Ein Euro Jobs

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Auf meinem Weg durch den Schlosspark - das wird jetzt wieder Pflicht, ich muss abspecken - sehe ich zahlreiche Ein-Euro-Jobber. Sie fahren die Insassen der umliegenden Pflegeheime spazieren. Die sitzen in den Krankenstühlen, manche durch einen Schlaganfall oder anderweitig beeinträchtigt. Manche gucken wie zurückgekehrt in die Kindheit.
Ich habe vor einigen Jahren mal ein Halbes Jahr diesen Job teilweise mitgemacht. Eigentlich sollte ich in so einem Hilfsprojekt die Kultur organisieren, aber es fehlte auch an wirklicher Hilfe. Ich habe da eine Menge gelernt. Ich möchte es nicht missen, aber auch nicht noch einmal machen.
Ein kleiner Text ist damals entstanden, den ich hier einstelle:

Eine Arbeitswoche

Meine Arbeitstage sind nicht lang, aber es ist jeden Tag etwas anderes zu tun und zu bedenken.

Montags muss ich als erstes eine Dame anrufen, die mir sagt, was ich ihr einkaufen soll. Sie ist schwere Diabetikerin, kann sich schlecht bewegen und sieht von der Welt und von mir nur noch Schemen. Ihre Sprache ist ein bisschen grob, aber sie meint es nicht böse. Also kaufe ich ein und bringe die Lebensmittel zu ihr.
Andauernd will sie mir "Trinkgeld" geben und wenn ich ihr sage, dass ich das dem Verein geben werde, für den ich diesen Job mache, wird sie ärgerlich. Am Ende aber lässt sie es mit der Drohung bewenden, dass sie bald nichts mehr gibt, wenn ich das nicht für mich behalte.
Von ihr komme ich immer schnell weg, denn sie ist ansonsten nicht sehr mitteilungsbedürftig.

Die größte Herausforderung des Dienstag ist es, Frau W., die an spinaler Kinderlähmung leidet, aus dem Handrollstuhl in den Elektro-Rollstuhl zu befördern, den sie außer Haus benutzt. Sie verwendet dafür einen alten Holzhocker, den sie zwischen die beiden Stühle stellt. Sie zieht sich selbst mit den Armen erst einmal in eine bestimmte Position auf diesem Hocker und dreht sich . Und wenn sie mir Bescheid gibt, dann muss ich sie von hinten ein bisschen schieben, dann um sie rumlaufen und am Hosenbund in den Stuhl ziehen. Ich bin immer heilfroh, wenn das geschafft ist. Wenn wir wieder zu Hause ankommen geht es den anderen Weg, der leichter ist, weil es ein kleines Gefälle von dem großen Stuhl in den kleinen gibt, das man effektiv nutzen kann und so Kraft spart.
Das alles geht mir jetzt leichter von der Hand, weil sich eine gewisse Vertrautheit eingestellt hat. Man kann schlecht an einem Menschen herumzerren und schieben, den man überhaupt nicht mag oder überhaupt nicht kennt. Man kann auch besser ertragen, wenn die feuchte Hose ein bisschen nach Urin riecht.
Dann fahren wir Besorgungen machen. Meist ist es der Friseur und allerlei Einkäufe. Sie ist trotz allem eine gepflegte Erscheinung. Nach der Ausfahrt gibt es bei ihr immer Schrippen und Kaffee. Ein bisschen Plauderei. Ich gehe immer ganz fröhlich von ihr weg.

Mittwochsvormittag drehen wir zu zweit mit Wally S. unsere Runden im Garten des Heims. Sie ist schwer dement und 93 Jahre alt.
Immer, wenn wir kommen, fragt sie, was sie für uns tun kann. Sie war einmal Verwaltungsangestellte in Pankow und so spricht sie auch.
Alle fünf Minuten fragt sie: "Sagen Sie, wo ist eigentlich mein Mann?". Er ist vor einigen Monaten schon gestorben, aber sie hat es vergessen und man muss sie ablenken. Einmal habe ich ihr auch gesagt, dass er gestorben ist und sie fing an zu weinen. Nach einer Minute aber, fängt sie an, zu singen. Oder sie fragt: "Ich bin besoffen, stimmts?". Dann kriegt sie ein Unbehagen, ihr wird ihre Krankheit unklar bewusst. Das ist nicht gut.
Es gibt einen kleinen Kaninchenstall dort im Garten. Jedes Mal, wenn wir vorbeigehen, freut sie sich von Neuem und streichelt eines der Tiere. Wenn es stimmt, dass man alles vergisst bei Alzheimer oder Demenz, Gefühle vergisst man nicht.
Sie fühlt irgendwie, dass wir es gut meinen. Sie hat Zutrauen, immer.


Mittwochsnachmittag gehe ich mit Frau F. spazieren. Sie ist eigentlich noch ganz gut zu Fuß, benutzt aber einen Rollator und ist froh, wenn sie nicht allein ist, denn es wird ihr leicht schwindlig. Diesmal geht es ihr gut. Das spüre ich, weil sie viel erzählt und auch ihren trockenen Humor mit spazieren fährt. Als ich klage, dass mir der große Zeh wehtut, bietet sie an, mich zu schieben, ich könne mich ruhig vorn hin setzen. Die Idee gefällt mir und ich hätte Lust, so ein Foto zu inszenieren: Ich vorn auf dem kleinen Tritt und sie tut hinten, als wenn sie schiebt. Ich weiß genau, dass es nächste Woche wieder alles ganz anders sein kann. Letzte Woche war sie völlig fertig nach dem kleinen Spaziergang und hielt mich - entgegen ihren Gewohnheiten - nicht auf, als ich gehen wollte. Sie erzählte mir, sie sei vor dem Kühlschrank hingefallen und habe sich nur mit Rutschen und allerlei Tricks wieder in die Senkrechte bringen können. Dann begrub sie ihr Gesicht in den Händen und stöhnte: "Es ist furchtbar, wenn man älter wird". Sie ist 87 und bekam vor einem Jahr eine neue Herzklappe. Seitdem geht es ihr noch schlechter als vorher.

Das Donnerstags-Problem ist Frau U. Sie lebt in einem Altersheim und ist 80 Jahre alt. Sie hatte schon immer Kinderlähmung und erlitt vor drei Jahren einen Schlaganfall. Sie ist sehr verzweifelt über die Abhängigkeit von anderen Menschen, klagt viel und weint. Man hat mir gesagt, ich solle das nicht beachten, aber das kann ich nicht. Ich will kein Profi werden im "Betreuungsgeschäft".
Da ist noch soviel Kraft, die sich in Selbstzerstörung und Depression verschwendet. Und ich weiß, dass es für sie keinen Trost gibt. Von mir ohnehin nicht.

Vielleicht wenn ich die Chefärztin wäre oder irgendeine andere Autoritätsperson, dann fühlte sich durch Trost gestärkt. Sie ist so "gestrickt".
Nur innerlich kann ich ihr mehr Geduld wünschen. Woher soll die aber kommen bei einer Person, die gewohnt war, sich durchzusetzen und auch dass man auf sie hört. Sie lässt sich in eine Ecke schieben, die sonnenbestrahlt und windgeschützt ist. Und sie blickt immer auf die Uhr, um die ihr zustehende "Zeit" auch zu nutzen. Ansonsten unterhalten wir uns recht gut. Aber auch hier ist jede Woche anders.

Es gibt bei all diesen Frauen keine "Fortschritte", sondern immer nur einen dem Leben und der Verzweiflung abgetrotzten Tag.

Der Freitagnachmittag entschädigt für die Anstrengungen, denn dann ist Spielzeit. Vier Männer - alles Rollstuhlfahrer - und zwei Frauen treffen sich zum Skat.
Frau A. seit vielen Jahren im Rollstuhl kommt zum Rummy Cup. Das ist ein Spiel, das ich nicht kannte, aber sie hat es mir schnell beigebracht. Sie ist klein und dürr, hat nur einen Zahn im Mund. Aber sie ist herzensgut und engelsgeduldig. Jedes Spiel macht ihr Freude, sie hat immer gute Laune. Sie braucht auch fast keine Hilfe.

Den Männern fällt es schwer, sich helfen zu lassen. Nur einer - ein blondgefärbter Mittdreißiger - nutzt die Gelegenheit, wenn man ihm aus der Jacke hilft. Er weist mit einem Grinsen darauf hin, dass es "da unten" auch noch einen Knopf gäbe. Er ist vor vielen Jahren besoffen in ein unbekanntes Gewässer gesprungen. Jetzt kann er nicht einmal mehr die Karten selbst halten. Er bringt dafür immer eine Vorrichtung mit.
Die anderen warten, dass endlich mal ein Mann in unserer Betreuungsgruppe arbeitet. Einer mit dem sie unterwegs sein können und der ihnen auch mal aufs Klo hilft.

Ich war noch nie das, was man "sozial" nennt, abgesehen davon, dass ich Leuten auch dann was pumpen würde, wenn ich wüsste, dass sie davon eine Flasche Korn kaufen. Vielleicht fühle ich mich bei dieser Arbeit ganz gut, weil ihr Ende absehbar ist, vielleicht auch, weil man aus Hilfsleistungen manchmal eine eigene innere Stärke saugt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, am Montag geht es wieder von vorn los.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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