Demokratie geht oft nur nach hinten los

Enthüllungen Dass immer alles ans Licht käme, ist eine Illusion. Die Gegenwart ist mehr von der Aufarbeitung vergangener Skandale geprägt und weniger von gegenwärtigen Enthüllungen.

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Das sei doch das Beruhigende an einem demokratischen System, meinte schon vor einiger Zeit der TTT (Titel, Thesen, Temperamente) -Moderator Max Moor mit leichter Süffisanz, dass am Ende immer alles rauskommt. Er bezog sich damals auf den schockierenden CIA-Folterbericht, der so merkwürdig verhalten diskutiert wurde und wird.

Auch der Moderator einer Morgensendung von deutschland.radio kultur zum Thema Ein Blick in die Hölle - der Folterbericht der CIA dimmte sofort das Entsetzen, das dieser Bericht eigentlich hervorrufen müsste, indem er das Beruhigende zum Thema machte. Und seine Gesprächspartnerin Sylke Tempel, die bei den Blättern für Internationale Politik schreibt, sekundierte, indem sie die Frohe Botschaft dieses Berichtes herausarbeitete:

Das System ist zur Selbstkorrektur

fähig. Na, das ist doch was

Frenzel:So grausam dieser Bericht ist – kann uns die Tatsache, dass es diese Form der öffentlichen Aufklärung gibt, beruhigen?

Tempel:Das beruhigt und beunruhigt, weil es beunruhigt natürlich noch mal, weil es im Grunde genommen ein Blick in die Hölle ist. Wenn man noch mal einen Blick darin kriegt, wie die Dienste völlig auf Abwege geraten sind. Und es beruhigt, dass da ein System ist, das zur Selbstkorrektur fähig ist und hergeht und sagt, das arbeiten wir auf, das stellen wir dar und vor allem machen wir das öffentlich. Das wird nicht nur intern gemacht, sondern das wird öffentlich gemacht, damit die Gesellschaft weiß, was da passiert ist.

Jaja, das ist schon toll an der Demokratie, gleich ob man das hiesige oder das überseeische Modell betrachtet, Irgendwann kommt alles raus: Z. B. der Einbruch in ein Hotel „Waterboarding“, (Pardon: Watergate) eine False-Flag-Aktion, ausschweifende Abhörmaßnahmen, Drohnentote, die so nebenbei anfallen auf der Suche nach Terroristen.

Wenn es wenigstens stimmte, dass alles rauskommt, aber es stimmt eben nicht. So eine Behauptung ist nur der Weichspüler in dieser allgemeinen Beruhigungsarie. Das meiste kommt eben nicht raus. Es scheint, in gewisser Weise, als hätten die Politischen Handwerker den Kohl-Spruch „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“, tief verinnertlich. Und wann „hinten“ ist, das ist sehr ungewisss.

Irgendwann kommt alles raus?

Eigentlich leben wir in einer Art von Retro-Demokratie. Sie enthüllt einiges was gestern war. Nicht alles, weiß Gott nicht, aber doch soviel, dass man diesen Spruch gern als demokratischen Kanon verwenden kann: „Irgendwann kommt alles raus“. Irgendwann, ja, aber die Gegenwart ist reichlich unbeleuchtet oder wird nur von der Seite beleuchtet, die lästige Fragen verhindert. Wenn man man mal von Snowden absieht, der natürlich viel enthüllt hat, aber was da „hinten“ rauskommt, hat mit einem DE-CIX Knotenpunkt zu tun und erhellt auch weniger als es sollte. Ich rechne auch da mit dem wirklichen Krawall erst in zehn Jahren.

Wenn also etwas Zeit vergangen ist oder auch längere Zeit, dann kommt so allerlei ans Licht. Z. B. CIA bekennt sich zum Militärputsch 1952 im Iran Das ist lange lange her und hat für die Gegenwart kaum eine Nutzanwendung.

Sofort taucht eine weitere bange Frage auf: Richtet sich die Qualität einer Demokratie nach der Zeitnähe der Enthüllungen? Wenn was zeitnah enthüllt wird, ist die Demokratie prima. Wenn es zu spät enthüllt wird, ist das System vielleicht schon im Arsch, wie bei der DDR. Genau, die war ja auch keine Demokratie.

Wenn man das auf die Frage von politischen Sauereien und deren Enthüllung schöpferisch anwendet, kann man Politiker_innen folgenden Satz in den Mund legen: Was wir heute an Gemeinheiten begehen, welche Gesetzesübertretungen wir auch begehen, wie gleichgültig uns heute auch die öffentliche Meinung ist, morgen werden die Politiker, Untersuchungsauschüsse und investigativen Journalistien gut davon leben. Gerhard Schröder: Wir haben in Serbien gegen das Völkerrecht verstoßen

Oder man legt die die christliche Elle an: Sind diese Enthüllungen nicht wie die Beichte? Es wird enthüllt, aufgedeckt und Bekenntnisse werden gesprochen. Dann wird rituell vielleicht sogar bereut, dann geht das Ganze von vorn los. Und hinten kommt wieder was raus. Es ändert sich wenig.Das ist alles so unbefriedigend und am Ende beruhigt es auch lästige Fragesteller nach dem Sinn des Ganzen nicht.

Wenn was nicht mehr da ist

enthüllt es sich am besten

Bessere Ablenkung und Beruhigung schaffen da Enthüllungen über ein System, das es gar nicht mehr gibt. Enthüllungen über den "Unrechtsstaat" DDR haben was Beruhigends und Befriedigendes. Denn sie ist ja weg, die DDR, das ganze System ist weg und da kann man dann enthüllen und enthüllen in aller Ruhe in der Gegenwart was Neues ausbrüten. Ein erlegter Drache ist ein gutes Ruhekissen.

Die Drachen der Gegenwart aber, die kann man selten erlegen.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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