Flüchtlinge - Narrative - Erkenntnisse

Freitag Salon Am überraschendsten im Leben sind Erkenntnisse, die lange unbeachtet vor einem gelegen haben. Das fiel mir gestern ein beim Freitag Salon mit Prof. Dr. Naika Foroutan

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Das Thema gestern war: Wieviel Farbe verträgt das deutsche Leitbild?* Prof. Foroutan wählte im Gegensatz zu dem Begriff Leitkultur den Begriff Leitbild , weil ersterer im Grunde sich vor allem Historisches-Vergangenes bezieht und eher auf Ab- und Ausgrenzung beruht, während Leitbild nach vorn weist.

Paradoxe Narrative

Die Art, wie gegenwärtig über Flüchtlinge geredet wird – also die vielbemühten Narrative – haben etwas Paradoxes. Die große Anzahl der Helfer, eine bis heute andauernde Hilfsbereitschaft, die Bereitschaft, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen, das ist auf der anderen Seite von wütender Abwehr und der Bereitschaft demokratische Standards aufzugeben begleitet, wie sie sich in der Schießbefehl-Debatte nebst den Ergebnissen der öffentlichen Umfragen zeigt. Ebenso zeigt sich, dass sich politische Lager in dieser Frage überhaupt nicht mehr definieren lassen, denn es gibt Zuspruch und Abwehr in allen politischen Camps, wie Naika Foroutan es nennt. Jene, die Merkel entschieden ablehnten, wurden temporäre Parteigänger und andere Merkelparteigänger ihre entschiedenen Gegner. Das Land ist aufgemischt.

Rationale Einsicht - emotionale Abwehr

Im Grunde genommen brechen sich da auch nichtgeführte Auseinandersetzungen Bahn. Die rationale Bereitschaft, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen und Fremdenfeindlichkeit abzulehnen, wurde – seit es ernst geworden ist - zunehmend von einer Abwehr abgelöst, die sich aus dem Gefühl speist, fremd zu werden im eigenen Land.

Für mich hat das einiges erklärt über das mir ganz unbegreiflihe Verhalten von Bürgern aus der alten Bundesrepublik, die seit Jahr und Tag ein flüchtlingsfreundliches Narrativ erzählten und sich jetzt auf einmal auch in Abwehr befinden. Ich habe das für mich als Heuchelei empfunden und – bei aller Ablehnung – jene Ossis für halbwegs ehrlicher gehalten, die sich mit Sprüchen gar nicht aufgehalten haben, sondern gleich ihre Gefühle geäußert haben. Aber, so einfach ist es eben nicht. Der Widerspruch zwischen dem, was man sagt und dem was man fühlt ist überall. Und mit Gefühlen kann man prima Klavier spielen.

Z. B. indem man die plötzliche hohe Zahl der Flüchtlinge zu „Abermillionen islamischer Einwanderer“ hochjazzt und mit dem Blick auf Relationen, auf Empirie überhaupt nichts mehr am Hut hat.

Das ist nicht alles

Zurück zu einer Blitzerkenntnis, die bei mir gleich am Anfang einschlug. Sie handelt von der Redewendung „Das ist nicht alles“. Prof. Foroutan erzählte, wie sie vor vielen Jahren das weltweit diskutierte Buch Nicht ohne meine Tochter von Betty Mahmoody gelesen hatte und empört war über die abwertend geschilderten Verhältnisse in dieser iranischen Familie, die die amerikanische Frau ihres männlichen Familienmitgliedes drangsaliert und einengt, über die geschilderte Rückständigkeit und Frauenfeindlichkeit. Sie war gerade aus dem Iran zurückgekommen und hatte ganz andere, freundliche, weltoffene Eindrücke mitgebracht. Ihr Vater aber sagte: „Doch, doch, genau das gibt es im Iran, das stimmt alles, aber es ist nicht alles“. Genau das ist das Verhängnis aller Debatten, dass sich unbedingt ein Narrativ allein medial durchsetzt und auch durchsetzen soll. Das ist das Elend, dass unterschiedliche Wahrnehmungen gar nicht beachtet und geachtet werden. Die Welt, Menschen in ihrer Vielfalt und Individualiät werden zurückgeführt auf eine einzige oberflächliche Wahrnehmung, auf Teilrealitäten. Und das noch Bedrücklichere ist, dass auch die Vielfalt der medialen Möglichkeiten, die sozialen Netzwerke dies noch mehr zu befestigen scheinen statt aufzulösen.

Auch eine ostdeutsche Erfahrung

Mir ging diese Erkenntnis auch als Ostdeutsche nahe, denn ihnen widerfährt auch immer wieder Ähnliches. Auch sie könnten zu jeder Beobachtung, zu jeder durchaus berechtigten Kritik und auch dem Befremden entgegnen: Aber, das ist nicht alles, wenn sie sich in einer Erzählung nicht wiederfinden. Ossis haben noch viele Narrative. Aber, auch bei ihnen soll sich unbedingt eine einzige Erzählung – ein Narrativ - durchsetzen. Diese Forderung hat im Grunde die Haltung „Wir wollen uns wechselseitig unser Leben erzählen“ abgelöst und wurde durch die starre Formel: „Die DDR war ein Unrechtsstaat“ ersetzt. Alles was es an Vielfalt der unterschiedlichen Leben gegeben hat, wurde damit zum Schweigen gebracht oder in ein Licht getaucht, dass das offene Erzählen gestoppt hat.

Über Performanz

Naika Foroutan sprach von einem diskutierten Phänomen, das u. a. Judith Butler die Philosophin, als Performanz gekennzeichnet hat. Etwas ins Ungenaue vereinfacht, bedeutet das, dass ein einzelner Mensch oder auch eine Gruppe dazu neigen, sich am Ende so verhalten, wie es ihrer Zuschreibung – der Art wie man über sie oder mit ihnen redet und sie behandelt - entspricht. Darin liegt Brisanz, denn ein Zuhörer merkte in der Diskusion an, die Transparente der Pegida „Wir sind das Pack“ hätten etwas von dieser ironisch bekundeten Annahme einer Zuschreibung.

Jakob Augstein vor allem aber bekundete seine Irritation über die intellektuelle Woge an Ablehnung, die gegenwärtig zur Flüchtlingsfrage an die Öffentlichkeit treten. Safranski, Sloterdijk, sie alle mit Texten, die eine grundsätzliche Gegnerschaft eskortieren sollen.

Prof. Naika Foroutan aber ist dennoch optimistisch. Es wird ein neues Einwanderungsrecht geben, so ihre Erwartung. Im Grunde meinte sie, hat sich Deutschland schon als viel weiter in der Integrationsentwicklung gezeigt, als es kleinmütige Leute annehmen.

Kleinmütige Kanzlerin

Als kleinmütig zeigt sich leider in diesen Tagen Angela Merkel, die sich – wie es aussieht - auf dem Rückzug befindet. Jakob Augstein merkte das einmal verdeckt an. Wenn man auch vieles an ihrem Verhalten als notwendige Realpolitik noch erklären kann, so ist doch zu besichtigen: Sie ist – umtost von reichlich Schmähung und groben politischen Anwürfen – nicht zornig, nicht entschieden, nicht „kenntlich“ genug geworden in dieser Krise. Sie rechnet alles herunter. Aus meiner Sicht lässt sie damit auch die vielen Helferinnen und Helfer und alle jene allein, die sich ihrer Haltung durchaus respektvoll angeschlosssen haben. Es wäre ihre Stunde gewesen, auch wenn sie möglicherweise gescheitert wäre. Jetzt ist es das Übliche.

*Hier ist die Veranstaltung nachzuhören

Naika Foroutan, Jahrgang 1971, ist Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin und stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM).

Naika Foroutan, Jahrgang 1971, ist Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin und stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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