Die Londonreise 3:National Gallery und Alltagsphilosophie

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Wir hatten uns getrennt, meine Reisebegleiterin und ich. Was für Ehepaare segensreich ist, gilt auch für Freundinnen: Einkaufen bitte jeder für sich. Endlich allein durch China Town, in Ruhe bummeln. Endlich mal stehen bleiben können, wo man selbst will. Sich nicht umdrehen nach der videokamerabewehrten Gefährtin, autonom sein. Aber wie stets im Leben so auch in diesem Falle: Befreiung schafft neue existenzielle Konflikte.

Das „Sein“ in dieser Gegend wurde mir durch das Gefühl vertaner „Zeit“ versaut. Nennt man so was „heideggern“? Flugs stellten sich quälende Sinnfragen ein. Wo komme ich her? Ach ja, aus Richtung Regent Street. Was kann ich wissen? Dass es mir hier bald langweilig wird. Was darf ich hoffen? Dass sich das ändert. Was ist der Mensch? Jemand mit einem Bedürfnis nach einem Sitzplatz in geschmackvoller Umgebung.

Simple philosophische Grundfragen führen meist zu großen Entdeckungen. Der Disput mit mir brachte mich zu solchen. Bis vor die großen Eingängen der National Gallery am Trafalgar Square. Dort hatte es mich wieder – das Leben, denn es herrschte in bunter Form. Man ging mal rein und mal raus, was mich verblüffte, denn ich wusste noch nichts vom kostenfreien Eintritt. Aber es gab dort eine Art Eingangs- und Aufsichtsdienst. Auch einen Tresen mit Garderoben dahinter. Manche Leute gaben dort was ab, zum Beispiel Taschen. Ich als eine Bürgerin aus dem Osten war sofort bereit, zu Anpassung und Unterwerfung, weshalb ich pflichtbewusst dorthin eilte und nachfragte, ob ich meinen kleinen Rucksack abgeben müsse oder solle oder so. Dies alles wurde freundlich lächelnd abschlägig beschieden. Nicht nur der Eintritt also war frei, sondern ich war auch so frei, mit Rucksack in die Hallen der Kunst zu treten.

Und - ach, wie herrlich – was für eine gewisse Holly Golightly ein „Frühstück bei Tiffany“ ist, das waren für mich auf der Stelle diese Säle mit den luxuriösen braunledernen Sesseln und den polierten Sitzbänken. An diesen Ort hatte ich keine Fragen, nur ein wundervolles Gefühl der Ruhe, Gelassenheit und Zuversicht, unterbrochen vom freundlichen Lärm einiger Schüler, kleiner erotischer Sensationen durch die Beobachtung eines für seine japanische Herkunft außerordentlich zärtlichen Liebespaares.

An den Wänden hingen Bilder

Ja, doch, es gab auch Bilder an den Wänden. In großer Zahl. Fabelhafte Seestücke von William Turner, der Blick darauf führte mir die Gediegenheit und Ruhe meines Platzes noch angenehmer vor Augen. Sollen sie untergehen mit Mann und Maus dort auf ihrem Schiff, in der National Gallery wird sich keine Welle kräuseln deswegen. Ein weiteres Bild handelte von einem Mann, der soeben dem Bade entstiegen ist und sich gerade abtrocknet. Er stand, glaube ich, sogar auf einem Bein und drehte dem Publikum den nackten Hintern zu. Ein sehr lebensnahes Werk. So was liebe ich. Es erinnert mich an eine Textstelle aus einem Roman von Hans Fallada. Dort bringt ein Mann seiner Frau bei, in welcher Reihe man sich hygienisch unbedenklich wäscht, wenn man nur eine Schüssel Wasser zur Verfügung hat. Der Mann auf dem Bild sah selbst von hinten so aus, als verfüge er über ähnliche grundlegende Lebenserfahrungen.

Blicke vor dem Gelben Stuhl

Kurz danach saß ich vor van Goghs berühmtem „Gelben Stuhl“. Als ich von meinem Sitzmöbel auf dieses so oft reproduzierte Sitzmöbel starrte, spürte ich neben mir Bewegung und ein Blick fing an, mich zu stören. Meine Reisebegleiterin hatte neben mir Platz genommen. Auch sie hatte es aus der Betriebsamkeit in die Ruhe dieser Kunsteinrichtung getrieben. Wir grinsten uns an und machten uns – banausenhaft wie wir sind – auf die Suche nach der Cafeteria. Die war auch ganz klasse, vor allem die angebotene Suppe.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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