Ein aktueller Buchrückblick

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Weil die Zeiten so sind, wie sie sind, vielleicht mal eine Sachbuchempfehlung, wenngleich nicht ganz neu:

Peter Glotz: Die Jahre der Verdrossenheit – Ein Tagebuch ohne Rücksichten

Wenn sich Leute heutzutage über Politik äußern, dann entweder im Tone äußersten Angewidert Seins oder dilettantisch-insiderisch und immer entlang der von den Medien angebotenen Reizwörter , als da sind „korrupt“, „diätengeil“, „mittelmäßig“, bei Lafontaine kommt noch dazu „Populist“, „Scharlatan“, „machtgeil“,„Fahnenflucht“ - na und so weiter. Es kann nicht nur mit meiner DDR-Sozialisation zu tun haben, dass mich Politik auch heute noch rasend interessiert, wenngleich mit steigendem Wutempfinden. Manchmal über die Politiker, sehr oft aber auch über die Politikexperten, sowohl die selbsternannten als auch die von den Medien bestellten. Immer mit der Botschaft: „Man kennt sich aus, man weiß Bescheid.“

Ich empfand Politik auf der anderen Seite aber auch als eine Art von hochinteressanten „Welttheater“, dessen Betrachtung allerlei Lehren bereit hält und bittere Folgen haben kann.

In der Gegenwart aberwird erschreckend deutlich, wie sehr Politik in das Leben jedes Einzelnen eingreift. Das wussten wir zu DDR-Zeiten irgendwie immer, es war ja auch immer so. Aber im Westen schien dieses Bewusstsein weniger ausgeprägt. Und obwohl dieses Gefühl inzwischen eigentlich alle erfasst hat, beantworten viele dieses Gefühl mit noch verstärkteren Fluchtbewegungen.

Vor kurzem habe ich ein Buch wieder hervorgekramt, das schon einige Jahre alt ist, in dem ich aber alles das gefunden habe, was auch heute in der Politik diskutiert wird.

Peter Glotz: Die Jahre der Verdrossenheit. Ein Tagebuch ohne Rücksichten heißt es. Darin schildert Glotz – der im Jahr 2005 an Krebs gestorben ist – seine letzten beiden Jahre im Bundestag 1993/1994 und die Erfahrungen aus der bayrischen Landespolitik. Er ist auf der damals noch Bonner Bühne schon ziemlich abgemeldet, die Diagnose Lungenkrebs hat er auch schon erfahren und das schafft offensichtlich innere Freiheit.

Der SPD-Politiker, der immer unter dem Rubrum: Außenseiter, Intellektueller oder – etwas was er gar nicht mochte – Querdenker – gehandelt wurde, macht da aus seinem Zweifel an den Mechanismen der Macht– ob in der Provinz oder der Hauptstadt – kein Hehl.

Alles schon drin
und gesagt

Es ist in diesem Tagebuch eigentlich schon alles drin, was mit wachsendem Unmut auch heute noch beklagt wird. Die Vereinfachung von Politik für die Wähler, die Kungelei und Verhinderung innovativer Ideen. Der Flügelkampf – damals schon begannen die „Neoliberalen“ - in der SPD ihr Unwesen zu treiben. Die Spaltung der öffentlichen Debatte in eine veröffentlichte und eine öffentliche Meinung. Sarrazin lässt grüßen.

Am spannendsten fand ich die Debatten um die sogenannte deutsche Normalisierung – bedeutet im Klartext, dass Deutschland sich zunehmend an internationalenAktionen – auch bewaffneten – beteiligen will – es geht um den Platz im Sicherheitsrat, den Deutschland bis heute nicht hat. Und die neoliberale Debatte, die beginnende Anpassung der SPD an die Unternehmer und Unternehmensvorstände. Alles schon da.

Sehr interessant fand ich das, was er über Oskar Lafontaine anmerkt. Der wurde von den SPD-Genossen zwar immer wieder in die „vorderste Front“ geschickt, was er u.a. mit dem Attentatstrauma bezahlt. Und wenn es um den realen Lohn dafür geht, nämlich einen angemessenen Platz in der Politik, dann kommen andere – Scharping, Schröder – und reißen die Posten an sich. Auch heute ist er wieder einer der Politiker, auf den sie am Liebsten eindreschen. Und – er ist natürlich nicht machtgeil, sondern machtbewusst.

Das Ende der Geschichte
und der Politik?

Anfang der 90er Jahre – zu der Zeit also, da dieses Tagebuch geschrieben wird, läutete ein amerikanischer Historiker gerade „Das Ende der Geschichte“ ein. Das Ende der Politik erfolgt scheinbar gerade als zunehmende Verballhornung - Plasbergisierung und Anne Willisierung- Politik wirdBestandteil des Scherz- und Unterhaltungsgenres. Aber es gibt die Geschichte noch immer und politische Dramatik auch. Je mehr ich Glotz wieder lese, umso mehr kriege ich Ängste aller Art. Politiker sind unglaublich träge – die meisten ganz mediokre Typen und wenn jemand ein bisschen anders ist, dann vertreiben sie ihn oder sie mobben ihn so, bis er selbst geht. Glotz beklagt an der bundesdeutschen Demokratie den Mangel an wirklich demokratischen Instrumenten, die Furcht vor dem „dummen Volk", ausgelöst durch das historische Hindenburgtrauma. Wenn man die Leute so lange für dumm erklärt und immer weiter an ihrer Verdummung arbeitet- eines Tages rächt sich das.

Glotz’ Buch liest sich wie das Menetekel eines Politikers, der lieber ein Denker und Schöngeist gewesen wäre: Spannend, aber desillusionierend.

Jetzt bin ich gerade dabei Harald Schumanns Globalisierungsfalle noch einmal durchzunehmen. Es ist ja – in Büchern, nicht in den Medien – alles, aber auch alles schon gesagt und ausreichend gewarnt worden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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