Feldpostbriefe (9)

Der Erste Weltkrieg Dies ist ein Blick auf einen Vorfahren, den ich nie kennen lernte und dessen Leben fast exemplarisch für den Beginn des "Jahrhunderts der Extreme" (Eric Hobsbawm) ist

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Mehrere Monate sind ins Land gegangen. Wilhelm Friedrich Loeper war auf Heimaturlaub und hat seine Verlobte Elisabeth geheiratet. Der erste Brief von der Front aus Frankreich muss auf eine Todesnachricht antworten. Der Bruder seiner Frau ist gefallen. In die Worte der Anteilnahme mischen sich auch hier wieder sehr offizielle Phrasen voll von nationalistischem Pathos.

Lens, 14. Oktober 1915

Meine liebe, liebe, gute Frau!

Welche eine erschütternde Nachricht. Abermals hat der Tod in unseren Familienkreis gegriffen. Und nun hat es unseren lieben Kurt, diesen sonnigen Jungen getroffen. Ich kann es noch nicht fassen, sein Bild ist mir noch zu lebendig, als dass die Vorstellung seines Todes mir schon etwas Greifbares wäre. Welche Schmerz für Dich, Du liebste Frau, und welch Herzeleid für die arme Mutter. Wir alle wissen ja, um was es sich hier handelt, niemand ist sicher, dass er den nächsten Tag noch sieht. Und doch, trotz dieser klaren Vorstellung, begleitet einen jeden die Hoffnung, dass das Schicksal gerade ihn gnädig verschonen möge. Bis es dann anders kommt. Ich teile Deinen Schmerz Du liebste Frau, von ganzem Herzen, ist doch Dein Leid auch das meinige, hat doch auch mir Kurt als Dein lieber Bruder nahegestanden. Ich sehe ihn noch vor mir in all seiner jungenhaften Fröhlichkeit.

Uns allen kann

Die Stunde schlagen

Wir alle stehen hier todgeweiht, uns allen kann die Stunde schlagen. Freilich wir jungen Menschen hängen ja alle noch so mit allen Fasern am Leben, dem schönen, sonnigen, um so schöner, je mühevoller. Wir wollen noch nicht sterben, nicht der Vernichtung anheimfallen, mit Schaudern blicken wir hier den vielen Toten ins Gesicht, wir haben noch nicht den Verzicht des Alters. Das ist ja so natürlich. Und doch, wir alle wollen lieber sterben, als den Untergang des Vaterlandes, die Knechtschaft der Heimat, die Verwüstung unserer Fluren, die Schmach unserer Lieben. Für Euch daheim leben, leiden, dulden und sterben wir hier. Das adelt hier den Schlachtentod, das hebt den einzelnen zu den Sternen, das nimmt ihn auf in die Reihe der Unsterblichen.

Und wohl unserem lieben Kurt, dass er einen schnellen Tod gehabt, wohl ohne Bewusstsein, dass er gefallen beim Sturm auf den Feind. Welche Qualen sind ihm da erspart, wie manch einer liegt wochenlang herum und quält sich langsam zu Tode. Diese Gedanken müssen Euch beiden Frauen ein Trost sein. Er hat sein junges Leben dahingegeben wie viele Hunderttausende und ist als ein tapferer Soldat gestorben. Das soll uns allen Trost sein, nicht wahr, liebe Frau? Das Aufbäumen gegen das Schicksal hilft nichts, wir müssen uns ihm alle beugen, wir stehen alle in Gottes Hand.

Ich schreibe morgen an die Mutter. Gott gebe Euch Trost, Du liebe Frau. Ich bitte täglich um ein Wiedersehen. In tiefer inniger Liebe fühlt und leidet mit Dir

Dein Fritz

Courríèrres, 31. Dezember 1915 (Silvester)

Meine liebe kleine Frau!

Noch wenige Stunden und es läuten bei Euch daheim die Kirchenglocken. das furchtbare Jahr 1915 ist zu Ende. Dann beginnt 1916 und in den Herzen vieler Millionen Menschen auf dem Erdenrund steigt der heiße Wunsch empor, es möge ein Ende der Greuel bringen. Ob dies der Fall sein wird, steht in Gottes Hand, wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist. Wenn man von seinem eigenen kleinen Schicksal, seinem Wünschen und Hoffen, seiner Freude und seiner Trauer absieht, so hat man als Deutscher wahrlich allen Grund, dem Schicksal zu danken für den wunderbaren Gang der Weltgeschichte, die uns durch Nacht zum Licht geführt hat und die unzweifelhaft auch dem Enderfolg uns zusprechen wird.

Vergessen wir doch nicht, dass dies keine Selbstverständlichkeit war, wie es wohl daheim vielen erscheinen mag, sondern dass wir uns in der denkbar ungünstigsten militärischen Lage bei Kriegsbeginn sahen. Aber auf die Dauer hat nur der Tüchtige Glück und diese Tüchtigkeit erstand wieder aus der Einmütigkeit unseres Volkes. Diese aber ist geboren aus der Erkenntnis, der uns umgebenden Gefahr und aus dem Gefühl des uns geschehenen Unrechts. Und wie der Geist letzten Endes immer über die Materie siegt, so siegte eben im letzten Grunde das sittliche Prinzip über alle entgegenstehenden Schwierigkeiten. Will man es religiös ausdrücken, so kann man sagen: Gott war mit uns. So wird es weiter sein, denn das Gefühl, sich im Recht zu befinden, verleiht immer Stärke und die Mittel finden sich dann schon.

Was uns selbst betrifft, so haben wir ja im verflossenen Jahr einen großen Schmerz, aber doch ein tiefes Glück erlebt. Dies kann uns niemand und nichts, auch der Tod nicht rauben, aber hoffen wollen wir, dass uns das Leben es noch voll auskosten lassen möge. Es steht uns sicher noch Schweres bevor, aber ohne Kampf kein Sieg.

Danach hat Wilhelm Friedrich Loeper zwei Jahre nicht geschrieben, erklären die Herausgeber in dem Buch, aus dem diese Briefe stammen. Es kann durchaus sein, dass er eine Weile krank war, traumatisiert oder verwundet. Oder die Briefe aus jener Zeit künden nur noch vom Rückzug und sind darum auch nicht veröffentlicht. Erst im Jahr 1918 – der Krieg ist beendet - sind Briefe von ihm aus Belgien zu lesen.

Revolution und

„Dolchstoß“

Brüssel 10. November 1918

Mein Liebling!

Welch eine Zeit! Seit langem bin ich ohne jede Nachricht, seit langem habe auch nicht schreiben können, weil wir dauernd auf dem Marsche waren, die Front musste in die Linie Antwerpen-Maas gekürzt werden, und so waren wir in ununterbrochener Bewegung. Es waren sehr anstrengende Tage. Nun ist die ganze Division in Brüssel als Sicherheitsbesatzung. Wann wirst Du aber diese Zeilen erhalten, da keine Züge zur Zeit gehen?

Du weißt wie ich, was geschehen ist. Ich habe es kommen sehen und Dir schon neulich geschrieben. Uns Offizieren., die wir vier Jahre für das Vaterland gelitten und gestritten, bricht das Herz. Das ist der Fluch der bösen Tat. Revolution an allen Enden und unser König des Thrones beraubt. So tief sind wir gesunken. Nichts wäscht die Schmach dieser Tage ab. Und der Feind vor den Toren. Und wohin treibt die Entwicklung noch? Die Truppen sind nicht mehr zuverlässig, wehe aber, wenn die bewaffnete Horde sich über die Heimat ergießt! Was nun? Da die Monarchie beseitigt ist, der König uns verlassen hat, sind wir unseres Eides frei. Wie sollten wir uns verhalten? Ich habe eben mein Bataillon versammelt, die politische Lage vorgetragen und ihnen gesagt, das wir wenigstens unserem Volke treu sind, Ruhe und Ordnung bewahren, kein Blutvergießen verüben, unsere einfache Soldatenpflicht tun und unsererseits helfen wollen, das aus diesen trüben Tagen Besseres ersteht. Wie aber, wenn die Vernunft die Masse verlässt?

Was dann kommt, steht in Gottes Hand. Dass es in den anderen Ländern nicht besser zu sein scheint, wäre noch unser Glück. Ein jeder hat sich dahin zu stellen, wo für Ordnung und Ruhe gesorgt wird. Hätte der König die Seinen gerufen, bis auf den letzten Mann hätten wir uns für ihn erschlagen lassen. So sind wir dem Pöbel ausgeliefert. Die einzige Hoffnung ist noch, dass unser Volks nicht russisch veranlagt ist und wieder auf den Boden der Ordnung zurückfinden wird.

Als ich heute mein Offizierskorps versammelte, hat es nicht einen gegeben, dem nicht Tränen in den Augen standen, und wir sind doch sonst hart geworden im Kriege.

Was aus uns persönlich wird, das muß die Zukunft lehren. Es gibt doch unter den Menschen entsetzliches Gesindel, und was in diesen Tagen an bodenloser Niedertracht und Gemeinheit sich hervorwagt, das kann und mag ich dem Papier nicht anvertrauen.

Ich bin in schwerer Sorge um Dich, mein Liebling, Gott gebe, dass Du wohlauf bist und dass ich wieder von Dir höre. Der letzte Brief war, soweit mir in Erinnerung, vom 30. Oktober.

Hier in Brüssel frohlockt alles und hält schon die Fahnen für den Einzug des belgischen Königs bereit. Derweil bricht bei uns alles darnieder. Das schlimmste aber sind 30.000 Soldaten, die, von ihren Truppenteilen abhanden gekommen, hier herummarodieren. Unsere Division allein wird zur Aufrechterhaltung der Ruhe nicht ausreichen. Verstärkungen stehen bevor. So endet dieser Krieg auf dem Straßenpflaster. Das schlimmste wäre, wenn die Bande mit den Belgiern gemeinsame Sache macht.

Ich denke Deiner, Du Liebes, mit innigster Liebe und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen, wenn auch darüber der Schatten unerhörten Schmerzes steht!. Wo gibt es ein Volk, dass so treulos und erbärmlich im ersten Unglück seinen König verließ?

Laß Dich küssen und grüße die Mutter.

Dein Fritz

(Wird fortgesetzt)

In der nächsten und letzten Folge werde ich noch einen Brief des Hauptmanns veröffentlichen und dann seinen so exemplarischen Werdegang schildern.

Dazwischen Reinhard Mey, Konstantin Wecker und Hannes Wader

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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