Der "anderweitig konditionierte Volksteil"

DDR Geschichte Ob es um den Umgang mit der Geschichte generell geht oder um das Auschwitz-Gedenken, zunehmend werden im „Notfall“ Ressentiments gegen „Ostdeutsche“ zum Ersatzargument.

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Vorab zwei Kommentare in Michael Jägers Blog zum Auschwitz-Gedenken.

https://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/mit-aller-macht#1422537636018669

Habe - ganz für mich allein - sowieso den Eindruck, dass der vor 25 jahren eingewanderte, anderweitig konditionierte Volksteil sowieso eine andere "Sicht der Dinge" praktiziert, ganz anders gepolt wurde. Was es vierzig Jahre lang nicht gegeben hat, weil es so etwas nicht geben durfte, wird jetzt kräftig nachgeholt, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Ob das alles jemals ein Ende findet?

https://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/mit-aller-macht#1422612358413606

Wie, was? In einem "Unrechtsstaat" aufgewachsen zu sein soll ohne Spuren abgegangen sein ? Das hat sich aber beim Drachentöter anders angehört. Selbst wenn wir mal von dem ganzen Unrecht absehen, dass sie erlebt hat oder haben könnte. Wer in einer Diktatur - über die Verwendung dieses Begriffes streiten wir uns doch hoffentlich nicht - aufwächst, wird wohl kaum Demokratie und ihre Regeln mit der "Muttermilch" oder auch nur mit dem Stammtisch-Schoppen aufnehmen. Der muß sie, so bald es möglich wird, mühsam lernen, anlesen und üben. Wenn Kohl recht hat, reichten die mitgebrachten Erkenntnisse .ja nicht einmal für die Beherrschung des Essbestecks. (Bezug auf Angela Merkel)

Ressentiments und Klischees ersetzen Kenntnisse und Analyse. Nicht nur, aber auch deshalb schreibe ich noch einmal über eigene Erfahrungen zum Umgang mit der NS-Geschichte in der DDR.

Von Bremen-Oslebshausen

zurück nach Leipzig

Im Herbst 1945 kam meine Mutter nach ihrer Befreiung durch britische Soldaten aus dem Zuchthaus Oslebshausen bei Bremen und einer dramatischen Reise durch das gesamte Nachkriegsdeutschland wieder zurück nach Leipzig. Das war ihr letzter Wohnort gewesen und man hatte ihr geraten, sich dort zu melden, um ihre Angelegenheiten zu klären.

In Leipzig erlebte sie meist Desinteresse und Berfremden. Die Menschen hatten mit sich zu tun. Niemand wollte hören, was sich mit ihr ereignet hatte und niemand wollte hören, was sich in Deutschland ereignet hatte.

Dass es Konzentrationslager gab wusste meine Mutter schon vor ihrer Inhaftierung. Sie kannte den Spruch: „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau kumm“. Aber auch sie war schockiert als sie von den Ausmaßen des Schreckens hörte und las. So blieb sie lange eine Fremde.

https://www.freitag.de/autoren/magda/vom-wegsehen-und-vom-zuhoren

Lange Zeit auch musste sie um Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes kämpfen. Die Sicht auf die Vergangenheit war - damals in den fünfziger Jahren - sehr verengt. Ihre Geschichte als Katholikin, die französische Fremdarbeiter über die politische Situation informiert hatte, passte nicht in den offiziell verordneten Kanon, der nur Kommunisten zu Kämpfern gegen den Faschismus erhob, andere aber ignorierte und fast diskriminierte. Trotzdem war meine Mutter kurze Zeit Mitglied der bald wieder aufgelösten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes(VVN). Überhaupt änderten sich andauernd die Zuschreibungen. Später wurde sie „Opfer des Faschismus“ (OdF) und wieder später „Verfolgte des Naziregimes (VdN)

Obwohl meine Mutter nur ein Jahr in Haft war, hatte dieses Erlebnis sie gesundheitlich ruiniert. Wir waren immer wieder im Kinderheim, weil sie schwerkrank war und behandelt werden musste. Die Nazizeit war ein immerwährendes Thema. Meine Mutter besorgte Bücher über die Lager, wir sprachen darüber, sie erzählte von ihrer Odysee durch viele Zuchthäuser Deutschlands bis nach Bremen. Sie hat darüber auch Aufzeichnungen hinterlassen.

In der Schule waren Faschismus, Krieg und der antifaschistische Kampf etwas, worüber mit dem entsprechend geforderten Pathos berichtet wurde. Es war oft ein Tribut, den man den neuen Zeiten zollte.

Konkrete Menschen

waren keine Vorbilder

Konkrete Leute, die am Leben geblieben waren, auch noch in die Kirche gingen und ihre Kinder zur Schule schickten, brachten die Ordnung des Lehrplanes durcheinander. Ich hatte noch einen anderen Klassenkameraden, der einmal auf die Frage nach seinem Geburtsort „London“ angab, was auch ihm ein erstauntes kurzes Innehalten des Klassenlehrers einbrachte. Eine Ausnahmeexistenz irgendwie, auch er. Sein Vater war dort im Exil gewesen. Aber immer wieder gab es Lehrer, die auch aus eigenem Erleben mit uns über die Vergangenheit sprachen.

Ein Film mit

schockierenden Bildern

Ich war wohl so um die 10 Jahre alt, als ich mit einigen Schulkameraden den Film „Sie nannten ihn Amigo“ ansah. Er handelt von der Tapferkeit eines Jungen, der einem ausgebrochenen Häftling, Unterschlupf gewährt. Im Vorspann sind Originalaufnahmen aus befreiten Konzentrationslagern zu sehen. Sie waren von solcher Entsetzlichkeit, dass ich sie den ganzen Film über und über viele Wochen hinweg nicht mehr vergessen konnte. Skelettartige Gestalten rissen Gras aus und aßen es, Leichenberge überall. Einige Schulkameraden bewältigten den Schrecken auf ihre Art und sangen auf dem Heimweg etwas von „Lumpen, Knochen, Eisen und Papier, ausgeschlagene Zähne sammeln wir“, um so das Entsetzen wieder zu bannen. Ich habe nie wieder einen Spielfilm gesehen, der mit solch grausamen Dokumentaraufnahmen begann. Für alle Zeiten weiss ich jetzt, dass der Umgang mit Opfern als „Beweismittel“ ihre „Objektwerdung“ eine so schwierige Gratwanderung ist, dass sie meist sie zutiefst demütigend ist. Das hat sich in allen Prozessen gegen NS-Täter gezeigt.

Als ich meine Mutter von diesem Film erzählte, erklärte sie mir: Nein, das habe sie nicht erlebt, das sei auch ihr unvorstellbar. Sie sei im Zuchthaus gewesen und da seien die Leute roh und brutal behandelt worden, aber sie hätten nicht so gelitten wie die in der Nähe wohnenden jüdischen Schwestern Bormann. Die hätten das KZ überlebt und dort sei es so entsetzlich zugegangen. Aber sie habe schon gesehen, wie Menschen gestorben sind, aber das wolle sie mir jetzt nicht erklären.

Sichtweisen änderten

sich auch in der DDR

Der Umgang mit der NS-Zeit änderte sich in der DDR mit den Jahren. Vor allem die weltweite Anerkennung und eine neue Linie zu breiterer Bündnispolitik im Innern– schufen ein neues Klima. Ich selbst erinnere mich noch an einen eigenen Beitrag zu einem Dokumentarfilm über die Hitlerattentäter des 20. Juli. In den fünfziger Jahren war deren Widerstand kaum erwähnt worden, jetzt galt er als ein Exempel für ein breites Bündnis gegen die atomare Aufrüstung - freilich nur in Westeuropa.

In allen Zeiten aber gab es Filme und Bücher von großer Eindringlichkeit. Deshalb verstehe ich nicht, wenn in den heutigen Untersuchungen zum Thema, die einen fast schon unverrückbaren Kanon bedienen, behauptet wird,der Holocaust sei kein Thema gewesen in der DDR.

Der Historiker Arno Klönne machte sich vor einigen Jahren Gedanken zum Thema und fragte: DDR-Faschismus - nur ein Etikett?

Er lässt die Versäumnisse und Instrumentalisierungen nicht aus, aber er gibt ernsthaft zu bedenken: Daß gegenwärtig in manchen Regionen der neuen Bundesländer die neofaschistische Werbung günstigen Boden findet, ist nicht in erster Linie auf die inneren Schwächen des DDR-Antifaschismus zurückzuführen. Eher darauf, daß nach dem Untergang des ostdeutschen Staates im gesamtdeutschen ideologischen Trend mit der kommunistischen Tradition ja auch deren antifaschistische Inhalte verworfen schienen. Und ganz gewiß auch darauf, daß gerade im ostdeutschen Terrain nach dem Anschluß an die Bundesrepublik sich jene sozialen Verwerfungen kapitalistischer Ökonomie herausstellten, aus denen faschistische Demagogie ihren Nutzen zieht. Eine Ironie der Geschichte: So manches, was in der DDR mitunter reichlich schulmeisterlich dem Publikum über Herkünfte des faschistischen Weltbildes dargelegt wurde, erweist sich als realitätsnah in Zeiten, in denen der DDR-Antifaschismus allgemeiner Verdammung anheimfällt.

Das ist mir – jetzt im Zusammenhang mit der Pegida-Bewegung wieder in den Sinn gekommen.

Langes Ringen um

Anerkennung

Meine Mutter musste – wie oben schon erwähnt – lange um ihre Anerkennung kämpfen. Erst, nachdem Erich Honecker, der selbst im Zuchthaus Brandenburg gewesen war, die Macht übernahm, erhielt sie eine Ehrenpension. Ich wurde trotzdem nicht zum Abitur zugelassen, weil ich nicht zur Jugendweihe ging. Später habe ich die Abendoberschule besucht und das Studium wurde auch möglich. Dabei half mir die Vergangenheit meiner Mutter.

Trotzdem wären wir nie nach dem Westen gegangen, wie es die Pfarrgemeinde geraten hatte. Mit zwei Kindern ohne Vater in ein Land, das in den fünfziger Jahren so ohne jeden Willen war, sich der Vergangenheit zu stellen. Ein Land,in dem ein Muff herrschte, der sie und ihre Kinder ausgeschlossen hätte aus allem.

Der Streit mit manchen VdN-Kameraden, die dogmatisch und unbelehrbar waren, war manchmal hart, aber meine Mutter hat sich ihm gestellt. Dafür bezeichneten uns manche Leute, die uns kannten und sogar Mitglieder der Liebfrauen-Gemeinde als "Kommunisten", weil meine Mutter so eine andere Vergangenheit hatte als die hinzugekommenen Vertriebenen, die jetzt zur Gemeinde gehörten. Ich selbst habe von ihr und ihrem Leben gelernt, dass "Zwischen den Stühlen" zu leben oft eine sehr fruchtbare Lebenshaltung ist. Sie schärft den Blick.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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