Ein Auftritt und eine Erinnerung zum 8. März

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Am kommenden Montag, dem 8. März, werde ich mich in eine Kittelschürze verfügen und mir ein Kopftuch malerisch umbinden.

Denn: Es ist mal wieder soweit: Unsere Wanderausstellung „Der Zukunft ein Stück voraus...Pankower Pionierinnen in Politik und Wissenschaft“ wandert vom Helios-Klinikum in Berlin-Buch ins Rathaus Pankow in der Breiten Straße.

Dort wird sie um 16 Uhr eröffnet.

www.berlin.de/ba-pankow/presse/archiv/20100218.1410.156167.html

Neben den offiziellen Reden, bin ich als das authentische subversive Element eingesetzt.

Ich bin die Mantelnäherin Agnes Wabnitz und werde – ohne Mikro – von der Treppe herunter meine anklagende Rede schreien. Denn von Agnes Wabnitz sind freche und humorvolle Reden überliefert. .

Zum Beispiel die folgende:

Liebe Freundinnen, liebe Genossinnen, geliebte Trampeltiere!

Wir Frauen sind geborene Redner. Diese Gabe, die uns die Natur verliehen hat, darf nicht verkümmern im häuslichen Klatsch Wir arbeiten, wir zahlen Steuern, also verlangen wir auch die Rechte von Arbeitern und Steuerzahlern. (...)

Wachsame Schutzmänner
an der Saaltür schreiben mit

An der Saaltüre sehe ich die Herren Schutzmänner Fromm und Göttlich heftig schreiben. Willkommene Gäste zu allen unseren Treffen. Verewigen Sie nur meine zornigen Worte in Ihren Notizbüchern, verbreiten Sie Ihre groteske Wahrheit. Wahrscheinlich wird wieder an Majestätsbeleidigung grenzen, was ich hier vorgetragen habe. Es gibt Leute, liebe Freundinnen, die glauben im Ernst, Schutzmann Göttlich ist mein Liebhaber, da er auf Schritt und Tritt mein Schatten ist. Sogar nachts steht er vor dem Haus und schaut zu meinen Fenstern auf, auch überwacht er eifersüchtig, wer bei mir ein- und ausgeht. Ob er dabei Seufzer hören lässt, ist nicht überliefert.

In unserem Alltag haben wir es ununterbrochen mit politischen Maßnahmen zu tun. Die Politik aber ist uns verboten. Das Gesetz verbietet Frauen, Kindern und Lehrlingen – man merke, wie man uns unter die Unmündigen einreiht – jede Beteiligung an politischen Versammlungen. Wir müssen uns aber mit Politik beschäftigen. In unseren eigenen Interesse.

Jedes einzelne Lachen
wird vom Lohn abgezogen

Eine Tabakarbeiterin aus der Gegend um Frankfurt erzählte mir, dass sie – wie wir alle –zwischen sieben und zwölf Mark pro Woche verdient. Auch das wissen wir alle: Es ist zu wenig. Aber, Frauen, jetzt kommt der Punkt, hört gut zu: Wenn eine Frau oder ein Mädchen während der Arbeitszeit lacht, werden dort pro Lachen fünfzig Pfennige vom Lohn abgezogen.! Lacht sie also mehrmals in der Woche, hat sie sich buchstäblich totgelacht.

Ein anderes Beispiel: Die Einfuhrzölle für Petroleum sollen erhöht werden. Dafür dient die phantastische Begründung, dass Petroleum Luxus sei! Ich sage aber, und Ihr werdet zustimmen: „Petroleum ist das Salz der Näherinnen“! Wir müssen auch des Nachts arbeiten und so früh am Morgen, dass es noch dunkel ist. Der Mond wird auch nicht täglich rausgehängt. Da wir erst mit 70 Jahren durch eine geringe Altersversicherung unterstützt werden, frage ich Euch: Wie groß muss ein Nadelöhr sein, in das eine siebzigjährige Frau noch einen Faden fädeln könnte? Die Größe eines Scheunentors dürfte angemessen sein.

Also, liebe Frauen, Heimarbeiterinnen, Mantelnäherinnen, es ist hohe Zeit, dass wir jede Art von Gesetzesentwürfen in Frauenversammlungen öffentlich diskutieren, damit wir begreifen lernen, was sie mit uns vorhaben und rechtzeitig unseren Protest anmelden können. (...)


Kinder - zwischen harter
Arbeit und Prügelpädagogik

Aus Sonneberg, dem Zentrum für Heimarbeit für Spielwarenherstellung ist mir folgende Tabelle zugegangen: Die Kinder arbeiten dort im Durchschnitt bis 12 Uhr nachts, nicht wenige bis 2 Uhr morgens, und in der Saison, das ist bei ihnen die Vorweihnachtszeit, kommen sie überhaupt nicht ins Bett! Das sind unhaltbare Zustände. In der Schule sind unsere total übermüdeten schlecht genährten Kinder der Prügelpädagogik ehemaliger Feldwebel und Unteroffiziere ausgeliefert, die – nach Kaiser Wilhelms Gnaden – als „Lehrer“ amtieren dürfen.

In dessen Schulen stopft man die Köpfe der Proletarierkinder voll mit Bibelsprüchen und frommen Liedern mit der gezielten Absicht, sie dumm zu halten. Je dümmer der Mensch, desto leichter ist es zu regieren.! Wir Frauen müssen schreien und donnern und noch mehr schreien, um unsere Rechte zu erhalten. Wir haben kein Wahlrecht, keinerlei Recht, uns zu organisieren, wir können nicht Mitglieder unserer Partei sein. Das Arbeitsrecht ist ein Witz. Es räumt uns lediglich die Freiheit ein, die einzige Ware, die wir besitzen, unsere Arbeitskraft, unter ihrem Wert an andere zu verschleudern. Tun wir das nicht, müssen wir verhungern.

Seidene Mantillen für
den Mops von Madame

Manche Mutter weiß nicht, woher sie die Lappen und Fetzen nehmen soll, die Blößen ihrer Kinder zu bedecken. Ich nähe zur Zeit seidene Mantillen für Schoßhunde! Mit Applikationen und Perlen verziert! So schreibt es die Wintermode für den süßen Mops-Liebling von Madame vor. Und der Zwischenmeister, für den ich arbeite, hat sich eine Freude daraus gemacht, mir diesen Schandposten anzutragen. Hätte ich mich geweigert, wäre ich leer ausgegangen. Was ist zu tun? Wir müssen uns kundig machen, wissender, damit wir uns wehren können, sachlich und wirkungsvoll. Wir müssen viele werden, damit unser Einspruch gehört werden muss. Alle Entrechteten, Betrogenen, Beleidigten müssen zusammengehen, ganz dicht, dass ihnen bange wird da oben und sie Reißaus nehmen!. Wir Proletarierinnen können und wollen nicht mehr nur Heimchen am Herd sein. Manche von uns besitzen nicht mal einen oder haben nichts darauf zuzubereiten.

Der Verdienst der gesamten Arbeiterfamilie ist meist so gering, dass die Lebenshaltung nach folgendem erschütternden Vers geregelt werden muss:


Kartoffeln in der Früh
des Mittags Kartoffeln in Brüh
des Abends Kartoffeln im Kleid
Kartoffeln in alle Ewigkeit

Es gibt keinen Gott
außer dem Gott Mammon

Frauen! Traut keiner Gottheit, die da duldet, das 20 Millionen Menschen auf der Landstraße liegen. und verhungern. Es gibt keinen Gott außer dem Gott Mammon! In Erwägung dass es keinen einleuchtenden Grund gibt, ein menschliches, mündiges Wesen von Bürgerrechten und Freiheiten, auszuschließen, in Erwägung, dass wir Frauennicht gewillt sind, diesen Zustand der Entrechtung ferner zu ertragen, und in weiterer Erwägung, dass eine Verbesserung der politischen Verhältnisse nicht ohne politische Rechte und Freiheiten herbeigeführt werden kann, fordern wir Frauen nachdrücklich die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie die Männer.

Ein Lied für unterwegs
vom Kränzchen "Grüner Lorbeer

Frauen! Solltet Ihr auf dem Heimweg von unseren Ordndungshütern peinlich befragt und belästigt werden, sagt, Ihr seid Sängerinnen, Mitglieder des Musenkränzchens „Grüner Lorbeer“, und ihr kommt von einer gemeinsamen Probe. Damit euere Behauptung einen Teil Wahrheit enthält, lasst uns ein Lied anstimmen, und summt es unterwegs weiter. Liebe Freundinnen und Freunde, lasst uns singen und summen: „Die Gedanken sind frei! wer kann sie erraten?

Agnes Wabnitz (1841-.1894) gehört zu den beherzten und tapferen Frauen, die sich unermüdlich für die Rechte der arbeitenden Frauen eingesetzt haben. Als sie am 1. September 1894 beerdigt wurde, waren mehr als60.000 Menschen unterwegs zum Freireligiösen Friedhof in der Berliner Pappelallee. Sie blockierten mehrere Stunden die Straßen am Prenzlauer Berg, bis sie am Grab vorbei defiliert waren. 630 Kränze legten sie nieder, das waren 80 mehr als bei der Beerdigung von Kaiser Wilhelm I., wie ein Beobachter an die Polizei schrieb.

Zwei Tage vorher hatte Agnes Wabnitz eine 10-monatige Gefängnisstrafe antreten sollen. Sie war wegen Majestätsbeleidigung verurteilt worden. Immer wieder war die Mantelnäherin als engagierte Vertreterin der Arbeiterinneninteressen mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

1894 drohte Agnes Wabnitz außer der Haftstrafe ein Entmündigungsverfahren. Weil sie nicht den Rest ihres Lebens in einer Nervenheilanstalt verbringen wollte, wählte sie den Freitod. Am 28. August 1894 vergiftete sie sich auf dem Friedhof der Märzgefallenen mitten unter den Opfern der Revolution von 1848.

So, und nun haltet mir die Daumen, damit ich ordentlich empört rumkomme und Heiterkeit nicht an der falschen Stelle bekundet wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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