Mit viel Brimborium begeht man heute mal wieder den 20. Juli, den Tag des Stauffenberg Attentats. Und – wie immer – ärgere ich mich darüber.
In einem Rundfunkbericht auf Deutschlandradio Kultur wird über einen der Wohnsitze der Stauffenbergs in Brandenburg gesprochen und darüber, dass zu DDR-Zeit nur derkommunistische Widerstand gewürdigt worden sei. Das ist bequem und kurzschlüssig und es schlägt die ganzen vierzig Jahre der DDR über einen Leisten. Längst hatte sichin den 80er Jahren eine differenziertere Sicht durchgesetzt. Sicherlich waren auch dabei tagespolitische Absichten im Spiel, aber wo ist das nicht so.
Einen gallig-treffenden Satz habe ich außerdem noch bei dem amerikanischen Historiker Nathan Stoltzfuss gefunden. Der kritisiert eine hierarchische, autoritäre Auffassung des Staates, wie sie sich auch in dem Widerstandsbegriff der frühen Nachkriegszeit niederschlug...“. Und darin sind die Widerstandsleistungen einfacher Menschen nicht enthalten.
Gegen diese Gentrifizierung des Widerstandes – erinnere ich hier an meine Mutter.
Sie ist – nachdem sie vorher schon unter Gestapo-Aufsicht stand – im Juli 1944 noch verhaftet worden. Sie hat über diese Zeit einen schriftlichen Bericht hinterlassen (für den katholischen Pfarrer, der sie in den 70er Jahren dazu ermuntert hatte) Ich stelle einen kleinen Ausschnitt dazu hier ein:
Wie es zu meiner Inhaftierung kam
Ich arbeitete damals in einem großen Rüstungsbetrieb als Kontoristin und Stenotypistin. Auch in unserm Werk, gleich vielen anderen, waren ausländische Arbeiter beschäftigt. Hauptsächlich Franzosen und Belgier. Da ich ihre Sprache ziemlich gut sprechen kann, wurde ich für ihre Angelegenheiten als Dolmetscherin herangezogen. Doch dabei blieb es nicht. Weil die Leute unsere Zeitungen und auch Radionachrichten nicht lesen und verstehen konnte, habe ich ihnen vieles übermittelt, was sie besonders interessierte: die Lage an den Fronten usw.
Ich hatte Bekannte, die einen großen Radioapparat besaßen. Wir haben sehr viele Auslandssendungen miteinander abgehört. Diese Bekannten, Herr und Frau G., kamen durch mich in große Bedrängnis. Sie waren jedoch nur 10 Tage in Haft.
Ich habe die Nachrichten des Londoner Rundfunks immer ins Französische übertragen, und mit der Maschine auf kleine Zettelchen geschrieben, auf einer Ormigmaschine vervielfältigt und dann den Leuten, wenn ich in den Betrieb hinunterging, in die Taschen hineingesteckt. Ich forderte sie auf, das Tempo zu verlangsamen, nicht so schnell zu arbeiten, der Krieg sei sowieso verloren, und die verhaßten Nazis würden millionenfach gehängt werden. So und ähnlich waren unsere Parolen "a-bas Hitler", das war unsere Devise, wenn ich mich mit den Ausländern und sie sich mit mir unterhielten. So etwas konnte nicht lange gut gehen. Ich bin manchmal sehr impulsiv und war auch in unserer Abteilung in politischer Hinsicht ein Draufgänger und dafür allgemein bekannt. "Dich holen sie noch mal", warnten mich meine Kolleginnen immer wieder. "Mit Euch kann man auch kein Pferd mausen gehen", war oft meine lakonische Antwort. Von Natur bin ich ein Träumer, doch dieses verhaßte Regime regte einen immer wieder von Neuem auf.
Es kam der 23. Juli 1944. Ich wurde früh, als ich in unsere Abteilung kam, gegen 9.00 Uhr von der Gestapo abgeholt. Es waren zwei Beamte, die mich mit dem Auto in die Auenstraße brachten. Das ging alles sehr ruhig und ohne viel Aufhebens vonstatten. In der genannten Straße waren damals das Gebäude und die Büros der Gestapo untergebracht.Ich wurde sofort in das Dienstzimmer eines Gestapobeamten hineingeschoben. Das Aussehen dieses Mannes und mag es nun 30 Jahre her sein, könnte ich Ihnen heute noch ganz genau beschreiben. Aber, das ist nicht so wichtig.
"Nun setz Dich mal hin, Du kleines gefährliches Biest, da geht aber der Kopf runter und Deine unschuldige Fresse wirst Du nie wieder aufmachen können". So begann er mit dem Verhör. Er schlug unbarmherzig auf mich ein. Die Brille fiel auf die Erde und ich konnte mich auf seine Fragen gar nicht richtig konzentrieren. "Du hast ja selbst kein Radio und nun sag uns, wo Du die Sendungen gehört hat, gib uns die Adresse an, wo die Leute wohnen"! Ich habe mich hartnäckig geweigert, eine Auskunft zu geben. Er hat mich nicht mehr geschlagen, aber dann stellte er eine furchtbare Bedingung. " Ich gebe Dir eine halbe Stunde Zeit zum Überlegen, nennst Du uns nicht die Adresse, dann muß Dein Kind dran glauben. Ein Ferngespräch an unsere Dienststelle in Lörrach und Dein Junge wird das zweite halbe Lebensjahr nicht mehr beginnen. Da machen wir kurzen Prozeß, sein Lebenslichtlein wird ausgepustet!" Mein Junge war in dem Ort in einer Pflegestelle untergebracht, bei einer Frau Weber. Unsere Gemeindeschwester Maura in der Liebfrauengemeinde hatte mir diese Stelle besorgt.
Ich bekam fast einen Schock. Diese Drohung lähmte mich. Er hatte mich bei meiner schwächsten Stelle gepackt. Und diese Bekannten, Herr und Frau G., kamen nun durch mein Verschulden ebenfalls in furchtbare Bedrängnis, wie ich es Ihnen ja schon angedeutet hatte. Ich gab ihre Adresse an und auch sie wurden sofort verhaftet, wenn auch nur für 10 Tage, wie ich schon berichtete.
Meine Mutter fand eine plausible Begründung für das Abhören der Auslandssender in einer fremden Wohnung und fand – gegen Ende des Krieges – auch Juristen, die nicht mehr mit der vollen Härte zuschlugen. Sie selbst wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt – ein „mildes“ Urteil. Sie verbrachte die Zeit bis April 1945 auf dem Gefangenentransport durch Deutschland, der sie bis ins Zuchthaus Bremen-Oßlebshausen führte. Dort wurde sie von den Briten befreit.
Ich mache demnächst hier in Berlin eine Lesung zu dieser Familiengeschichte.
Kommentare 16
Wann und wo?
hellma.berlinmarzahn.de/
ich hoffe, der Link funktioniert.
Das ist der letzte Termin im Juli. Es ist ein Frauentreff, aber ganz unorthodox und Männer dürfen auch rein.
Achso, dann unter Events klicken.
"Es ist ein Frauentreff, aber ganz unorthodox und Männer dürfen auch rein."
Jaja, bei den Ossas muß immer alles anders sein.
Blöd, ich komme erst Freitag nach B.
@ merdeistesr - "Blöd, ich komme erst Freitag nach B."
Ja, bedauerlich, dann sind wir vielleicht nur 2-3. :-))
Es ist ein kleiner Treff. Ich habe schon immer mal mit dem Gedanken gespielt, die ganze Familiengeschichte zu "verbloggen". Also die Essenz der Geschichte zu erzählen. Sie ist hochspannend. Aber, ob das für den "Freitag" geht. Vielleicht mache ichs auf meinem eigenen Blog und verlinke mal. Und außerdem will ich ja ien Buch draus machen. Mir fehlen noch paar konzeptionelle Ideen dazu.
Aber lieb, dass Du interessiert bist.
"Jaja, bei den Ossas muß immer alles anders sein."
Genau, genau Tittaleinchen vom Nordrheinchen-Westfalileinchen.
Das kurze Stück fand ich schon sehr spannend (wenn das nicht zu platt ist). Und man sieht daran schon, was Du von Deiner Mutter hast, zumindest wenn ich von Deinem Community-Fenster ausgehe.
"Es ist ein Frauentreff, aber ganz unorthodox und Männer dürfen auch rein."
Ja Gott sei Dank.
Ich stand mal vor unserem Infoladen und durfte nicht mehr rein, weil der von den Frauen übernommen worden war, und ich doch noch eine von Rückständigen war, die noch mit Männern zusammenarbeiten wollte.
Ja, so war das, damals mit Tittaleinchen in Nordrheinchen-Westfalileinchen.
"Und man sieht daran schon, was Du von Deiner Mutter hast, zumindest wenn ich von Deinem Community-Fenster ausgehe"
Ach, da hätte sie sich gefreut. Meine Mutter ist schon so viele Jahre tot. Aber es hätte sie mit Sorge erfüllt, wenn ich ihr zu ähnlich gewesen wäre. ("Aus dem Kind wird ja so nichts".)
völlig unbekannterweise glaube ich auch eine familienähnlichkeit rauszulesen
und schade, dass du nicht in hamburg liest...
Von Hamburg nach Berlin braucht man doch nur 1,5h, mit den schschschschschschschnelllllllen ICE.
liebe magda, das private gedenken öffentlich zu machen, ist wichtig und interessant. nicht minder wichtig und interessant ist aber auch dein blick auf die art und weise, wie des widerstands gedacht wird in der gedenkrepublik. wie sich jemand, und sei er aus den usa, einen staat unhierarchisch unautoritär vorzustellen vermag, weiß ich nicht. meines wissens gibt es keinen staat ohne herrschaft. wie hierarchisch alle gesellschaften in allen staaten aufgebaut sind, ist überall zu besichtigen. wie autoritär die herrschaft sich zeigt, hängt von den (ge)zeiten ab. je heißer der krieg nach außen, desto spürbarer der krieg nach innen. man denke an die exzesse des sog. kalten krieges. und jetzt an den krieg gegen den terror.
unter diesen umständen muss das gedenken edel sein oder wie du es nennst: gentrifiziert. wir sind elite.
herzlich
helder
"wie sich jemand, und sei er aus den usa, einen staat unhierarchisch unautoritär vorzustellen vermag, weiß ich nicht. meines wissens gibt es keinen staat ohne herrschaft."
Das kann ja sein. Aber Stoltzfuss bezog sich auf die Gedenkkultur im Westdeutschland der 50er Jahre. Und das war ein äußerst auoritäres Gebilde damals, wenn man sich darauf einigen kann, dass es da Abstufungen in der Herrschaftsausübung gibt.
Mit dem Begriff "Gentrifizierung" bezog ich mich auf eine andere Entwicklung. Mit Gentrifizierung ist das Vertreiben der alten Bewohner eines Stadtbezirkes, durch neue finanzkräftigere Mieter gemeint. Und mir scheint, dass die ganz besondere Fokussierung auf den Widerstand adliger Kreise in Hitlerdeutschland, der - nebenbei - ja auch sehr spät erfolgte, völlig die Rolle der ostelbischen Junker vernachlässigt, die ihren guten Teil zur Machtergreifung Hitlers beigetragen haben. Einfache Leute sind aus dem Kanon des Widerstandes - bis auf wenige Ausnahmen - völlig vertrieben. Und das finde ich schändlich.
Du hast nun eine tatsächlich "edle" Deutung dagegen gesetzt -da ist nichts gegen einzuwenden.
na klar, wir haben uns doch schon geeinigt, magda, dass die nuancen der autoritären herrschaftsausübung nach tageszeit und windrichtung changieren.
aber von dem begriff "Gentrifizierung" bei der eroberung von stadtbezirken hatte ich noch nichts gehört. von wenigen jahren abgesehen hause ich seit eh und je weit außerhalb der steinwüsten oder oberzentren. aber als jemand, der ein paar englische vokabeln versteht, machte ich mir aus gentry und VON stauffenberg meinen reim.
mit blick auf die geschichte des theaters sind die staatstragenden noch immer bei den königsdramen. dagegen spricht deine private geschichte jugendliche gewiss eher an als die bekannte zelebrierung des 20.juli.
Herr Mehdorn? sind sie es? :-)