Dem Hans-Berndorf-Fan muss man nicht groß was erzählen. Er kennt natürlich jeden Fall, den der ehemalige Kommissar Berndorf aus Ulm in seiner unnachahmlichen Art gelöst hat. Und kennt natürlich seinen Erfinder, den ehemaligen Chefreporter der Südwest Presse, Ulrich Ritzel. Der heute 73-Jährige war 35 Jahre lang Journalist, bevor er sich ganz dem Krimischreiben widmete. Er gilt als einer der profiliertesten Politkrimiautoren Deutschlands. Als Journalist erhielt er für seine Gerichtsreportagen den renommierten Wächter-Preis. Als Schriftsteller ist er zweifacher Träger des Deutschen Krimipreises. Seine Bücher standen monatelang auf den Bestsellerlisten. Gründe genug also, Ritzels neunten Roman Trotzkis Narr vorzustellen, der wie sein Vorgänger Schlangenkopf wieder in Berlin spielt.
Alles beginnt mit dem Sturm auf das Winterpalais. Wenn man so will, mit einem misslungenen Schuss ins Knie. Oder mit Karen Andermatt, der Frau des Managers des internationalen Unternehmens „Regnier“, das auch in Berlin operiert. Sie fühlt sich beschattet, tatsächlich wird sie das von einer quasi Stasi-Nachfolge-Detektei. Die Stasi drängt ins Überwachungsgeschäft, die Russenmafia ins Immobiliengeschäft. Man gewinnt bei Ritzel den Eindruck, dass eigentlich der Osten den Kalten Krieg gewonnen hat, jedenfalls hier im Hauptstadtmorast. Einer, der Regnier um „Vermittlung“ in Richtung Senat bittet, ist Offizier der ehemaligen Sowjetarmee.
Ein Neuköllner Neonazi
Karen Andermatt also, eine sehr semi-erfolgreiche Journalistin, beauftragt den charmant-sperrigen Detektiv Berndorf mit der Klärung. Gleichzeitig erschüttert der Mord an einem Senatsangestellten vor einer städtischen Badeanstalt die Stadt, weshalb eine Staatsanwältin „Gnadenlos“, die auch politische Ambitionen hat (und mit der Journalistin bekannt ist), die Ermittlungen übernimmt.
So wird ein umfängliches kriminalistisches, gut recherchiertes Räderwerk – freilich ein wenig knirschend – in Gang gesetzt. Der Mörder – ein Neuköllner Neonazi, den man auf den Senatsangestellten angesetzt hatte – bringt auch gleich noch seinen Auftraggeber um, flieht in die brandenburgische Provinz und landet dort, wo der Autor ihn hinhaben wollte, bei einem linksradikalen Blogger. Der ländliche Revolutionär denkt dialektisch und hat einen Plan, hin und wieder auftauchende Gesprächspartner bedenkt er mit seinen umfänglichen politischen Analysen. Nebenher schreibt er noch Gutachten für eine Berliner Senatsabteilung, eine Form pfiffiger Korruption. Hin und wieder verwendet er für sein eigenartiges Schaffen auch Texte aus Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg.
Ritzel verteilt sehr unterhaltsam Bildung und allerlei Literarisches verfeinert die manchmal grobe Handlungsverschraubung. Es ist auffällig, dass fast alle entscheidenden zeitgeschichtlichen, politischen Phänomene und Aufreger in Trotzkis Narr Platz gefunden haben. Es ist Ritzels unverwechselbare Handschrift.
Ultralinke Dampfplauderer
Inzwischen erlebt die Managergattin und Journalistin ihr privates Drama. Sie trifft auf Berndorfs Mitarbeiterin, Tamar Wegenast. Die ist lesbisch und „das ist auch gut so“. Dazwischen kommt noch der Mord an einer Transsexuellen, die widerrechtlich in einer Bauruine hauste, ins Spiel. Erneut wird ein Mordkomplett vom flüchtigen Täter angeleiert, der unter Begehung weiterer Untaten nach Berlin zurückgekehrt ist. Dieser Lutz Harlass hat ohnehin ein Glück, das jenseits aller Logiken ist, aber auf diese Logik hat man sich nun längst eingelassen. Diesmal wird er glaubwürdig angeschossen und landet im Wagen der Journalistin erneut im brandenburgischen Nest bei Trotzkis Narren.
Ohne den Krimigenuss zu mindern oder zu verderben, kann man im Jargon des Trotzkisten konstatieren: Nicht die klandestinen Gaunerbündnisse der Urenkel Ribbentrops und Stalins, nicht ultralinke Stammtischdampfplauderer, nicht die Russenmafia und ihre neonazistischen Werkzeugtrottel, aber auch nicht die Amis oder der Kapitalismus, und schon gar nicht die Versöhnler und Revisionisten sind schuld am Elend der Welt. Nein, nein: Schuld an allem Elend ist einzig und allein die Berliner Senatsverwaltung und da besonders jene, die das Bauwesen unter sich haben. Das wird in dem Werk überraschend einleuchtend enthüllt.
Ulrich Ritzel ist ein routinierter Schreiber, ein erfahrener Journalist. Es wäre gut gewesen, er hätte paar „Umdrehungen“ weniger in seiner Story gehabt. Am Ende sinkt der Schaum des Riesenkomplotts, den er aufgeschlagen hat, ein wenig ins Provinzielle zusammen. Trotzdem: Trotzkis Narr liest sich sehr spannend, auch wenn die Weltverschwörung aus- und der alte Privatdetektiv übrigbleibt für den vielleicht nächsten Kriminalfall.
Trotzkis Narr
Ulrich Ritzel btb München 2013, 464 S., 19,90 €
Magda Geisler war Journalistin, sie lebt in Berlin und bloggt alias Magda auf freitag.de
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