Die Braunäugigen und die Blauäugigen

Fremdenfeindlichkeit Eine Freitags-Reportage und eine TV-Sendung zu einem Thema, das alle immer mehr dazu zwingt, Stellung zu beziehen.

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Sehr nahe ging mir die gestern in derFreitag erschienene Reportage "Unmenschlich: Wie Deutschland mit Kriegsflüchtlingen umgeht" von Dennis Yücel

Ich will den Beitrag hier nicht kolportieren. Ich empfehle die Lektüre unbedingt - gleich ob im Print oder später online. Mich hat sie bedrückt, empört und ratlos zurückgelassen. Es war ein Blick in tiefstes Elend, abgrundtiefe Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit. Und eine Anklage gegen menschenunwürdige Gesetze und Bestimmungen.

Der Blue-Eyed-Workshop

Es war Zufall, dass gestern bei ZDFneo der "Blue-Eyed Workshop" ausgestrahlt wurde. Der Sender hatte dazu eingeladen, um deutlich zu machen, wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geschürt werden und wie schnell das funktioniert. Und um die schon etwas abgegriffene Frage "Wie fühlt sich das für die Betroffenen an" mit Erfahrungen zu erfüllen.

Solche Experimente kennt man - ein berühmtes ist das nicht unumstrittene Milgram-Experiment.

Auch das "Blue-Eyed"-Programm ist nicht unumstritten und fand bei ähnlichen Versuchen in Großbritannien und den Niederlanden auch Kritiker.

Der "Versuchsaufbau" - ganz kurz - ist wie folgt: Zwei Gruppen von Menschen werden eingeladen. Die einen blauäugig, die anderen braunäugig.

Die Braunäugigen werden vom Trainingsleiter - dem Politologen Jürgen Schlicher - höflich und zuvorkommend behandelt die Blauäugigen werden von Anfang an herabgewürdigt, gedemütigt und diskriminiert in unterschiedlichster Weise.

Der seitliche Link führt zum Hintergrund.

Es war streckenweise ganz fürchterlich anzusehen, wie die "Blauäuigen" Teilnehmer behandelt wurde, wie sie versuchten, mit der Situation klarzukommen. Wie manche aufbegehrten und dafür nochmehr Demütigung einsteckten.

Was ist richtig, was ist falsch?

Das Dilemma, das mich auch beim Milgram-Experiment immer beschäftigte: Alle wissen, es ist ein Workshop, ein Experiment. Alle wissen, es kann ihnen eigentlich nichts passieren. Wie verhält man sich da "richtig" oder "falsch". Ist es besser, empört und individuell abzubrechen, wie es zwei Teilnehmerinnen taten - eine ging dann wieder zurück zu den unterdrückten Blauäugigen - oder ist es besser, sich anzupassen, "durchzuhalten", um das Experiment sinnvoll zu Ende zu bringen?

Ist es wirklich so, dass niemand von den entsprechend eingeweihten Braunäugigen sich solidarisierte mit den Unterdrückten.
Experimente sind eben nicht das Leben.

Ganz unten, ganz allein und geängstigt

Das Wichtigste war - aus meiner Sicht - die geschilderten Erfahrungen der Unterdrückten nach drei Stunden. Es geht ganz schnell mit den Gefühlen nach unten. Man fühlt sich allein, auch von den anderen der gleichen Gruppe verlassen, gedemütigt und geängstigt. Seltsamerweise fiel mir sofort das Holocaust-Mahnmal ein, das haargenau diese Stimmung vermittelt.

Das Ende ist befreiend, wenn der Moderator den strengen Schlips abnimmt, wenn deutlich wird, wie schnell Diskriminierung funktioniert. Und wenn im Alltag tatsächlich Diskriminierte sagen, wie nahe an ihren Erfahrungen das alles ist. Ein homosexueller "Blauäugiger" berichtete von der Diskriminierung, die er in seinem Fußballverein nach seinem Outing so oder in ähnlicher oder ganz anderer Form durchaus erlebt hat.
Mir ging - auch die oben erwähnte Reportage noch im Sinn - andauernd durch den Kopf: Was wissen wir wirklich, was wollen wir wirklich wissen, vom Leiden, von der endlosen Erniedrigung der Menschen, die heimatlos sind,die geflohen sind oder in ihren Ländern jeden einzelnen Tag ums Überleben kämpfen.

Wie hätten wir uns verhalten?

Wir haben gestern abend noch lange darüber meditiert: mein Mann und ich.
Ich meinte, ich hätte - mal wieder - alles richtig und gut machen wollen und wäre angesichts von Empörung und Stress der Meinung gewesen, das müsse so sein, sonst erfährt man ja nichts über sich und den alltäglichen Rassismus. Ich erlebte meine Haltung als bereit zu einer gewissen Anpassung, wie es insgesamt dort auch zu sehen war.
Mein Mann meinte, er hätte den ganzen Laden ganz schnell verlassen. Er lasse mit sich nicht rumexperimentieren. Das sei ihm fremd.

Ich weiß nicht, was richtig war. Es gibt ja immer so Zeiten, wo man anfällig oder anfechtbar ist für Erfahrungen und Erlebnisse. Gestern war es so. Ich kann die Sendung nur empfehlen.

Das „Blue Eyed“-Programm schuf die US-Amerikanerin Jane Elliott als Workshop-Konzept gegen offenen und unterschwelligen Rassismus.
Auch britische und niederländische TV-Stationen führten das soziale Experiment durch und zeigten die Ergebnisse.

http://blog.zdf.de/der-rassist-in-uns

Auch auf facebook wurde lebhaft diskutiert.

https://www.facebook.com/ZDFneo

http://www.diversity-works.de/startseite/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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