Noch heiterer wurde ich, als ich meine eigenen Gedanken bei ihm wiederfand – naja, nicht ganz, er ist schon ziemlich klug der Wolfgang Pohrt, dem so völlig wurscht war, was andere von ihm denken. Zumindest tat er immer so.
Es ist schon einige Zeit her, da habe ich so eine Tagesnotiz geschrieben: Der Kapitalismus hat kein Interesse an der Arbeitslosigkeit, aufs Ganze gesehen gräbt er sich damit ja das Wasser ab, wenn die Leute nichts konsumieren können“. Das erklärte der Verkäufer einer Obdachlosenzeitung heute einem interessierten Käufer. Tja, wo er recht hat, hat er recht. Aber das ist natürlich nur die eine Seite der Medaille. Das hat er nicht bedacht, der Hobbytheoretiker, dass die Unternehmen solche ganzheitlichen Betrachtungen selten anstellen können. Sie beschäftigen trotzdem immer mehr Leute in Billiglohnländern. Gestern wieder die „Deutsche Bank“. Und in der Tat schaffen sie dort, wo die Leute in Sweatshops schuften sogar einen kleinen Wohlstand, wenn auch auf höchst prekärer Basis.
Wie auch immer, Wolfgang Pohrt stellt andauernd solche Betrachtungen an, „löckt frohgemut wider den Stachel“ und schafft Empörungswellen, die allerdings in dem Umfeld, in dem er editorisch agiert hat, nicht zum Tsunami werden können. Es gibt nicht so viele Leute, die ihn wirklich lesen.
Im Vorwort seines letzten Buches „Kapitalismus forever“ (2012) erklärt er:
„Marxismus ist Schlafmittel, Beruhigungspille und Beschäftigungstherapie. Wir beobachten ihn immer dann, wenn die Leute lieber noch mal ein ganz dickes Buch lesen und danach gleich noch eins. Alles, bloß kein Krawall. Niemand wird enteignet. Die nächsten fünfzig Jahre ändert sich nichts, jedenfalls nichts von Bedeutung. Das ist die frohe Botschaft, die wir eintüten dürfen“.
Vorher lästert er noch ein bisschen über Sahra Wagenknecht, aber das zitiere ich lieber nicht, weil es sich nicht gehört.
Ich kann mir nicht helfen, das hat was Realistisches. Überhaupt verfolgte ich Wolfgang Pohrts Vorträge, von denen auch im Internet einiges zu finden gibt, mit Interesse. Und die sind auch nicht entmutigend, sondern eben erheiternd und erkenntnisfördernd. Vielleicht hängt das alles mit dem Älter werden zusammen, auch bei Pohrt. Man sieht nicht durch die Brille irgendwelcher Welterklärer, man sieht durch - all die Umbrüche, die man schon erlebt hat - und all die Rechthabereien und das volkstribunale Getue. Es ist so was von befreiend den Pohrt zu lesen, auch wenn der absolut seinen eigenen Stiefel macht.
Wenn ich Pohrt recht verstehe, ist der Kapitalismus in sich revolutionär, er "wittert" gewissermaßen, wann es unbedingt zu Veränderungen kommen muss. Darüber gibts interessante Betrachtungen. Ich kann hier - leider - nur die Nachrufe auf ihn verlinken, denn er ist am vergangenen Freitag gestorben.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108636.nachruf-wolfgang-pohrt-gegen-den-applaus.html
https://www.heise.de/tp/features/Kapitalismus-forever-3393624.html
Es gibt noch mehr Interessantes über Wolfgang Pohrt.
wwalkie hat beim Freitag ziemlich empört über ihn geschrieben, auch das sei hier nochmal verlinkt.
https://www.freitag.de/autoren/wwalkie/der-ewige-kapitalismus-die-beste-welt-des-wolfgang-pohrt
Wie auch immer. Es war mir eine Notiz hier wert. Mehr soll es auch nicht sein.
Kommentare 2
Danke für den Beitrag.
Ich habe Pohrt fast immer mit Vergnügen und Erkenntnisgewinn gelesen. Er war zu Beginn der einzige Linke, der die großen Friedensdemos in den 80ern, die alternative Szene kritisierte, als "Wiedergeburt der Nation", und zwar gnadenlos. Gerne hätte ich gelesen, wie Pohrt die plötzliche Entdeckung der "Heimat" in fast allen politischen Lagern aufgespieß(er)t hätte.
Sein "Kapitalismus for ever" hat mich geärgert. Das war für mich Pohrtismus auf die Spitze getrieben, kalt, ohne jede Perspektive, eine Abrechnung, vor allem mit den dogmatischen und den gewendeten Linken, aber auch mit all den Hoffnungen, die die Menschen je hatten und die - notwendig - weiterleben müssen.. Heute würde ich es als Quelle über den Zustand frankfurter Intellektueller im 5. Jahrzehnt nach 68 lesen.
Ich habe gerade seine "Brothers in Crime" (1997) hervorgekramt. Der Untertitel passt zur "postmodernen" Gegenwart: "Die Menschen im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit. Über die Herkunft von Gruppen, Cliquen, Banden, Rackets und Gangs". Im Vorwort die düstere Prognose
"Wenn es zum Kampf kommt, kämpft keiner für Freiheit oder Sozialismus. Jeder kämpft gegen jeden, jeder kämpft für sich". Ich hoffe, dass das unerwartete Ereignis Gilets jaunes das Gegenteil beweist. Sicher bin ich mir nicht.
Hab dir ja schon gesagt, dass ich das von dir hier erfuhr, ach und hach. Einen Tag vorher ist F.W. Bernstein gestorben, ein großes Tor, durch das da kurz vor Weihnachten 2018 gegangen wurde. Pohrt zum Gruße, verbunden mit Elchgesang: Amanda