Die "Nachdenkseiten" und Merkels Politik

Ukraine-Konflikt Der Blick der „Nachdenkseiten“ auf Merkels Politik ist einseitig und eindimensional. Besonders bei der Ukraine-Krise wird das deutlich.

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Merkel rudert zurück. – so der Beitrag auf den Nachdenkseiten (Jens Berger) über die Aussagen der Bundeskanzlerin zum Ukraine-Konflikt.

Berger stellt da fest: „Am Sonntag sagte Angela Merkel im Sommerinterview der ARDein paar Dinge, die man durchaus als Distanzierung vom Konfrontationskurs der EU einschätzen muss. Die ukrainische Regierung wird dies nicht gerade mit Wohlwollen registriert haben. Und auch die ansonsten konfrontationsfreudigen deutschen Medien scheinen den Worten Merkels nicht besonders gewogen zu sein – anders ist ihr Schweigen kaum zu deuten.

Berger zitiert aus diesem Interview: Und was wir nur sagen und ich auch als jemand, der erlebt hat, dass Deutschland die deutsche Einheit durchführen konnte in Frieden mit Einverständnis auch der Nachbarn, sage das auch, dass das ukrainische Volk die Möglichkeit haben muss, seinen Weg zu wählen. Und die Europäische Union würde niemals, wenn die Ukraine sagt, wir gehen jetzt zur eurasischen Union, daraus einen Riesenkonflikt machen, sondern wir setzen auf die freiwillige Entscheidung. Ich setze allerdings auch auf die territoriale Integrität der Ukraine und darauf, dass alle Ukrainerinnen und Ukrainer gehört werden.

Der Autor meint – sehr richtig - dass Begeisterung für die EU-Assoziation wohl anders aussehe. Aber er verkennt völlig, dass Merkel damit überhaupt nichts Neues sagt und schon überhaupt keine Kehrtwende macht oder gar zurückrudert.

Es sei schon erstauntlich, konstatiert er, dass Merkels Aussagen in den deutschen Medien so gut wie überhaupt nicht aufgenommen wurden. Offenbar haben die auf Konfrontation gepolten Medien kein Interesse an einer Deeskalation. Anders ist es kaum zu erklären, dass Aussagen der Kanzlerin, die doch ansonsten für jede belanglose Phrase in den Himmel gelobt wird, nun gar nicht erst zur Kenntnis genommen werden.

Auch diese Einschätzung machen deutlich, dass Berger in Bezug auf Merkel ein Problem hat, das die Sicht verstellt.

Die Medien schweigen

nicht zum ersten Mal

Denn die Medien schweigen nicht zum ersten Mal zur zögerlichen Politik der Bundeskanzlerin, was eine EU-Assoziation der Ukraine betrifft.

Der Autor von Telepolis, Stefan Korinth, wirft in seinem umfassenden Beitrag Maidan- der verklärte Aufstand, ein ganz anderes Licht auf die Entwicklung.

Er meint, dass es eher die ukrainischen Politiker waren, die die Illusion weckten mit der Westbindung – der Assoziierung mit der EU – seien die Weichen in ein besseres und moderneres Europa gestellt. Die EU hat sich sicherlich sehr engagiert, aber dies war weniger Merkels Initiative. Die hat Klitschko mal die Hand gegeben, aber im Grund sehr zurückhaltend agiert.

Merkel wollte die

Ukraine nicht in der EU

Merkel war von Anfang an keine begeisterte Parteigängerin einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Unter höchst unterschiedlichen Vorwänden hat sie dies – ähnlich wie bei der Türkei – versucht, zu verschieben.

Stefan Korinth blickt noch einmal zurück auf die Merkelsche Politik in Bezug auf die Ukraine im vergangenen Jahr.

18. November2013:Angela Merkel ist gegen eine Unterschrift (unter das EU-Assoziierungs-Abkommen - Magda). Die Bundeskanzlerin sagt in einer Regierungserklärung im Bundestag, sie sehe die Ukraine nicht bereit für das Assoziierungsabkommen mit der EU. Die Voraussetzungen für eine Vertragsunterzeichnung seien derzeit nicht gegeben.[3] Merkels ablehnende Haltung zum Vertrag wird in den folgenden Wochen und Monaten von deutschen Medien nicht mehr thematisiert.

YouTube-Video der Regierungserklärung - zehn Tage vor Vilnius sagt Merkel hier im Bundestag (ab 11:00): "Wir erwarten von der Ukraine glaubhafte Schritte zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens. Wir erwarten, dass dieser Prozess nachhaltig und unumkehrbar umgesetzt wird." Kurz darauf (ab 12:45) wird sie deutlicher: "Heute muss ich ihnen hier sagen, es ist noch nicht abzusehen, ob die Ukraine willens ist, die Voraussetzungen für eine mögliche Unterzeichnung zu schaffen." Das Kiewer Parlament sollte also noch bestimmte Gesetze erlassen (...) Nur dann könne es eine Unterschrift geben.

Besonders wichtig für die Ukrainer ist in der heutigen Situation aber ein Satz Merkels ab 4:30: "Die östliche Partnerschaft ist kein Instrument der EU-Erweiterungspolitik. Es geht nicht um EU-Beitrittsperspektiven." Genau diese Hoffnungen machten den Ukrainern jedoch pro-westliche Politiker in ihrem Land. Und viele glauben daran bis heute.

Ich bin immer wieder platt, wieviel politische Einäugigkeit und Tunnelblick sich bei diesem Beitrag der Nachdenkseiten zeigen. Und ich frage mich, was da zum Einsatz kommt: Politische Gegnerschaft ist ja akzeptabel, aber hat es auch damit zu tun, dass es sich um eine Bundeskanzlerin handelt? Fällt es deshalb so schwer, ihre Politik auch mal zu akzeptieren?

Es ist „in“, Merkel zu unterstellen, sie sei eine Vorkämpferin für einen EU-Beitritt der Ukraine gewesen. Das aber ist überhaupt nicht der Fall.

Die EU selbst war und ist sehr gespalten in dieser Frage und nach wie vor getrieben durch die USA, die in der Tat gern die Konflikte auf diesem Kontinent verstärken wollen. Aber, Merkels Politik bedient das kaum. Ein Beitrag wie die Nachdenkseiten sollten das zumindest einräumen, wenn sie es nicht würdigen können.

Es gibt noch immer genügend andere plausiblel Kritik an Merkels Politik - gerade steht die Austeritätspolitik wieder und zu Recht im Fokus - aber sie muss den Tatsachen entsprechen. So ist sie nur ärgerlich und unfair.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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