Deutschland hatte schon immer massive Benotungsprobleme. Während sie sich jetzt um fehlende Fußnoten bei zu Guttenberg streiten, postuliert der renommierte deutsche Historiker Hans Ulrich Wehler im fünften Band seiner Gesellschaftsgeschichte, dass die ganze DDR überhaupt nur eine Fußnote gewesen sei. Der Weltgeschichte nämlich. Das tat er mit solch verbissenem Triumph, das es auch bei Leuten Widerspruch weckte, die mit der DDR nicht so sehr viel am Hut haben. Zum Beispiel bei der Schriftstellerin Monika Maron.
Dem einen sind Fußnoten so etwas wie Mumpe und wurscht, dem anderen hochwichtig. Ups ,was jetzt. Wenn die Weltgeschichte diese Fußnote gar nicht gesetzt hätte, ei,ei dann hätte es die DDR nie gegeben. Also mal sind sie ganz unwichtig und mal ganz wichtig, die Fußnoten.
Über so was sollten sie mal abstimmen bei BILD. Die haben die "DDR" in Anführungszeichen gesetzt, also andauernd zitiert, obwohl sie doch eigentlich gar nicht da sein sollte und das auch noch – das bedenke man mal - ohne Fußnote. Ist die DDR deshalb eingegangen ,weil sie nur ein Zitat ohne Fußnote war? Oder ist sie eingegangen, weil sie eine Fußnote ohne Zitat war? Fragen über Fragen.
In der DDR – auch das muss man aufarbeiten – gab’s immer Kopfnoten in der Schule. Ordnung, Mitarbeit, Fleiß und Betragen wurden damit bewertet. Sehr miefig war das und passte eine Weile nicht mehr, bis sie – aufgearbeitet und stasiüberprüft – doch wieder auftauchten. Z. B. in Bayern und später auch wieder in einigen neuen Bundesländern. Da wurde das ein bisschen aufgebrezelt mit den Kopfnoten.
Die gabs für Kommunikationsfähigkeit, Konfliktverhalten, Konzentration und Ausdauer.
Aber es gab auch massive Proteste und deshalb hat man sie wieder abgeschafft.
Kopfnoten beschreiben die eigentlich berüchtigten Sekundärtugenden - solche mit denen man laut Oskar Lafontaine - auch ein KZ führen kann. Das hat der mal behauptet, um den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zu ärgern. Mal sind sie also im Kommen, die Kopfnoten, mal in Verruf.
Wie man auch immer drüber denkt: Für nicht gesetzte Fußnoten gäbe es heute in Bayern wieder keine schlechten Kopfnoten.Aber zu Guttenberg könnte auch eine Fußnote werden, welcher Geschichte auch immer, wenn das so weitergeht.
Kommentare 10
Liebe Magda,
Sehr amüsant, diese kleine Vignette zu H.U. Wehler.
Die Koryphäe, seit einiger Zeit auf einem eigenwilligen Geschichtsdeutungstrip, der eigentlich gar nicht zu seinem Wissenschaftsansatz in der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte passt, befindet sich, was die Vorstellung von Fußnoten in der Geschichte angeht in bester Gesellschaft.
Historiker und Politologen, ebenso Ökonomen als Fuß- und Kopfnotenverteiler, haben sich aber in jüngster Zeit sehr häufig und gewaltig geirrt.
Denken Sie, liebe Magda, nur einmal an Francis Fukuyama, der das Ende der Geschichte herbeischrieb, dann von der endlosen Dauer der posthumanen Gesellschaft fabulierte. In seinen Büchern haufenweise kluge Gedanken und dann eben, direkt daneben, auch Bullshit.
Denken Sie an Bertrand Russell, der, allerdings mit viel mehr Augenzwinkern in der Stimme, -Geht zwar nicht, aber klingt gut. Ich glaube es waren die BBC-Radio, Reith-Lectures in denen er das fürs Publikum äußerte. -, die westliche Philosophie als Fußnoten zu Platon verstanden wissen wollte.
So lange Ehrenfried Muthesius und Heinz Ehrhardt nicht Recht behalten, sie schrieben über, bzw. spielten den "letzten Fußgänger", glaube ich daran, dass Fußnoten und biologische Fußabdrücke doch zählen.
Es geht nichts verloren und auch der zu Recht gescheiterte Realsozialismus auf dem nur erlogenen Weg zum Kommunismus hinterlässt zumindest eine utopische Erinnerungsspur an ein anderes, bessres soziales Leben.
In der Fußnote liegt auch die Bedeutung, die sie in der Geisteswissenschaft und in den Humanities hat. Sie ist eine Sicherheit an der Basis, eine Wurzel, ein Urgrund und ein Abdruck derer auf uns, die schon undenklich vorher klug dachten. Wenn Sie so wollen die Schnüffelspur des Wissenschaftlers, der Geruch des Geistes.
Darum, liebe Magda, ein Hoch auf die sparsam, aber wahrhaftig gesetzten Fußnoten der Geschichte und der Geschichten von der Geschichte. - Historiker neigen eigentlich nicht sehr gerne zu Wertungen. Sie sind, im besten Falle, Meister der Beschreibung. Aber als emeritierter, ehemaliger Ordinarius möchte man auch einmal eine Wertung setzen, eine Fußnote hinterlassen.
Der Freiherr hat übrigens nicht Fußnotensalat angerichtet, sondern ganz dreist seine Hauptarbeit mit den Gedanken anderer gewürzt. Seitenweise! Des Gedankens Blässe, Eitelkeit und ein gewisser Mutwillen (Vorsatz), sich jedes möglichen Vorteils zur Karriere auch zu bedienen, waren die Motive. Gewiss nicht, das europäische Recht ehrenvoll voran zu bringen. Ich schreibe es nur hin, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, das sei Pillepalle. - Na, Sie wissen das ja.
Mit der "Kopfnote" sechs (die es real icht gibt, ;-)) ), die diese "Fußnotenaffäre" nun nach vorn bringt, mit der das Geschichtchen promoviert, treffen sie es.
Denn der Universitätscharakter, jedenfalls der der deutschen Universität, ist immer noch der, neben dem gebildeten und wissenden Menschen, auch einen moralisch kompetenten Menschen auszubilden. Auch fürs Schulsystem gilt das ja, zumindest in jeder Sonntagsrede. Um so mieser, wenn sich einer nicht nur dumm anstellt, sondern auch noch die bürgerlichen Tugenden auf den Müll wirft.
Wer keine Fußnoten kennt, in der Wissenschaft und Kultur, dem geht es wie dem, der partout kein Gedicht und kein Lied kennen möchte. Er wird im Grunde des Herzens böse. Die leere Fußnote deutet auf einen leeren Kopf, zu viele Fußnoten auf einen ganz wirren oder selbstunsicheren Geist.
Schönes Wochenende und gute Nacht
Christoph Leusch
köstlich, magda; und über allem prangte in den ddr-zeugnissen die oberknopfnote GESAMTVERHALTEN, da wards den scholaren manchmal schlecht, auch mir ...
Hallo, hallo,
danke für die geschätzte Aufmerksamkeit.
@ Columbus - Wenn das Amüsement zu solch einem hübschen Antwortexkurs durch Zeit und Raum führt, dann hat es sich doch gelohnt.
An Francis Fukuyama habe ich u.a. übrigens auch gedacht bei dieser "Fußnotengeschichte" .
Überhaupt bin ich gern gefolgt.
@ Jayne- ja, stimmt GESAMTVERHALTEN hieß der Oberbegriff. Ich war da immer schlecht benotet, weil ich eine freche Schulschwänzerin war.
Aber eigentlich ist am Ende auch die DDR an ihrem GESAMTVERHALTEN gescheitert.
Gruß
Trotz ihrer gegenwärtigen Hochkonjunktur wird die Fußnote im Allgemeinen unterschätzt. Ihre dramatische Geschichte wird von Prof. Anthony Grafton aus Princeton in seinem Werk „Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote“ ( Berlin 1995 ) eindringlich beschrieben. Seine Untersuchung weist nach, dass sie insbesondere in Deutschland als „Tummelplatz der Leidenschaften“ und als „Schlachtfeld intellektueller Kämpfe“ eine wichtige dramaturgische und Erkenntnis stiftende Funktion in den wissenschaftlichen Debatten gespielt hat. Umso bedauerlicher, dass sie „ gerade unter den Bedingungen postmodernen Desktop-Publishings (…) immer öfter das eigentümliche Schicksal zu ereilen pflegt, entweder abgeschnitten, d. h. kastriert, oder aber ins Jammertal des Endnotendaseins verwiesen zu werden – um dort recht eigentlich zu verenden.“
Sehr interessanter Aspekt. Mir fällt dazu das folgende epochale Werk ein:
"Die Vertreibung der Fußnote ans Ende der wissenschaftlichen Abhandlung und ihr damit einhergehender und leichtfertig hingenommener schleichender Bedeutungsverlust als wissenschaftliches Instrument.".
1) Zitiert nach Dr. Anselmus E. Fußpilz:-))
Liebe Magda,
das ist doch ganz einfach.
Die Kopfnote muss auf die Füsse gestellt werden.
Dann kann die Kopfnote endlich verduften.
Die Fußnote dagegen braucht einen Kopf , der beim wissenschaftlichen Arbeiten nicht betrügt und sie ganz einfach setzt.
Die Fußnote braucht sozusagen einen Anti-Gutti.
Dann ist alles paletti. ;)
Herzliche Grüße
aus Essen
por
-grantiert kein Besserbescheidweisswessi ;)
"Während sie sich jetzt um fehlende Fußnoten bei zu Guttenberg streiten, ... "
liebe magda, darf ich anmerken, dass es längst und grundsätzlich um etwas mehr geht bei der bewertung der diss des herrn von und zu g.?
das runterreden zu kleinkram ist für den sachverhalt von interessierter seite zwar beliebt, aber ebenso unverhältnismäßig wie der fußnotenvergleich zur geschichte der ddr.
"liebe magda, darf ich anmerken, dass es längst und grundsätzlich um etwas mehr geht bei der bewertung der diss des herrn von und zu g.?"
Darf ich drauf hinweisen, lieber h.yuren, dass ich persönlich gestern auf der entsprechenden Demo war. Und warum wohl? Weil mir das alles klar ist.
Wenn ich hier einen kleinen Gedankensplitter zum Thema einstelle, rede ich doch nichts runter.
Och, jetzt haste mich geärgert.
Ach, ich ahne das Missverständnis. Mit "Gebrabbel" wollte ich nicht die wichtige essentielle Debatte diskreditieren, sondern meinte eigentlich ironisch mich selbst damit. Gebrabbel als Randbemerkung.
du hast richtig geahnt, liebe magda. und ärgern wollte ich dich nicht, allenfalls ein wenig zurechtrücken. alles ok.