„Der Dritte“ und „Anlauf“

Rückblick Die DDR-Regierenden wollten Filme, die ihnen beim Regieren helfen. Die Filmemacher wollten zeigen, wie die „Regierten“ versuchen, ihren Alltag zu leben

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„Der Dritte“
„Der Dritte“

Bild: Poster

Kürzlich habe ich mir mal wieder einen DEFA-Klassiker angeguckt

DER DRITTE (Regie: Egon Günther, Hauptrollen Jutta Hoffmann, Barbara Dittus, Rolf Ludwig). Ein Film, der 1972 sehr diskutiert wurde mit wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspielern. Er spielt in Halle Neustadt, damals eine Kulisse des Aufbruchs und heute eine Plattenbau-Landschaft der Resignation.

Es geht um eine Frau in ihren Dreißigern, in der sich viele Frauen damals wiederfanden. Sie zeigt Selbstbewusstsein, Aktivität, aber auch Erschöpfung und Einsamkeit.

Jutta Hoffmann in einer Glanzrolle

Jutta Hoffmann denkt in ihrer Rolle als Margot Fließer über ihre beiden verflossenen Liebespartner nach, von denen sie je ein Kind hat. Sie zieht sie allein auf und möchte gern beim „Dritten“ ganz sicher gehen. Und da erlebt sie, wie schwer es auch für eine Frau, die emanzipiert ist, einem Mann zu sagen, dass sie ihn begehrt. „Ich will, dass Du mich siehst, dass Du mich erkennst". Fast biblische Worte am Ende.

Die DVD mit dem Film enthält auch Bonus-Material. Interviews mit dem Regisseur Egon Günther und dem Drehbuchautor Günther Rücker. Dass mit diesem Film immer an einer Verbotsschranke entlang laviert werden musste, war schon damals vorstellbar. Das Politbüro wollte Filme, die ihnen beim Regieren helfen, so die ironische Anmerkung.

Aber, die Art der Verbotswünsche ist so symptomatisch und wirft einen Blick auf die Kleinlichkeiten des Lebens, besonders des kulturellen der DDR.

Verbotskultur der Kleinlichkeiten

Günther Rücker erzählt: Es war in der DDR überhaupt kein Thema, dass eine Frau zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern hat. Aber, dass sich in einer Szene einmal zwei Frauen erotisch küssen, rief eine gewisse Inge Lange, Leiterin der Abteilung Frauen beim Zentralkomitee der SED, auf den Plan, die sofort nach einem Verbot schrie.

Zweiter Knackpunkt in dem Film ist eine Szene, in der die noch jugendliche Heldin im FDJ-Hemd im Radio das italienische Kampflied „Avanti Popolo“ hört und aufgeregt und begeistert anfängt zu tanzen. Damit reißt sie auch den Dozenten, in den sie verliebt ist, mit.

Der Einwand damals lautete, so ein Kampflied der Arbeiterklasse dürfe nicht durch einen Tanz trivialisiert werden. Als ich das so hörte, dachte ich, die hatten wirklich einen Knacks diese DDR-Oberen. Mit solch einem Quatsch haben die sich beschäftigt.

Die Brisanz der Szene, in der die Oberin der Diakonissinnen ihre Meinung über die Zeiten und ihren Wechsel und die Gegenwart äußert, ist offensichtlich niemandem weiter aufgefallen.

Die neue Zeit ist bald die alte Zeit

„Die neue Zeit ist bald die alte Zeit, aber immer wird der Mensch uns brauchen,“ prophezeit sie fast hellsichtig.

„Die Welt, wer will Sie Dir denn nehmen - so schön ist sie nicht“, so ihr bitterer Abschied von Margit, die sich vom Orden befreit und am Aufbau des Sozialismus mitwirken will.

Der Film erinnert im besten Sinne an die DDR. Er macht deutlich, dass die Menschen versuchten, die Hoffnung nicht zu verlieren und dem Leben ihr persönliches Glück abzutrotzen. Aber, er zeigt auch, wie schwer es war, den manchmal auch mühsam aufrechterhaltenen Optimismus zu verteidigen.

Anlauf zu einer neuen Politik

Kurz vor „Der Dritte“ hat Egon Günther einen Film gedreht, der von diesem Optimismus handelt. Das war im Vorfeld des VIII. Parteitag der SED, der damals als wegweisend galt im Bemühen, den Menschen mehr Mündigkeit bei der Suche nach ihrem persönlichen Glück zu ermöglichen. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik war damals das verkündete Motto. Reformfreudigkeit wurde bekundet.

ANLAUF nannte sich der Fernsehfilm, ebenfalls mit Jutta Hoffmann in der Hauptrolle. Auch an ihn kann ich mich noch erinnern, weil schon die Formensprache deutlich machte, dass neue Wege gegangen werden sollen. Kürzlich wurde er in Berlin noch einmal gezeigt und Jutta Hoffman war auch dabei. Es ist nichts geworden aus dem „Anlauf“ – die sozialpolitischen Maßnahmen der DDR waren einfach nicht zu erwirtschaften. Und auch der kulturelle Aufbruch versandete wieder.

Egon Günther ging Ende der 1970er Jahre nach Westdeutschland, arbeitete dort, behielt aber seinen DDR-Pass. Erst 1990 kam er zurück und war Dozent an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. 2017 ist er gestorben.

Die Filmgeschichte der DDR ist neben vielen trivialen und Allerweltssachen auch ein spannender Rückblick auf ein ständiges Ringen mit der DDR-„Obrigkeit“ und die zunehmende Einsicht, dass das „nischt wird hier“, wie die Heldin in „Der Dritte" in anderen Zusammenhängen ausruft.

In den Sinn kam mir, als ich den Film wiedersah, auch das "Lied für Maria" ,

"DIESES LIED SING ICH DEN FRAUEN"

das in jenen Jahren sehr bekannt war, mit der Endstrophe

Heute nacht sah ich Maria,

eine Frau von Mitte dreißig,

stehn' in einer Telefonzelle,

Tränen sah ich und nun weiß ich,

dass emanzipierte Frauen,

die uns ach so stark erscheinen

noch jahrzehntelang und länger,

nachts um ihre Schwächen weinen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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