Eine gelungene Vertretung

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Nachtrag zum Freitag-Salon mit Jakob Augstein und Oskar Lafontaine

Angekündigt war Sahra Wagenknecht – gekommen ist Oskar Lafontaine. Er vertrat die erkrankte stellvertretende Vorsitzende der Partei die LINKE aufs Beste und mit Vergnügen.

Schnell vergessen hatte man bei dem freundlichen Geplänkel, dass man ganz schön lange im Gedränge vor dem Eingang des Studios gestanden hatte, bevor der Einlass begann.

Die Konstellation war günstig: Den bereitwillig eingesprungenen Gast konnte man nicht so scharf angehen, was ohnehin nicht Jakob Augsteins Art ist. Eher beruhigte er ihn scherzhaft und versicherte, er werde ihn nicht mit irgendwelchen Fragen zu seinem Äußeren nerven, was er aber auch bei Frau Wagenknecht nicht in seiner Absicht gelegen hätte .

Die beiden Herren passten also zusammen, denn auch Oskar Lafontaine hat nicht mehr die Schärfe, die ihm früher mal eigen war. Verbindlich – ein bisschen verspielt, mit Sinn für die Dramaturgie und allgemein gewillt, nix zu sehr zuzuspitzen, so war das Klima.

Ich fragte mich, wie oft Lafontaine schon auf solchen Stühlen gesessen haben mag.

Wenig über Christian Wulff

Lafontaine war – erfreulicherweise - nicht gewillt, sich lange über den Christian Wulff zu verbreiten. Er konstatierte Ermüdungseffekte in der Öffentlichkeit und erinnerte sich, dass er als Präsident des Bundesrates diesen Job mal eine Weile – als Krankheitsvertretung – mit gemacht hätte. Schwer sei das nicht, wenig aufwendig. Vielleicht wäre das ja eine Idee, das Amt in Zukunft auszufüllen. Aber er meinte damit keineswegs sich – er ist weiter höchst aktiv und wird sich im Saarland – bei den fälligen Neuwahlen - auch wieder einmischen.

Jakob Augstein kam – noch ein wenig den Wulff-Pfad entlangpirschend - auf die Werte zu sprechen, die allüberall nicht mehr vorhanden sind, die Sehnsucht danach aber durchaus vorhanden sei.

So sei das eben in einem System, in dem die Menschen auf ihren ökonomischen Wert reduziert seien, wie im Gefolge des Neoliberalismus geschehen, meinte Lafontaine. .

Und dann schwenkte er von der – Häuslebau-Werte-Wulff - Schiene hinüber zu den wirklich gravierenden Wertewandeln in der Politik.

Wie anders als noch vor zwei Jahrzehnten würde gegenwärtig die Kriegsfrage diskutiert.

Wie lange habe Deutschland bewaffnete Interventionen als Option abgelehnt (allerdings bei immer glänzenden Waffengeschäften-Magda) während jetzt über deren Berechtigung und Sinnhaftigkeit diskutiert würde. Das sei nur eines von vielen Beispielen sehr beunruhigenden Wertewandels.

Lafontaine bestritt freundlich – energisch Jakob Augsteins Meinung, die LINKE hätte es doch jetzt leichter, werde von der Politik und den Medien fast gleichberechtigt behandelt.

Er verwies auf ein Gutachten, das andere Ergebnisse zeigte. Außerdem würde die LINKE nicht von der Wirtschaft „geschmiert“ wie andere Parteien. Deshalb war er – im Gegensatz zu seinem Gegenüber – durchaus für politische Talkshows, weil man da trotz allem die Inhalte der Partei die LINKE einbringen könnte. Aber er wünschte dringend – auch vom Podium des kleinen Studios – es sollten wieder mehr Sachfragen statt Personalfragen im Mittelpunkt stehen. Später im Gespräch sprach er zu verschiedenen Anwürfen und gegen die LINKE, z.B. über den Iran-Syrien Aufruf der LINKEN, der auch parteiintern zu Diskussionen führte – wobei er meinte, da ginge es manchmal mehr um Formulierungen.

Dennoch, fragte sich Augstein, wie es bloß komme, dass die LINKE, die doch in vielem so Recht habe, nicht gewählt würde. Die Rentner wählten ja eher die Parte, die ihnen eigentlich die Renten kürzt, meinte er. Das war der typische west-deutsche Blick. Die Rentner im Osten wählen anders. Als sei ihm das selbst aufgefallen, frage er Lafontaine, ob der die ostdeutsche Identität verstehe nach so vielen Jahren Ost-West-Partei-Arbeit? Das klang, als falle ihm das selbst manchmal schwer und erwarte von seinem Gesprächspartner eine Hilfe.

Hingegen blieb auch Oskar Lafontaine da zurückhaltend. Er forderte eine bessere – was immer das sein mag - Beschäftigung mit der Geschichte der DDR. Aber, mir schien, dass er diese Debatten nicht mag. Sie sind ja gegenwärtig auch eher Definitionsscharmützel, ein Minenfeld.

Er unterstrich, dass – aus seiner Sicht - die DDR am Mangel an Demokratie gescheitert sei und erzählte eine Anekdote über Erich Honecker, die deutlich gemacht hätte, wie wenig in der Realität diese Politiker gelebt hätten.

Vorher hatten die beiden Gesprächspartner schon mal die Religion und „letzte Fragen“ beim Wickel, bei der Lafontaine sich an den Konflikt mit seiner Mutter wegen des immer wieder geschwänzten Kirchganges erinnerte, aber dann doch wieder die Kurve zur politischen Gegenwart nahm: Der Gleichheitsgedanke steckte in den Religionen, eigentlich sei er auch eine alte „kommunistische“ Idee.

Salongemäßes Mäandern

So mäanderte das hin und her. Mir gefiel das, es ist unterhaltsam, bildend und belehrend, also durchaus salongemäß.

Lafontaine ist ein klarere und guter Rhetoriker – deshalb ging er immer wieder der Umdeutung und Inbesitznahme von Begriffen nach.

Beispiel: Schuldenbremse – alle dächten weil es ihnen eingetrichtert wurde, immer nur ans Sparen. Niemand denkt dabei an die Einnahmeseite.

Beispiel: Terrorismus – nach den gängigen Kriterien wäre auch die Bush-Regierung terroristisch.

Sahra Wagenknecht tauchte einmal auf als Buchautorin. Im letzten Jahr ist sie mit überraschenden Thesen aufgetreten. Sie hat Ludwig Erhard „gelobt“ und ihn aus der ordoliberalen Ecke heraus kritisiert. Eine überraschende Geschichte, die aber von ihr eher provokativ gemeint war.

„Ich liebe Oskar“, habe ich scherzhaft in anderen Zusammenhängen gesagt. Ja, ich finde ihn – bei allem Hang zum Vereinfachen, Zuspitzen, Polarisieren – noch immer glaubhaft. Ein politischer Mensch, der auch – die Jahre gingen drüber hin – sehr viele moralinsaure Anwürfe überstehen musste. Ob für ihn so etwas wie „liquid democracy“ vorstellbar sei, wie Augstein erkundete, weiß ich nicht. Er ist einer, dem man als Ganzes noch glauben muss – oder auch nicht – wofür er steht. Das ist nicht so schnell zu verflüssigen. Der bleibt ein politischer Festkörper.

Aber, er ist milder geworden, vielleicht die Prüfung einer überstandenen Krankheit, eine neue Liebe – das alles wirkte glättend, geduldsfördernd, wie mir scheint.

Wir – denn es waren wieder zahlreiche FC-Mitglieder dabei – gingen angeregt zum zweiten Teil des Abends über.

Community-Splitter

Gesichtet wurden .Chrislow, Rahab, Archinaut, ChristianBerlin, Popkontext, Goedzak Calvani und Uwe Theel, der aus einer ferneren Gegend angereist war wie auch Calvani und Goedzak. Immer interessant solche Begegnungen.

Eigentlich wollten wir noch allerlei bereden, aber es funktionierte nicht. Es setzten sich die Plauderer durch, was mir durchaus Recht war. Und am Ende fuhr Christian die Gegenden um Friedrichshain-Kreuzberg-Pankow ab, wofür ich mich als Endstation noch einmal herzlich bedanke.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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