, was die Ehren- Speere anbelangt, leer ausgeht?
tschüss
JP
Liebe Magda,
vergiss nicht,
das Böse ist für bestimmte Säkulare wie Klerikale, aus überkommener Traditon und anderen Rückfällen, so gut ein Rohstoff wie die Dummheit, die allerorten gesät wird, um Reichtum, "Ansehen" wie Nobelpreise für sich zu ernten.
Da fällt mir der Unteschied der Ablasspraxis mit der Drohung des Fegefeuers in der Katholischen kirche um 1517 ein, um die Münzen in den Klingel Beutel springen zu lassen, damit die Seele dem Teufel von der Schippe hüpft und der Evangelischen Kirche, die das ähnlich praktiziert, nur moderner, mit dem Augenzwinkern als Pastor/in:
"Gute Frau, guter Mann, ehrlich gesagt, ich weiss nicht, ob es das Böse gibt, aber es könnte ja sein.
Tun Sie lieber Ihren Kirchengroschen in den Klingelbeutel rein, dann sind Sie schon Mal für alle Fälle, selbst bei einer persönlich unvorhergesehenen moralischen Delle, auf der sicheren Seite".
tschüss
JP
"Sie kommt zum Schluß, dass Ehrenämter multimotiviert sind: "Selbst Frauen im sozialen Ehrenamt, die sich in hohem Maße als altruistisch motiviert sehen, erwähnen ganz eindeutig selbstbezogene Motive, die sie selbst als egoistisch bezeichnen."
Das ist ganz sicherlich so. Kein Mensch ist immer nur altruistisch. Aber wenn Frauen ihre Motive als egoistisch bezeichnen, dann sind sie vielleicht nur ehrlicher als Männer in diesen Funktionen.
Ich hoffe ich habe jetzt nicht in einen beliebigen Sinnzusammenhang "übertragen".
:-))
@ HoppelPoppel
ich kenne persönlich mindestens zwei Männer, die im Hospizbereich tätig sind.
Außerdem fällt mir der Pfarrer ein, der hier in Berlin die "Arche" betreibt, um Kindern im Brennpunkt zu helfen. Der hat ziemlich viele männliche Mitarbeiter, vom Geschäftsführer, über Koch und Lieferantenfahrern...
Ich glaube da nicht an eine solche geschlechtsspezifische Einteilung, eher eine wesens- und personenbezogene.
Kann man ohne "Spaß" im Hospiz arbeiten?
"Ich glaube da nicht an eine solche geschlechtsspezifische Einteilung, eher eine wesens- und personenbezogene"
Das kann durchaus sein, aber - wenn Männer sowas betreiben, wie dieser Pfarrer Siggelkow mit der "Arche", dann machen die auch mehr Gewese um ihre Arbeit.
Ich persönlich habe gegen Siggelkows Engagement auch ein bisschen Bedenken. Diese krawallige Art, das "Elend" anzuprangern stigmatisiert am Ende einen ganzen Bezirk in Berlin. Ein PR-erfahrener Mensch haut da auf die Pauke.
Und gänzlich verdächtig ist er mir mit seinem Buch über die sexuelle Verrohung der Kinder geworden. Er schildert da selbst erfoschte und erfragte Fälle und ich frage mich andauernd, warum er das so lautstark publiziert. Eigentlich denunziert er die Kinder ja mit den storys, die er kolportiert. Und ganz ketzerisch meine ich: Vielleicht sublimiert er selbst etwas mit solchen Geschichten von Kindern, die sich mit der Mutter zusammen Pornos angucken oder zu frühen Sex haben. Außerdem haben ihm mit seinen kruden Thesen. Experten schon widersprochen
Überhaupt diese Wohl- und Mildtätigkeit von so einem routinierten Frömmler von der Heilsarmee. Nee, danke.
Das ist sicher individuell. Ich persönlich muss (prinzipiell) Spaß an etwas haben, wenn ich es mache. Und ich möchte nicht, dass sich jemand für mich "opfert".
Guten Morgen liebe Magda,
"nach solchen Belernungen hatte ich heute morgen eigentlich überhaupt keine Lust mehr aufzustehen" schreibst Du - gute Menschen lassen einen ja auch gelegentlich liegen und bringen den Kaffee an's Bett,
dann kann man per laptop weiterbloggen:-))
Ihr seid ein gutes Team
denkt archie
"gute Menschen lassen einen ja auch gelegentlich liegen und bringen den Kaffee an's Bett,
dann kann man per laptop weiterbloggen:-))"
Hihi, geht auch, aber mir wärs nischt. Ich muss irgendwann 'raus und sehen, was los ist. Ich denke sonst, ich verpasse was.
Gutes Team stimmt. Eingespielt über die Jahre.
Gruß
Ich glaube ich weiß was Du meinst aber irgendwie ist ein Knoten in Deinem letzten Satz...oder meinem Hirn.
Der andere letzte, der davor.