Eine Ohrfeige in Oranienburg

Machtergreifung Dies ist eine Episode aus dem Leben meines „illegitimen“ Großvaters Wilhelm Friedrich Loeper, der im Jahr 1933 Reichsstatthalter von Anhalt war.

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„Oranienburg. Erster authentischer Bericht eines aus dem Konzentrationslager Geflüchteten.“, so der Titel eines Buches, das kurz nach der Machtergreifung Hitlers im Exil erschien und zu dem Heinrich Mann das Vorwort schrieb.

Dieser Bericht vermittelte der Welt einen erschreckenden Eindruck vom beginnenden und vom kommenden Grauen, das sich über Deutschland herabsenkte. Er stammt vom SPD-Politiker Gerhart Seger , Reichstagsabgeordneter und Chefredakteur des Volksblattes für Anhalt“.

Auch Thomas Manns Tagebücher erwähnen den authentischen Bericht, in dem Seger unter anderem das folgende Vorkommnis beschreibt: „Ich war im Lager Oranienburg als Schutzhaftgefangener des Landes Anhalt. Der Nazi-Gewaltige dieses Landes ist der Reichsstatthalter Wilhelm Loeper, Dessau, Hauptmann a.D., Reichstagsabgeordneter, Gauleiter der Nazipartei, Landesinspekteur der SA, ein, wie man aus der Fülle dieser Ämter sieht, Großverdiener, ein Revolutionsgewinnler des 30. Januar. Diesen Loeper kennzeichnet ein ebenso großes Maß von Eitelkeit und Rohheit, wie ein sogar im Nazilager nicht alltägliches, ungewöhnlich geringes Maß von Verstandeskräften und politischen Kenntnissen. Der Herr Reichsstatthalter ist in einen wahren Tobsuchtsausbruch verfallen, als er von meiner Flucht erfuhr, denn es war von ihm – nicht zuletzt zur Befriedigung seiner persönlichen Rachebedürfnisse – vorgesehen, dass ich (als einzige politische Geisel des Landes Anhalt) auf unabsehbare Zeit in „Schutzhaft“ festgehalten werden sollte. Um seiner außerordentlichen Wut eine Auslösung zu verschaffen, fuhr Herr Loeper nach Oranienburg ins Lager und – versetzte dem Lagerkommandanten öffentlich auf dem Hofe des Lagers ein paar Ohrfeigen. Diese Ohrfeigen hat der Lagerkommandant, der sie empfing, gewiss redlich verdient, aber sie kennzeichnen doch auch den Herrn Reichsstatthalter, der sie erteilte“.

Dieser Wilhelm Friedrich Loeper ist mein Großvater. Meine Mutter ist seine uneheliche Tochter aus einer Beziehung mit der Sängerin Helene Geisler, die damals in Stettin lebte.

Meine Mutter allerdings war eine ganz energische Gegnerin der Nazis und landete kurz vor dem Ende der Nazis – noch 1944 wegen Abhörens von Feindsendern – im Zuchthaus.

Einmal in ihrem Leben hat sie ihren Vater auch gesehen. Sie war im Jahr 1933 oder 1934 in Dessau zu einem kurzen Besuch. Er hat ihr eine Stelle in einem Leipziger Unternehmen vermittelt. Dafür war sie ihm dankbar. Immer wenn meine Mutter über ihren Vater sprach, fand ich das Wort „Reichsstatthalter“ beeindruckend. Es klang vornehm, nach innerem Adel und nach äußerer Ehre.

Schon vor einigen Jahren hat sich der Historiker Torsten Kupfer mit dem ehemaligen Reichsstatthalter beschäftigt. Er begründete sein Interesse für den anhaltischen Hauptmann damit, dass es sich bei Loeper um einen Mann der Zeitgeschichte handle, der eine Betrachtung wert sei. Auch er verzeichnet die Episode von Oranienburg in seiner Arbeit. Interessant ist, dass es zu einem solchen Auftrag überhaupt gekommen ist. Die Gauleiter und Reichsstatthalter sind weitgehend vergessen. Erst in diesen Tagen bemühen sich Historiker auf lokaler Ebene um dieses Thema. Es scheint so, als sei in Anhalt die Erinnerung an Loeper noch recht lebendig, so als habe sein früher Tod eine etwas freundlichere Legende begründet. Seine brutal-zornige Art wird aber nicht nur in der Oranienburg-Episode dokumentiert, sondern auch in anderen Berichten und einem Buch, das über ihn erschien. Er ist 1935 gestorben und Adolf Hitler sprach an seinem Sarg.

Nach dem Tode von Loeper ist ein Gedenkbuch erschienen.

Dr. Hans Henningsen: „Unser Hauptmann Loeper“

Es liefert eine Fülle hochinteressanter Informationen über den fremden Vorfahren.

Torsten Kupfer: Wilhelm Friedrich Loeper (1883 – 1935): NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter.

In: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 11, Köthen 2002, S. 155-165

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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