Erwachsen werden mit Susan Neiman

Freitag Salon Die Kindheit wird oft verklärt, die Jugend wird immer weiter ins Alter verschoben. Aber Erwachsen werden scheint kaum erstrebenswert. Fragen und Antworten beim Salon.

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Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder (Bibel)

Ich wollte nie erwachsen sein/ Irgendwo tief in mir, bin ich ein Kind geblieben (Tabaluga)

Oh selig, ein Kind noch zu sein (Zar und Zimmermann)

Die Kinder – und mehr noch die Kindheit - sie hat in diesem überhaupt nicht kinderfreundlichen Land einen kultig-mythischen Stellenwert. Das Buch der US-amerikanischen Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einsteinforums, Susan Neiman, die beim gestrigen Freitag-Salon eingeladen war aber stellt die Frage: „Warum erwachsen werden“. Und seltsamerweise verspürte auch ich bei dem Titel eine Art innerer Abwehr. Sind wir nicht alle schon zu elend erwachsen und finden es auch gut, wenn man die Illusionen verloren hat und nun so halbwegs weiß, wie der Laden läuft, der sich Leben nennt? Der „Laden“ lief gestern schon mal nicht ganz rund, denn Gastgeber Jakob Augstein ließ sich durch Chefredakteur Philip Grassmann entschuldigen*.

Dr. Wolfram Eilenberger, Chefredakteur der Zeitschrift Philosophie , sprang freundlich ein und moderierte sparsam und ruhig, denn Susan Neiman wollte vor allem ihr Buch ein bisschen promoten.

Erwachsen werden ist für sie kein pädagogisches Ziel, sondern etwas, das sie aus dem assoziativen Umfeld von „Ohne Illusionen“, Eigentlich am „Ende“ und „Sich abfinden“ befreien will. In einer Welt, die Kindheit und Jugendlichkeit so verklärt, ist das ein gutes, kontrapunktisches Unternehmen.

Niemand will wirklich erwachsen werden, wenn dies das Ende aller Hoffnung ist und das Gefühl des Betrogen worden seins hervorruft, wie es Simone de Beauvoir in ihrern Erinnerungen tut.

Was aber, wenn das ständige „Erwachsen werden“ die wirkliche und erstrebenswerte, immer wieder Neues hervorbringende Lebensweise wäre?

Kindheit“ der Vernunft ist immer dogmatisch und absolut und das Vertrauen in die Welt groß.

Adoleszenz“ der Vernunft aber sieht alles kritisch, skeptisch und erkennt, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollte. Dies ist ein Zustand, in dem sich viele Menschen bequem eingerichtet haben und ihre Ideale und Vorstellungen über Bord werfen. (Und ich hatte manchmal das Gefühl, dass viele ollen "Meckerköppe" sich aus diesem pubertären Stadium nicht verabschiedet haben). Alles, was über diese Jugendlichkeit hinaus geht, scheint von Übel.

Erwachsen werden aber ist ein schwieriger, nie endender Weg und bedeutet das Aushalten der Spannung zwischen einer Welt, wie sie ist und wie sie sein sollte. Diesem Weg gilt ihr Plädoyer und ihre Kritik allen ständigen Bemühungen, uns genau davon abzuhalten, abzulenken, zu zerstreuen und zu infantilisieren.

Übrigens: Die Internet-Welt war dabei auch einer ihrer Angriffspunkte. Aber dort kann man das, was sie aus ihrer Einleitung vorlas wunderbar nachlesen.

Der philosophische Bogen spannt sich zwischen Jean Jaques Rosseau, dem großen pädagogischen Philosophen der Aufklärung – einer, der die Welt eher sah, wie sie sein sollte - und Immanuel Kants Philosophie, die zwischen dem „Sollen“ der Welt und ihrem „Sein“ eine Brücke schlagen wollte.

Der Kantsche Satz von der selbst verschuldeten Unmündigkeit des Menschen aus Was ist Aufklärung - den Neiman das Mantra des Neoliberalismus nennt - spielte dabei eine Rolle. Ist er nicht bestens dafür geeignet, alles an das Individuum – allein - zu delegieren und die Gesellschaft, die Strukturen, die den Menschen unmündig halten zu verschleiern? Kant aber meinte es anders, er verwies durchaus auf die Kräfte, die unmündig halten wollen und gab dabei auch Hoffnung zum Handeln.

Ich fragte zu Beginn der Diskussion, wie Susan Neiman eine Figur wie Oskar Matzerath aus Grass’ Blechtrommel sieht, der aus Protest nicht weiter wächst. Erst hinterher fiel mir ein, dass Oskar ja nur körperlich klein bleibt, ansonsten höchst rebellische Entscheidungen trifft.

Seltsam war mir, dass einige Diskutantinnen den Zustand des „Kindlichen“ so vehement verteidigten, den Neiman ja gar nicht angegriffen hatte, sondern nur als einen Zustand beschrieb, der irgendwann enden muss. Die Kindheit schien mir dabei wie eine Sehnsuchtspojektion von Erwachsenen. Denn eigentlich ist das Kindsein ein ziemlich anstrengender Zustand, auch wenn die Bedingungen harmonisch und gut sind.

Erwachsen werden aber ist ebenfalls anstrengend, vor allem, weil der Zustand eigentlich nie erreicht werden kann.

Erwachsen sein im Absoluten wäre eigentlich der Tod. Davor aber sollte das ständige Bemühen stehen.

* Jakob Augsteins Abhaltung hatte schon was symbolisch- tragikomisches.

Er hat eine schwere Operation am Weißheitszahn überstanden, musste sich pflegen und konnte darum der Philosophin nicht auf den Zahn fühlen.

Gute Besserung und ein Privatkalauer von mir: Alles Elend der Welt hat manchmal in einem einzigen Zahn Platz – allerdings nur, wenn der noch einen Nerv dafür hat.

Gesellschaftliches: Diesmal habe ich mal wieder den Archinauten getroffen und - nachdem eine Verabredung (auch hier Gute Besserung) bedauerlicherweise geplatzt war - noch ein Glas getrunken und ein bisschen geschwatzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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