Familiengeheimnisse

Reformationstag Es hängt damit zusammen, dass meine familiären Wurzeln etwas brüchig sind.

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Meine Mutter ist in Stettin geboren. Durch vielerlei Umstände, die ich hier nicht näher erläutern will, sind weder sie noch ihre Mutter dort länger geblieben. Die beiden führten ein unstetes Leben.

Meine Großmutter war Sängerin und reiste von Engagement zu Engagement. Der Kindesvater war nicht mit ihr verheiratet, hat sich aber zu der Vaterschaft bekannt, obwohl die Rechtslagen damals noch kompliziert waren, was uneheliche Kinder betraf. Als die Zeit kam, da das Kind – also meine Mutter – zur Schule gehen musste, finanzierte er die Unterbringung in einem Pensionat der „Schwestern vom armen Kinde Jesu“ im niederländischen Simpelveld nicht weit von Aachen.

Mit 16 Jahren verließ meine Mutter dieses Pensionat mit einer intensiven katholischen Prägung. Der Katholizismus war ihr – in den schweren Prüfungen ihres Lebens – Halt, manchmal Familienersatz und Stütze. Und sie ließ auch von kritischen Einwänden wenig gelten.

Ich erinnere mich gut, dass sie von dieser sehr dogmatischen katholischen Erziehung auch die Abneigung gegenüber dem Protestantismus geerbt hat, der sie hin und wieder kraftvoll Ausdruck verlieh.

So führte sie zum Beispiel einmal am Reformationstag den folgenden Spottvers im Munde:

Herr Doktor Martin Luther

hat Hosen ohne Futter

hat Stiefel ohne Sohlen

den soll der Teufel holen

Ich wunderte mich darüber ein bisschen, denn ich konnte diese Abneigung – sicherlich auch dem Leben in Leipzig, der katholischen Diaspora geschuldet – nicht teilen. Eigentlich hatte meine Mutter ein ziemlich tolerantes Wesen. Nur, hier wurde sie immer grundsätzlich und der gegenwärtige Papst hätte seine Freude an ihr gehabt. Für sie waren die „Evangelischen“ keine wirkliche, nicht die wahre Religion.

Meine Mutter ist 1985 gestorben. Die Nachwendejahre gaben mir die Möglichkeit, intensiver nach unserer verrückten Familiengeschichte zu forschen.

Eines Tages saß ich im Zentralarchiv der evangelischen Kirchen am Kreuzberger Bethaniendamm. Ich hatte gelesen, dass dort die größte Sammlung von Kirchenbüchern aus den ehemaligen Ostgebieten archiviert ist. Ich dachte dabei gar nicht an die Konfession, sondern nur an diese Möglichkeit, nachzugrasen, ob es einen Nachweis über die Taufe meiner Mutter in Stettin gibt und ob vielleicht ihr Vater dabei war.

Ich hatte Glück, nach vier Stunden fand ich den gesuchten Eintrag: Am 15. Juli 1906 erschien eine junge Frau in der Stettiner Lutherkirche, um ihr Kind -ein Mädchen - taufen zu lassen. Geboren war es schon mehr als zwei Monate vorher - ein Siebenmonatskind, ziemlich schwächlich. Der Vater ist nicht angegeben. Die Mutter hat als Vornamen einer ihrer vielen Künstlernamen gewählt. Als Beruf ist Schauspielerin angegeben. Der Familienname ist auch der meine. Die Taufpaten sind der Inspizient eines Stettiner Theaters mit dem schönen französischen Namen Chevalier und seine Frau sowie noch eine weitere Person. Das Kind hat die mir bekannten drei schönen alten Vornamen und ist meine Mutter.

So erfuhr ich, dass sie ursprünglich evangelisch getauft ist. Sie selbst hat das nie erwähnt, ich vermute, dass sie es nicht einmal wusste. Mir schien das immer wie eine der vielen ironischen Brechungen ihres schwierigen Lebens und ich hoffe, sie hätte – am Ende – darüber vielleicht lächeln können.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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