Frankfurt - ein Reisebericht

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Heute beginnt die Buchmesse in Frankfurt/Main.

In Vorbereitung hat der Freitag im Print ein „Literarisches Quartett“ www.freitag.de/kultur/1039-literarisches-quartett

inszeniert , an dem ich mitwirken durfte. Es hat viel Spaß gemacht, obwohl ich im Nachhinein feststelle, dass ich den Diskutierenden oft und gern und freudig beigepflichtet habe, was nicht so viele Druckzeilen gibt.

Trotzdem: Ich denke, ich habe die Community ordentlich vertreten.

Erinnert habe ich mich bei der Gelegenheit an eine Frankfurtreise vor Jahren, die mich zu einemText inspiriert hat, dem viel Tatsächliches zugrunde liegt. Der Anlass dieser Reise war ebenfalls ein literarischer: Einige Damen eines Literaturportals trafen sich dort zum Gedankenaustausch.

Pension Schneider

Die Pension Schneider liegt in der Taunusstrasse im vierten Stock eines etwas verkommenen Bürgerhauses direkt am Frankfurter Hauptbahnhof. Ein Fräulein Schneider nebst Pension spielt eine Rolle im Musical „Cabaret“. Das bewog mich, anzufragen, ob ich für eine Nacht und nicht zu teuer dort ein Zimmer bekommen könnte.

Es war sehr warm für einen Oktobertag, als ich direkt vom Zug kommend, die Strasse überquerte, die den Bahnhof vom dazugehörigen Viertel trennt. In der Taunusstrasse gibt es ein paar Second Hand Shops, Läden mit orientalischen Souvenirs und einige Tante-Emma-Läden. Ansonsten aber Etablissements, Table Dance Schuppen, Video- und Sexshops, für die das Bahnhofsviertel bekannt ist und Pensionen.

Ich fuhr den ächzenden Fahrstuhl hinauf und fand die Betreiberin, die gar nichts von jenem anrüchigen Fräulein Schneider hatte, sondern eine grundsolide ältere Dame aus dem ehemaligen Jugoslawien war.Wir wurden schnell einig. Ein junges Mädchen, das kein Deutsch sprach und darum meine freundlichen Fragen mit einem gleichbleibenden Lächeln ohne Antwort ließ, zeigte mir das Zimmer. Ich fand es zweckmäßig und für den Preis in Ordnung. Es hatte viel Platz und eine blitzsaubere Sanitärzelle.

Das Zimmer war beherrscht von zwei Riesenfenstern -sehr hell. Und weil es ein Eckhaus war, konnte man je nachdem an welches Fenster man trat, unterschiedlich weit in drei Strassen blicken, die auf eine Kreuzung führten. Als ich mich ein wenig erfrischt hatte, trat ich an eines der Fenster. Wenn man sie öffnete, drang der Straßenlärm als gleichmäßiges Rauschen ans Ohr nur kurz unterbrochen von Hup- und Bremsgeräuschen.

Ein Höllenort mit Personal

Aus dem Fensterplatz eines gegenüberliegenden Restaurants, das den Namen „King George“ führte, hörte ich die helle, zänkische Stimme einer jungen Frau, die dort mit zwei Männern saß, deren dunkle Stimmen die ihre diffus untermalten. Was sie besprachen verstand ich nicht.

Ich verließ bald meinen Fensterplatz, um mir die Stadt anzusehen und etwas zu essen. Danach ging ich noch einmal zum Bahnhof, diesem Höllenort mit Personal.

Die jungen Leute, die hier auf der Suche nach Stoff herumirrten, sahen nicht verzweifelt, sondern traurig, albern und schmutzig aus. Auf einer kleinen Treppe hockte einer, tauchte gerade die Spritze in den Löffel und setzte sich den gekauften Schuss. Eine junge Frau unsäglich dürr, mit grauer Gesichtsfarbe fiel durch ihren seltsam steifen, gravitätischen Gang auf, sie verbog den Oberkörper, als hätten sie einen Schmerz zu vermeiden. Der Gang erinnerte an Betrunkene, die ihre Füße auch mit dieser besonderen Genauigkeit setzen. Ich flüchtete in die Taunusstraße, fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben, trat ans Fenster meines großen Zimmers. Inzwischen war es dämmrig geworden. Ich betrachtete die drei Straßen, die zu jener Kreuzung führte, in der ich logierte.

Das Gangwerk einer Uhr

Ich verfolgte diesen ständig gleichen Ablauf. Autos näherten sich der Kreuzung, hielten an oder fuhren schnell durch, standen wartend an der Ampel, Fußgänger passierten die Kreuzungswege. Wie das hinter Glas sichtbare Gangwerk einer Uhr, bewegte sich das Leben im Rhythmus der Ampelanlage. Nur die Fußgänger brachten mit gewagten Wechseln der Straßenseite im fließenden Verkehr das Geschehen immer wieder aus dem Takt. Bei manchen fürchtete ich, dass es ihr letzter Gang würde, aber sie und auch die Autofahrer dort waren geübt in der Vermeidung von Katastrophen.

Männer gingen zielstrebig in eines der zahlreichen Häuser, sie kamen allein oder zu mehreren heraus und stießen mit den Schultern beinahe immer gegen die der Männer, die ihnen entgegenkamen. Deutsche, Japaner, Araber, alle gingen dort ein und aus.

Wenige jungen Frauen, die sich gegen die Mauern der Häuser lehnten, waren auf der Suche nach einem Freier oder einem Dealer, andere auch nur nach Gesellschaft. Die junge Frau aus dem „King George“ sah ich wieder. Sie ging mit einem jungen Mann, der sie aber wenig beachtete. Sie rührte mich, weil sie versuchte mit ihm Schritt zu halten, wie eine kleine Schwester.

Beide wurden von eineranderen jungen Frau aufgehalten, die – waghalsig zwischen den fahrenden Autos durchschlüpfend - von der anderen Straßenseite gekommen war. In der Hand schwang sie drohend etwas gelbes, viereckiges, das wie eine Mappe oder ein Briefumschlag aussah. Als ihre Kontrahentin danach greifen wollte, zog sie es weg. Dabei wurde laut gesprochen, aber ich verstand nicht worum es ging. Plötzlich hob die Besitzerin des Umschlages die Hand – es entstand eine kurze, aber kraftlose Rauferei, während der junge Mann bewegungslos dabei stehen blieb. Schließlich ging die junge Frau mit dem gelben Briefumschlag zum „King George“. Sie gab dem Pförtner, der draußen stand und rauchte, ihren Umschlag, sprach eindringlich auf ihn ein und entfernte sich in Richtung Bahnhof mit zwei jungen Männern, die unbemerkt herangekommen waren. Ich stand noch eine Weile am Fenster, blickte auf den jungen Mann im Rollstuhl, der schon den ganzen Abend an der Kreuzung stand und für andere junge Männer einen Treffpunkt bildete. Und ich musste plötzlich einen lieben Menschen anrufen, der mir das Gefühl vertrieb, ich sei ausgestoßen aus der wirklichen Welt.

Dann stopfte ich mir Watte in die Ohren und ging zu Bett, das Rauschen dieser Kreuzung in einen leichten Schlaf mitnehmend. Als ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, als sei das ständige Rauschen, welches ich im Unterbewusstsein dauernd gehört hatte, von einem lauteren Schrei durchbrochen worden.

Klage in der Dämmerung

Ich blickte auf die Uhr – es war schon fast Morgen, aber noch dämmrig – und trat wieder ans Fenster. Eine schwarze Frau hockte an der Wand des gegenüberliegenden Hauses, hatte ihr Kleid um sich gebreitet und die Füße darunter gezogen. Sie wiegte sich und stieß dabei klagende Laute aus. Der Grund dafür war vorerst nicht zu erkennen. Eine Traube von Menschen stand dicht neben ihr und verdeckte, was auf dem Boden lag.

Ein Polizeiauto war bereits da und nach einer Weile trennten die Beamten die Gruppe der Umstehenden, so dass ich mehr sehen konnte. Die junge Frau, welche den gelben Umschlag beim King George abgegeben hatte, lag auf dem Pflaster, leblos. Neben ihr, schon außer Gefecht gesetzt von den Polizisten. saß ein junger Mann, die Arme auf dem Rücken.

Und während dies alles geschah, sah ich die andere junge Frau, die „kleine Schwester“ des Mannes, der nun auf dem Boden saß, zum Eingang des King George gehen. Beim Herauskommen hatte sie den gelben Umschlag in der Hand, der Pförtner hatte ihn ihr ohne großen Aufwand wohl gegeben und lachte, als sie einen Scherz machte.

Bald zog wieder Ruhe ein auf dieser Straße – der Morgen dämmerte schon. Neben dem King George stand der Pförtner jetzt mit einer anderen Frau. Auf dem Boden saß noch immer die schwarze Afrikanerin, noch immer sich wiegend und noch immer klagende Rufe ausstoßend. Das Uhrwerk lief wieder gleichmäßig. Ich aber ging wieder zum Bahnhof – fuhr zu einer kleinen Stadt, in der man seinen Verrichtungen nachging, auch die immer gleichen, aber ihren Bewohnern wichtig.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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