Eine Menge Ärger hatte die MDR-Moderatorin Wiebke Binder nach der Sachsenwahl. Sie hatte die Vertreter der CDU und die AfD als „bürgerliche Parteien“ charakterisiert. Eine Mediendebatte war die Folge. Noch ist es ein ziemlicher Fauxpas, so etwas zu postulieren. Sicher hat sie damit an einem Tabu gerüttelt, das noch nicht reif ist für den Bruch.
Dabei ist – von der Performance her – die AfD in Westdeutschland ja ziemlich bürgerlich. Nur im Osten tobt sie sich hin und wieder so radikal aus – oder lässt austoben und stoppt es nicht. Eine Etage höher – bei Höcke und bei Gauland und Meuthen – geht es irre bürgerlich zu.
Ich frage mich, ob die nicht im inneren Kreis heimlich über die bedepperten Ossis lachen. Selbst dieser Pazderski von der AfD mit seiner großen Bundeswehrklappe ist ein Bürger, ein strammer Bürger allerdings.
Tellkamps bürgerlicher „Turm“
Es gab konservative „bürgerliche Kreise“ in der DDR. Es waren allerdings wenige. Schon bei der Schilderung der in Tellkamps „Turm“ begeisterten DDR-Bürgertums-Relikte ging mir das ziemlich auf den Keks, und ich denke jetzt bei mir: „Wären die am Ende nicht doch mit jemandem wie einem gewissem Björn Höcke kompatibel?“ Sicherlich nicht alle und nicht immer, z. B. wenn er auf den Plätzen rumbrüllt. Aber, wenn er sich diesen Anstrich bürgerlich-gebildeter Nachdenklichkeit gibt und auch Erbaulichkeit verbreitet, dann ist der doch richtig akzeptabel. Er hat Nietzsche gelesen, er ist ein Bewunderer des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Er hat ihn in einer Examensarbeit zitiert: „Alles wirkliche Leben ist Bewegung“.
„Auch wenn mein Bild in der Öffentlichkeit davon erheblich abweicht: Ich bin von meinem Wesen her auf Offenheit Dialog und Ausgleich angelegt“, erklärt er in seinem Interviewband „Nie zweimal in denselben Fluss“.
Wie schön, das passt doch gut in die bürgerliche Welt mit den dicken Klassikerbänden im Bücherschrank.
In Robert Habecks Beitrag Halle und Höcke können die eindeutigeren Statements von Höcke nachgelesen werden.
Rückblick auf einen Streit
In Dresden gibt’s das „Buchhaus Loschwitz“, dort herum rankten sich vor einiger Zeit die Kämpfe um die Bürgerlichkeit der AfD, nachdem die CDU dies nicht mehr so recht bietet.
Die Inhaberin Susanne Dagen fand es legitim, „Gerechtigkeit für Pegida“ zu fordern und fand sich danach recht umstritten wieder. Sie beklagte den Boykott durch einige ihrer ehemaligen Kunden. Ein schönes Feature hat sich mit dem Streit um diese Buchhandlung und die Debatte um deren – total bürgerlich daherkommende – Rechtsentwicklung befasst. Die süße Krankheit Elbhang.
Noch einmal zu Uwe Tellkamp. Er, der die DDR auf einer Kohleninsel verortete und entsorgte, ist ein Vertreter jener Restbürgerlichkeit, die damals von einem Teil der Presse fast frenetisch bejubelt wurde. Dabei war schon vor „Der Turm“ ziemlich deutlich, wohin Tellkamp tendierte. Erst seit Kurzem wird sein Buch „Der Eisvogel“, das sich absolut demokratieabgewandt mit den Suchbewegungen merkwürdig völkisch-intellektueller junger Leute befasst, wieder einbezogen in die Debatte um die Dresdner konservative Szene. Hier ein Beitrag im Tagesspiegel.
Der Streit um die Bürgerlichkeit der AfD und der Streit innerhalb der CDU um mehr Konservatismus usw. – das alles sind Bewegungen aufeinander zu, bei denen man sich fürchten muss.
Aber es gibt auch ermutigende Signale: „Nazinotstand“: Dresden verabschiedet Grundsatzerklärung gegen Rechts.
Kommentare 30
man sollte halt den "parlamentarischen arm" der AfD nicht für
die ganze bewegung nehmen, der "flügel" spannt sich weiter.
Gerade auch der parl. Arm geht ganz genau inszeniert/orchestriert nach wiederkehrendem Plan vor: Im Abstand von jew. 2-3 Wochen werden zu einem Thema 3 Aussagen lanciert, von denen die ersten beiden absteigend von höchst skandalös = antibürgerlich bis rechtsextrem=non-bürgerlich reichen, die dritte Aussage verharmlost dann das bisherige "Mißverständnis" zu einer rechtskonservativen, noch-bürgerlichen Form. Vergl. Gauland im WK zur BT-Wahl 2017.
Magda, Sie kommen auf den Nürnberger Trichter.
Die neue autoritäre oder illiberale Gesellschaft formiert sich immer in der Mitte. Denn es sind die Bürgerlichen, vom reichen, oftmals noch in der Deckung bleibenden, Finanzier, über den situierten männlichen Mittelstand, bis hin zum ständig in geheimer Furcht vor dem sozialen Abstieg lebenden Rentner oder Pensionär, die einen solchen Staat erwählen wollen und ihn dann auch erhalten, bis in die nächste Katastrophe.
Ganz wichtig sind auch die vielen Beamten, die sich mittlerweile klammheimlich oder schon offen dazu bekennen und helfen.
Ausgesprochene Bücherwürmer: Stalin, Mao, Gröfaz, Orban, Pol Pot,....Goebbels war Germanist und hielt sich, mit dem Roman "Michael", auch für einen Schriftsteller. Alas.
Das Buber- Zitat zeigt aber sehr eindrücklich, dass Höcke ihn zwar gelesen haben mag, aber einen Satz auswählte, der völlig untypisch für den Kern des Buberschen Denkens ist. Ausgerechnet "ich und du" und das "Dialogische Prinzip", sind doch völlig AfD- und Höcke- fern.
Tatsächlich hat Höcke, das ist wohl auch der Grund, warum er das mit Buber so betont, einige Jahre am Groß-Gerauer Martin- Buber Gymnasium unterrichtet und in dieser Zeit, nebenher, einen Master in Schulmanagement erlangt.
Das Allerweltszitat zu Buber lautet allerdings: "Alles wirkliche Leben ist Begegnung", nicht "...Bewegung". - Wenn Sie also einem typischen Freudschen Fehler erlagen, korrigieren Sie es bitte nicht, denn das will Höcke ja schon, eine "Bewegung". So passt der Satz, für diesen bürgerlichen Faschisten.
Bis demnächt
Christoph Leusch
Danke für Ihren Kommentar. Ja, ich habe mich verschrieben, lass es aber gern stehen. Höcke hat noch mehr solche Einschübe, bei denen er anklingen lässt, wie "human" er ist. Mir gings auch noch ein bisschen um diesen Tellkamp, der so gefeiert wurde - einst.
In und um den Weißen Hirschen und Loschwitz bin ich einst gestreift, als da noch DDR war und in der Dresdner Neustadt die Ahornschösslinge aus den maroden Dächern und Regenrinnen der Bürgerhäuser sprießten.
Da, vor oder hinter dem Ardenne- Institut, konnte man so manche Bürgerlichkeit erkennen, die sich heute, weil sie meist regelrecht rausgekauft wurde, vom Geld aus dem Westen, sich angeblich benachteiligt fühlt, aber über Jahre Biedenkopf und seine CDU wählte, statt der Linken und der SPD eine Chance zu geben.
Diese durch und durch bürgerlichen Leutchen wählen heute, wie eben auch die Kulturhäuslerin und geborene Dresdnerin, AfD. Nicht aus Protest, sondern aus Überzeugung!
Ohne Frage, ist der politische Kampf um diese Mitte, die grundsätzlich eine Tendenz hat rechts abzubiegen, entscheidend für die Entwicklung unseres Landes.
Tellkamp hat den Duktus dieser Gesellschaft, rund um die Eierschecke und den Schwerterkaffee, die nicht viel anfangen kann mit Weltbürgertum, Multikulti und Kantscher Sittenlehre, obwohl das alles in den Bücherregalen steht, zumindest gut eingefangen.
Beste Grüße und nur weiter
Christoph Leusch
ja,
das leben auf bürgerliche art ist kein leichtes,
sondern aufreibend,verschleißend, kräfte-raubend.
der zwang zur ständigen anpassung an beherrschende fort-schritte,
fremd-bestimmt durch kapital-akkumulations-automatik,
der sorge darum, "wo man bleibt": generiert wünsche,
die zeit anzuhalten, zeit-läufte einzufrieren, kontrolle zu gewinnen.
insofern kommt die reaktion aus der mitte der bürgerlichen gesellschaft,
eine kollateral-erscheinung.
Sehr schöne freie Rythmen. Das ist schon was dran.
ich nehm das als: hart-errungene zu-stimmung.
Auweia - eigentlich "rechte Mitte" - soviel Zeit muss sein. Vor allem die Neoliberalen ärgern sich über ihren rechten Ableger, der ihnen jetzt die Stimmen klaut. Lieber blau als rot, war die Devise. (Zauberlehrling) Über die gemeinsamen Inhalte schweigt man lieber und betreibt mediale Abschottung. (Aus welchen Parteien kam eigentlich das AfD-Führungspersonal?)
Auch wenn es zu schematisch scheint, sollte man genauer bürgerlich und kleinbürgerlich unterscheiden. Die Bürger sind mit dieser Gesellschaft einverstanden, und viele können gut mit deren Rechtslastigkeit leben, auch mit einem Normalfaschismus oder in der Banalität des Bösen, solange die Form gewahrt bleibt. Die Kleinbürger sind mit dieser Gesellschaft unzufrieden, sie sind teilweise mit dem Zivilisationsbruch, dem Rechtsextremismus, also dem Faschismus im engeren Sinn einverstanden. Es ist im wesentlichen der Unterschied von Etablierten und Zukurzgekommenen.
Für die Linke sind beide Gruppen schwer zu erreichen, die Kleinbürger aber wohl eher als die Bürger, die einen, wenn es gelingt, ihnen die Augen zu öffnen für das, was wirklich für ihre miese Lage verantwortlich ist, die anderen durch Konfrontation mit der Erfahrung kognitiver Dissonanzen, wenn sie nicht vollkommen zynisch sind, noch an bürgerliche Ideale glauben.
Ihre Abgrenzungen der Begriffe kann ich nicht nachvollziehen: Bürgerin, Kleinbürgerin, Linke. Allein die Kodifikation des Privatrechts ist im Bügerlichen Gesetzbuch (!) niedergelegt. Darin finden auch Linke ihr Recht.
Linke von Bürgerinnen oder Kleinbürgerinnen abzugrenzen, ist problembehaftet, auch wenn "Bürger" als politischer und nicht als rechtlicher Begriff gemeint ist. Der abwertende Kleinbürgerliche trifft auf die meisten Einwohnerinnen und Einwohner diese Landes zu. Ich selbst schließ mich da ein. Trotzdem würde ich mich nicht zwingend als politisch rechts stehend einordnen. Aber: Selbstzuschreibungen bleiben immer problematisch.
Klar ist die AfD ne bürgerliche Partei. Was denn sonst? Wer sich selbst als humanistischen, politisch korrekten Bürger empfindet, dem sein zum "Trost" gesagt, dass Bürger nicht zwangsläufig Faschisten sein müssen. Aber Faschisten sind immer Bürger. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Prolls, die, weil sie ihre Körper nicht mehr gegen Lohn an die Kapital-Bürger verkaufen können, vor lauter Zorn die Gewaltfähigkeit eben dieser Körper zur Verfügung stellen.
Der Begriff "bürgerlich" ist außer bei der gutbürgerlichen Küche vor allem ein politischer Kampfbegriff zur Ausgrenzung von Parteien und Bewegungen. Noch vor nicht allzu langer Zeit galt die schwarz-gelbe Koalition als Koalition der bürgerlichen Mitte, weil sie aus den bürgerlichen Parteien bestand, zu denen die Sozialdemokraten und Grünen erstaunlicherweise nicht gehören sollten. Inzwischen zeigt sich das Bemühen, das Spektrum der bürgerlichen Parteien um die SPD und Bündnis 90/ Die Grünen und die Schmuddelkinder am linken und rechten Rand auszugrenzen, wobei die Linkspartei Ramelows schon fast bürgerlich akzeptabel erscheint.
So verhält es sich mit Etikett "bürgerlich" ähnlich wie mit dem Begriff der politischen "Mitte", in der, wie alle wissen Wählen gewonnen werden, weshalb allein schon deshalb die thüringische AFD zur Mitte gehören müsste.
Wäre es da nicht hilfreicher, sich der Bezeichnung "bürgerlich" über die Betriffe "citoyen" und "bourgeois" zu nähern?
Absolut richtig. Es ist fatal, daß unsere Sprache nicht sauberer zwischen beiden Begriffen trennt und der Verwechslung Einhalt gebietet. „citoyen“ bezeichnet die zivilisatorische Verbürgerlichung, den Komplex aus Individualisierung und Vergesellschaftung, Herausbildung von Institutionen und der Privatsphäre, Rollenhandeln und Ich-Identität. „bourgeois“ ist nur die kapitalistisch-“bürgerliche“ Form dieser Zivilisationsentwicklung. Die freilich eine Zeit lang ihr Motor war. Die Verwechslung begann mit dem Kampf und Sieg des Bürgertums, der unter universalistischen Idealen geführt und erkämpft wurde und die von der siegreichen Klasse weit weniger universell verstanden wurden. Freiheit wurde sehr schnell zur Freiheit des Eigentums.
ein vorschlag zur begrifflichkeit. im osten gibt es proletariat und subproletariat. die wenigen ausnahmen entscheiden keine wahl.
Die Diskussion, ob die AfD eine bürgerliche Partei ist, wirkt etwas aus der Zeit gefallen. Die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin AKK geht schon einmal in die Vollen, vorerst beim Reden. Im Tagesspiegel wird festgestellt, "Wie weit das Land schon gekommen ist, zeigt sich auch daran, dass die Verteidigungsministerin gleich zwei in der Vergangenheit sehr umstrittene Sätze in ihre Rede schmuggeln kann: Eine Anleihe an Peter Strucks Satz von der Verteidigung der deutschen Sicherheit am Hindukusch (AKK: „Die Sicherheit in der Sahelzone ist Teil unserer Sicherheit.“) und das Interesse Deutschlands an der Verteidigung freier Handelswege – ein Diktum, das noch 2010 den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler derart unter Druck brachte, dass er zurücktrat."
Sevim Dagdelen, die stellvertretende Vorsitzende und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, stellt die Rede in ihrem Beitrag "Neuer deutscher Imperialismus" auf Telepolis ausführlicher vor.
neuer deutscher imperialismus?
wenn die langjährige schutzmacht/der vor-kämpfer
den schutz entzieht, nicht mehr für uns spricht und droht,
ists zeit, verheimlichte eigen-staatliche interessen zu outen.
bitter-klingende, ungeschönte wahrheiten: werden spruch-reif.
Das ist nicht aus der Zeit gefallen. In jedem dritten Statement erklärt die AfD, dass sie eine bürgerliche Partei sei und eben so stereotyp wird sich darüber empört. Von daher ist das schon aktuell, weil es nach wie vor um Bündnisse geht, die - noch - abgelehnt werden.
***** wobei die bei näherem Hinsehen im Durchschnitt gar nicht so abghängt sind, wie über sie gemutmaßt wird.
...von der Eierschnecke zu suhrkamp, um schließlich nach Schnellroda abzubiegen- qls echter "Geisterfahrer"
Bei dem Begriff „bürgerlich“ ist mir, seitdem ich (halbwegs ;) ) reflektieren kann resp. in der Schule davon die Rede war, blümerant zumute und dass AfD WählerInnen noch immer gemäß Asbach Uralt-Faschismustheorien unisono ins Lager der irgendwie Abgehängten, Verunsicherten gar Hartz IV Empfänger geschoben werden, ist seltsam. Seit Jahrzehenten sind die Zahlen (22-27% der Bevölkerung, gerne lasse ich mich hier korrigieren) hierzulande konstant bezüglich antisemitischer, fremdenfeindlicher (insbesondere Sinti und Roma) homophober, genderfeindlicher Einstellungen. Seit Jahrzehnten belegen Studien, dass rechtskonservative bis rechtsradikale Einstellung quer durch alle Gesellschaftschichten und Bundesländer (etwas mehr im Osten) gehen- zuletzt das Bielefelder Projekt von Wilhelm Heitmeyer. Nun haben die in der AfD mit den Krawallmachern von Storch, Weigel, Höcke etc. eine Partei gefunden in der sie sichtbar werden.
Interessant zum Verhältnis Medien; Journalisten und „Mitte“ sowie alarmistischer Tonfall in den Studien:
Juliane Wiedemeier. Darf’s ein bisschen rechtsextremer sein? Über Medien vom 30. April 2019
Interessant auch die Analyse von Studien: Seddik Bibouche | Josef Held | Gudrun Merkle. Rechtspopulismus in der Arbeitswelt Eine Analyse neuerer Studien. edition 238
Bemerkungen zur heutigen ausschließlich bürgerlichen Parteienlandschaft in Deutschland.
In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist die AfD ebenso eine bürgerliche Partei, wie es die NSDAP in den Jahren ihrer offiziellen Existenz war.
Alle parlamentarischen und außerparlamentarischen Parteien in Deutschland, einschließlich der rechts-sozialdemokratischen, liberal und konservativ kapital-faschistischen, sind bürgerliche Parteien.
Die einzige Partei nach ihrer Gründung zu Beginn der Weimarer Republik und ihrem Verbot in der westdeutschen Bundesrepublik 1956, die keine bürgerliche Partei war, das war die KPD. Das führte in ihrer Geschichte sowohl zu ihrer physischen Vernichtung im Faschismus, als auch zu ihrer ideologischen Aufhebung im Neoliberalismus.
Den wenigen Überlebenden des Faschismus, dabei gleichermaßen in Westdeutschland wie in Ostdeutschland, konnte es nicht mehr vor und nach 1989/1990 gelingen, eine tragfähige ideologische Grundlage für die weitere gesellschaftspolitische Existenz der Kommunistischen Partei in Deutschland zu schaffen.
Die ideologische Wirkungsmacht des Neoliberalismus in der bürgerlichen Gesellschaftsordnung bestimmt heute auch die Gesamtheit der bürgerlichen Linken in Deutschland. Der eigenständigen Entwicklung einer revolutionären Linken wurde dauerhaft die Basis in der eigentumslosen Erwerbsbevölkerung Deutschlands entzogen.
Auch die (reale) Arbeiterklasse ist heute infolge ihrer tiefenpsychologischen Manipulation und Entfremdung untrennbar mit der kapitalistisch-imperialistischen Gesellschaftsformation Deutschlands verbunden.
Was die SPD und die NSDAP nicht schaffen konnte, das antiimperialistische Klassenbewusstsein in den proletarischen Teilen der Gesellschaft auszuschalten, das ist nach 1949 den ökonomischen und gesellschaftspolitischen Eliten Westdeutschlands nachhaltig bis heute gelungen. – Deren (westliche) Wirkungsmacht war auch während der Zeit der historischen Existenz der SED und DDR so groß auf das Massenbewusstsein der (ostdeutschen) Bevölkerung, dass opportunistische/revisionistische Positionen ungebrochen bis heute dominieren.
Es gibt heute in Deutschland keine marxistisch-antikapitalistische Parteien mehr, auch keine Kommunistische Partei. Allenfalls handelt es sich um bürgerlich-ideologische Konstruktionen.
PS: Vorgeblich linke Parteien, die den Pseudokommunismus und Bourgeoissozialismus in anderen Ländern und Weltregionen ideologisch/theoretisch verherrlichen, dienen vorrangig deren außenpolitischen Interessen dieser feudal strukturierten Staats- und Regierungsparteien. Es handelt sich dabei auch um antikommunistische Organisationen unter falscher Flagge.
Info-Empfehlung: Mausfeld: Die neoliberale Indoktrination. Elitendemokratie und Neoliberalismus. Reich: Die Massenpsychologie des [Kapital-] Faschismus.
09.11.2019, R.S.
"Dabei ist – von der Performance her – die AfD in Westdeutschland ja ziemlich bürgerlich. Nur im Osten tobt sie sich hin und wieder so radikal aus – oder lässt austoben und stoppt es nicht."
Ich meine, das stimmt so nicht. Wenn die AfD verbal schlägert, gibt es keinen Unterschied zwischen Ost und West. Erst gerade kürzlich wurde aus der AfD München-Land heraus konstatiert, es werde "uns" wie den Indianern in Amerika ergehen. Anlass war die Wahl des neuen Nürnberger "Christkindl", welches dieses Mal keine blonden Locken und keine helle Haut hat. Höcke und Gauland - eh klar, aber auch Weidel und von Storch sind im Scharfmachen immer vorn dabei. Bürgerlich - sicher. Und aus dem Westen. Auch der Spitzenkandidat zur Wahl in Brandenburg stammt aus Bayern. Die AfD wird nun im Osten am meisten gewählt; die Rhetorik findet dort mehr Anklang und wird auch mehr in alltägliche Angriffe umgemünzt.
Gemeinhin geht das Lied doch so: Eine fehlende Bürgerlichkeit im Osten mit einem durch DDR-Sozialisation und üblen Nachwende-Erfahrungen gezeichneten Übergewicht an demokratieunfähigem und verrohtem Plebs ist schuld an der Rechtslastigkeit und überwältigenden AfD-Wahlerfolgen. Eine "bürgerliche Mitte" wird immer noch und immer wieder als Stabilitätsgarant und Garant für eine funktionierende Demokratie ins Feld geführt. Allerdings müssen wir sehen, dass Letzteres eine Formel ist, an der so viel Wahres dran ist, wie sie eine hohle Vereinfachung ist. Denn hier müsste tatsächlich der Begriff von "Bürgerlichkeit" geklärt werden, worauf Endemann oben hinweist. Sicher sollen wir den des citoyen verstehen. Schwingt aber nicht eigentlich immer die Bedeutung von bourgeois mit bzw., meint die Bourgeoisie nicht eigentlich oder tatsächlich nur sich? Im Kapitalismus kann es nur die bourgeoise Bürgerlichkeit geben. Der Staatsbürger ist durch jene so eingeengt, dass der Vollbegriff vom citoyen nicht erfüllt wird. Er war und ist allenfalls ein Ideal. Staat machen nicht die, die wählen und nicht einmal wirklich die, die gewählt werden. Die, die Macht haben werden nicht gewählt (soll sogar Horst Seehofer so eingeräumt haben). Der Wettbewerb der Bourgeoisie ist das herrschende Prinzip und das kann keine Radikalismen und keine Stimmungsschwankungen gebrauchen, die es nicht selbst erzeugt. Das Famose ist, dass trotz aller nicht zu kalkulierenden Schwankungen und Krisen im System, der Kapitalismus das stabilste instabile System ist, das die Menschheitsgeschichte wohl bisher gesehen hat. Daher hält sich wohl auch das Postulat von der bürgerlichen Mitte und vor allem, dass wir dort alle sein können, wenn wir nur wollen.
Ich kenne auch noch aus einem Teil meiner Familie bourgeoisen Habitus aus Opposition zur DDR, was auch zu gewaltigen Konflikten in der Familie gesorgt hat. Tellkamp habe ich nicht gelesen. Aber ob an einer Stilisierung zur echten Opposition so viel dran ist, möchte ich doch bezweifeln. An diesem Punkt nun verstehe ich, glaube ich, auch die Schlagrichtung Deines Artikel nicht so recht. Der eine "DDR-Bürgerlichkeit" feiernde und Pegida-affine Tellkamp soll also eine Art Prototyp bürgerlicher AfD-Zuneigung auch aus im Osten sein, der doch an sich als proletarisch-roh zu begreifen sei?
Dass die AfD eine bürgerliche Partei ist - sicher. Auch die Post-Lucke-AfD. Damit kommen wir zurück zur Begrifflichkeit von Bürgerlichkeit. Die AfD ist keine Partei des citoyen, sicher. Der Ausschluss aus dem bürgerlichen Spektrum ist zunächst einmal als Wahlkampf der sich als "Mitte" begreifenden Parteien.
Im Durchschnitt, ja. Es gibt aber immer auch Abweichungen von diesem. Das sind die unter den Anhängern, die am meisten gegen ihre wirklichen Interessen handeln, weil sie ihre wirkliche Lage nicht erkennen (können und sollen).
Lieber goedzak, ich bezweifle ganz und gar nicht, dass WählerInnen in prekären Situationen, die AfD wählen. Die Statistiken über Leute mit Rechtsdrall liegen nun mal von unterschielichen Instituten, Institutionen vor. Es zeigt sich , dass die AfD nicht einfach eine Partei von ungebildeten AlmosenempfängerInnen ist.
"gegen ihre wirklichen Interessen"- Es steht mir nicht an, "die wirklichen" Interessen von Anderen zu definieren. Aber ja, wer denen am Ende zur Regierung verhielft, hat mit Konsequenzen zu rechnen, etwa Hartz IV-EmpfängerInnen mit Kürzungen von Leistungen. Deren Sozialagenda ist antisozial, Über die Folgen für Freiheitsrechte möchte ich erst gar nicht nachdenken....
Eine schöne kreative Woche wünscht Dir am
"Der eine "DDR-Bürgerlichkeit" feiernde und Pegida-affine Tellkamp soll also eine Art Prototyp bürgerlicher AfD-Zuneigung auch aus im Osten sein, der doch an sich als proletarisch-roh zu begreifen sei? "
Nicht Tellkamp allein, sondern eine ganze Reihe anderer Protagonisten. Die Geschichte der Buchhandlung in Loschwitz habe ich oben verlinkt. Monika Maron z. B., hat sich auch komplett in die Reihe derer, die endlich mal noch was sagen wollen, gestellt.
Mir gings vor allem um die Streiterei um "Bürgerlichkeit", die von der AfD behauptet als Bindemittel zur CDU. Und die von den anderen Parteien immer wieder bestritten wird. Es wandelt sich halt das Bild. Der mediale Blick bewegt sich auf die Ostprolls, hinter denen die Zugewandtzeit von Bürgern und auch Kulturschaffenden verschwindet.
++ Das Famose ist, dass trotz aller nicht zu kalkulierenden Schwankungen und Krisen im System, der Kapitalismus das stabilste instabile System ist, das die Menschheitsgeschichte wohl bisher gesehen hat. Daher hält sich wohl auch das Postulat von der bürgerlichen Mitte und vor allem, dass wir dort alle sein können, wenn wir nur wollen. ++
Das ist wahr. Auch weil sich in unseren Breiten noch immer viele Menschen als "Gewinner" in ihm fühlen.
Dieses mittlere Bürgertum … das sind doch die, welche sich gut eingerichtet fühlen und Unbequemlichkeiten mit kleinen, möglichst schmerzlosen Änderungen verbessern wollen.
Ganz klar, dass diese „Mitte“ immer kleiner wird.
Echte Bewegung kommt von den Rändern und ist immer schmerzvoll.
Wenn also die gebildete Mitte so genau weiß welches Ungemach der Welt droht, dann muss sie sich für einen der Ränder entscheiden – oder bis in den eigenen Untergang mit Denken, Analysieren, Disputieren und Schreiben verbringen. – Je genauer sie aber Analysieren, desto mehr bewegen sie sich auf einen der Ränder zu…
Ganz offensichtlich ist die AfD bürgerlich, also bourgeois (im Sinne von Marx oder Bourdieu), so wie die anderen europäischen autoritär-faschistischen Bewegungen und Parteien auch.
Soziologisch: auf der Führungsebene ökonomischer "Mittelstand", ehemalige CDU-Politiker, Juristen, Bildungsbürger, Ex-Offiziere u.ä., insofern durchaus den Vorgängerparteien der 20er Jahre vergleichbar, zum Teil mit den Rechten der Parteien der Mitte und auch Kulturschaffenden (blödes Wort) flirtend,
und programmatisch: ökonomisch als Bourgeois strikte Vertreter des Unternehmerstandpunkts, der Freiheit des Privateigentums und Gewerkschaftsgegner, kalt neoliberal, politisch als scheinheilige angebliche Sprecher der kleinen Männer und Frauen, der urdeutschen natürlich, denen diesmal nicht die Juden (ändert sich das momentan?), sondern die Einwanderer, vor allem wenn sie Muslime sind, als Hassobjekte vorgeworfen werden. Und auch hier werden Signale an andere bürgerliche Parteien gesendet (die zum Teil auch zurückfunken, auch dies nichts Neues).
Was das für den antifaschistischen Kampf (ja, das Wort bekommt langsam wieder Bedeutung) heißt, scheint klar:
"Es macht uns ein Gespräch nicht satt, da muss schon Essen her!". In Frankreich hat 1935/36 der Front populaire den Faschismus kleingehalten, und zwar mit emanzipativer Politik in Richtung besseres Leben und mehr Demokratie. Es geht um Würde für alle Menschen, eben um Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Die Bedingungen sind natürlich nicht mehr die gleichen, aber das Prinzip gilt nach wie vor. Es ist jedoch in Gefahr. Die Wahlergebnisse in Deutschland und Spanien und die Prognosen für Frankreich (45 Proz. für M. Le Pen im 2. Wahlgang 2022!) sprechen für sich.
Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse kein Anlass für Optimismus.
das, was die AfD von anderen besitz-bürgerlichen parteien unterscheidet,
ist ihre kollaboration mit dem --> mob.(wikipedia)