Ein Denker und großer Egomane

Wolfgang Harich Er muss wirklich ein „Mensch in seinem Widerspruche“ gewesen sein. Ein paar Anmerkungen zu Wolfgang Harich, seinen Frauen und seinen Kontroversen

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Der Philosoph Wolfgang Harich 1955 an der Ost-Berliner Humboldt Universität
Der Philosoph Wolfgang Harich 1955 an der Ost-Berliner Humboldt Universität

Foto: dpa

Wolfgang Harich wird im aktuellen Freitag als Tragischer Vordenker gewürdigt. Das war er sicher, aber er war auch einer, der durch sein Wesen wenig Freunde gewann.

Verbunden mit Gisela May und Isot Kilian

Treu verbunden war ihm immer seine Lebensgefährtin Gisela May die vor kurzem in hohem Alter starb.

Vorher war Harich kurze Zeit mit einem Stern in Brechts kreativem Kosmos verbunden. 1952 heiratete er Isot Kilian, die Brechts engste Mitarbeiterin und Geliebte bis zu dessen Tod 1956 war. Die Ehe hielt - nicht nur deshalb - zwei Jahre.

Isot Kilian hatte in ihren Hamburger Jahren sehr enge Beziehungen zu Wolfgang Borchert. Auch nach seiner Rückkehr aus dem Krieg als kranker und gebrochener Mann blieb diese Beziehung bestehen auch als Isot Kilian nach Berlin ging. Die Verbindung mit Borcherts Mutter bestand bis zu deren Tod.

Isot Kilian ist ein wunderschönes Rosengedicht Bert Brechts gewidmet.

Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen?
Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen?
Plötzlich dunkelrot und jung und nah?
Ach, wir kamen nicht, sie zu besuchen
Aber als wir kamen, war sie da.

Eh sie da war, ward sie nicht erwartet.
Als sie da war, ward sie kaum geglaubt.
Ach, zum Ziele kam, was nie gestartet.
Aber war es so nicht überhaupt?

Die Vergänglichkeit (auch) dieser Liebe und die Vergänglicheit überhaupt blühen in diesem Gedicht

Knapp zehn Jahre nach Brechts Tod, 1965, heiratete Isot Kilian den Schauspieler Bruno Carstens. Sie blieb ihr Leben lang bei der Theaterarbeit, am Berliner Ensemble und später am Institut für Schauspielregie auch in Berlin.

Eingebetteter Medieninhalt

Eine Biographie über sie erschien vor einiger Zeit

Hier eine Rezension

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Harich und Günter de Bruyns

Märkische Forschungen

Einer, der Wolfgang Harich einst begegnete und aus dieser Begegnung eine ganz wundervolle ironische Erzählung machte, ist der Schriftsteller Günter de Bruyn, der im vergangenen Jahr 90 Jahre alt wurde. (Hier würdigt der Freitag ihn zum 80.)

Mal abgesehen, dass ich vor vielen Jahren mal besoffen vor de Bruyns Tür saß, weil ich einen Brief an ihn abgeben wollte, der bei uns in der Redaktion gelandet war, und dachte, ich begegne ihm in seiner Gegend in der Auguststraße, kenne ich ihn nicht persönlich. Na, ich war manchmal auch ein bisschen irre.

Professor Menzel ist Wolfgang Harich

Damals hatte ich gerade mit großer Begeisterung Märkische Forschungen gelesen. Da begegnet man also dem marxistischen Forscher und Denker Professor Menzel, ein wortmächtiger, höchst ungeduldiger Egomane, der gerade dabei ist, einen Dichter namens Max von Schwedenow (1770-1813) ins Revolutionäre aufzupusten, obwohl die Quellen darauf hindeuten, dass er nicht bei Lützen starb, sondern später ein wohlbestalltes Mitglied der königlichen Zensurbehörde wurde. Der trifft bei einer Autopanne auf den Landschullehrer und Hobby-Historiker Ernst Pötsch, der sich ebenfalls mit hohem Einsatz der Erforschung dieses Dichters gewidmet hat. Recht bald wird deutlich, dass Ernst Pötschs penible und konkrete Forschungen den Intentionen des großen Marxisten zuwiderlaufen. Beide verfallen in einen erbitterten Streit, in dem zwar wissenschaftlich argumentiert, aber am Ende nur persönlich gekämpft wird.

Spannende Suche

nach einem Grab

Da fährt Lokal-Historiker Pötsch mit dem Taxi zu einem Friedhof, auf dem er das Grab des Dichters vermutet. Er endet aber vor einer Mauer, "die höher war als Friedhofsmauern sonst. Ein Tor für ihn gab es in ihr genau sowenig wie eine Behörde, die seinen Antrag auch nur entgegenzunehmen bereit gewesen wäre, Die zu der er ging, verstand ihn nicht. Er wolle nicht nach Westberlin, versicherte er immer wieder, er wolle nur ein Grab besehen, dass, falls es noch existiere, dem Staate gehöre, dessen Bürger ach er wäre, nur hätte man den Friedhof leider abgesperrt, aus Sicherheitsgründen (....)"

So geht es zu in Günter de Bruyns Buch und am Ende siegt natürlich die offizielle Lesart, während Pötsch, der Sucher der Wahrheit, ins Manische, Paranoide abdriftet und nach einem Stein sucht, der ein gültiger Beweis für seine Thesen sein soll. So etwas kann – abgesehen von der Grenzmauer - überall spielen.

Reale Kontroverse um Jean Paul

Der reale Zwist hatte mit Günter de Bruyns Biographie „Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter,“ Halle 1975 zu tun. Da geriet er mit Wolfgang Harich, der zur gleichen Gestalt arbeitete aneinander.

Auch die FAZ greift die Kontroverse auf, auf die de Bruyn in seinem Lebensbericht „40 Jahre“ zurückblickt. Grotesk die Begegnung mit Wolfgang Harich, dem wortmächtigen marxistischen Philosophen. Beide arbeiten an einem Buch über Jean Paul. Harich sieht den Dichter aus Wunsiedel als leidenschaftlichen Revolutionär auf philosophischen Barrikaden. Seine Schrift " (Jean Pauls Kritik des philosophischen Egoismus" erschien 1968_m.). Günter de Bruyn gerät ins Staunen, zweifelt, schweigt aber höflich, was ihm nicht schwerfällt, weil der Egozentriker ihn ohnehin nicht zu Wort kommen läßt (...) Die Interessengemeinschaft zerbricht, als de Bruyn ihm sein eigenes Buchmanuskript zur Lektüre überlassen hat. Harich wittert einen Dolchstoß gegen sein Lebenswerk und will für ein Verbot des Buches sorgen. Der Menschheitsbeglücker droht mit einer Kralle, die ihm das DDR-Regime allerdings längst beschnitten hatte.“

Märkische Forschungen ist ein Buch, das ich noch heute - wegen der Lebensnähe, die de Bruyn hier der Literatur abgewinnt, sehr sehr gern und immer wieder lese. Ebenso wie das noch bekanntere "Buridans Esel".

Über Wolfgang Harich schrieb ein Publizist, er sei ein "genialisch-intellektuelles Wunderkind" mit nur "ganz dünner menschlicher Substanz". Schwer zu sagen, ob das gerecht ist, aber die Fähigkeit viele Menschen gegen sich aufzubringen, spricht meist nicht für einen Menschen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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