Gender Mainstreaming - ein Gespenst?

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Thomas Gesterkamp in der Friedrich-Ebert-Stifung

Dass die Fetzen fliegen könnten, war zu befürchten. Der Journalist und Autor Thomas Gesterkamp hat mit seiner für die Friedrich-Ebert-Stiftung erstellten Expertise:library.fes.de/pdf-files/wiso/07054.pdf: Geschlechterkampf von rechts. Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren“

viel Staub aufgewirbelt.

Die Veranstaltung zum Thema am gestrigen Mittwoch hatte ihr Motto (darum?) schon ein wenig abgemildert: „Auf leisen Sohlen: KonservativeFamilien – und Geschlechterbilder auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft?“

Am gleichen Tag hatte der Männerrechtler Prof. Walter Hollstein in der „Welt“beklagt, dass Gesterkamp alle Männerrechtler in die braune Ecke stellen will. Und – wie immer – wurden auch Formfragen bemüht, weil das Ganze eher ein kurzer Aufriss sei, der den Normen einer Expertise nicht genüge. Was sich auf den Seiten der neuen Männerrechtler und Maskulinisten tut, kann man besichtigen, es toben die Emotionen.

Was hat Gesterkamp denn überhaupt behauptet?Er fasste seine Thesen noch einmal kurz zusammen.

Er beklagte den von konservativ-militanten Männerrechtlern demonstrierten lauten Antifeminismus.

Natürlich, so meinte er, sollen Benachteiligungen, die Männer durchaus beim Namen genannt werden, aber solange dies alles mit dem larmoyanten Unterton vorgetragen wrüde, daran seien eigentlich nur die Feministinnen mit ihrem Gender Mainstreaming Schuld, die das Land im Griff hätten, führte das alles nur zu neuer Ideologisierung. Wahrscheinlich ist das der Grund, das Gesterkamp hin und wieder als „lila Pudel“ beschimpft wird.

Die ständige Behauptung, die Emanzipation sei abgeschlossen, soll von noch vorhandenen Benachteiligungen ablenken und ist – wie es Barbara Stiegler die Leiterin des Arbeitsbereiches „Frauen und Geschlechterforschung“ der FES in ihren einleitenden Worten an Beispielen erklärt hatte - leicht zu widerlegen.

Die ausschließliche Inszenierung der Männer aus dieser Bewegung als Opfer des Feminismus, als Opfer von Gewalt, als Opfer des Scheidungsrechts gehört ebenfalls zu den destruktiven Tendenzen von Männerbewegungen wie AGENS oder MANNdat.

Gerne werden auch gängige Begriffe umgedeutet und okkupiert: „Freiheit statt Feminismus“ hieß es z.B. in der „Jungen Freiheit“, oder ein Forum militanter Männerrechtler nennt sich „Die freie Welt – mit dem Untertitel: „Internet- und Blogzeitung für die Zivilgesellschaft“.

Ganz auffällig und – gespeist aus den Leitsätzen konservativer Publizisten wie Volker Zastrow aus der FAZ – ist die Wiederkehr der „Biologie“ als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal der Geschlechter.

Gender Mainstreaming leugne die Fakten der biologischen Unterschiede von Männern und Frauen. – eine solche Interpretation lieferte vor einigen Jahren Volker Zastrow von der FAZ. Dies wurde bundesweit mit Erstaunen und Empörung aufgenommen. Und – nicht nur von den Frauen:

Zitat: „Er (der Begriff Gender Mainstreaming) meint nämlich keineswegs die Existenz sozialer Geschlechterrollen und deren Merkmale: also eine Banalität, an die feministische Klassikerinnen wie Betty Friedan noch anknüpften. Vielmehr behauptet „Gender“ in letzter Konsequenz, dass es biologisches Geschlecht nicht gebe. Die Einteilung der Neugeborenen in Jungen und Mädchen sei Willkür, eben sowohl könnte man sie auch nach ganz anderen Gesichtspunkten unterscheiden, etwa in Große und Kleine. Daher liege bereits in der Annahme der Existenz von Geschlecht eine letztlich gewalthafte Zuweisung von Identität: die „heterosexuelle Matrix“. Zastrow endete mit dem Vorwurf, Gender Mainstreaming bedeute die politische Geschlechtsumwandlung der Männer.

Auch andere große Magazine hauten seither in die gleiche Kerbe, zum Beispiel der „Focus“, deren Vertreter Alexander Wendt auch in der Talkrunde saß und ständig Gesterkamps „sogenannte“ Expertise als Aschewolke verunglimpfte. Andererseits beantwortete Wendt die Frage des moderierenden Michael Kraske nach der geringen Zahl der Ressorteiterinnen beim Focus mit der Entschuldigung, das sei doch überall so. Und – viele Chefs suchten händeringend Frauen, aber sie fänden keine. Das kommt vielen Frauen auch sehr bekannt vor.

Obwohl Zastrows Denkfiguren reichlich beliebig allerlei Genderphilosophischeszusammenführten und –rührten, beherrschen sie hegemonial den Mediendiskurs.Offensichtlich muss ein solcher Polemiker nicht schlüssig argumentieren.

Die Biologiefrage ist schon immer die beliebteste Tummelstrecke verunsicherter Männer gewesen. Nicht ohne Grund heißt es, wenn jemand sehr verwirrt ist: „Ich wusste nicht mehr ob ich Männlein oder Weiblein bin."

Komplexes Thema: Geschlechterzugehörigkeit

Wieso das Gender Mainstreaming daran Schuld sein soll, dass die biologischen Fakten – die auch immer eine kulturelle Zuschreibung erfahren – angeblich über Bord geworfen werfen, ist nicht ganz klar. Tatsache ist, dass sich in modernen, nicht nur frauenbewegten Diskursen ein Bild von der Geschlechterzugehörigkeit entwickelt hat, das sich mutlipler versteht als das polare männlich-weiblich-Bild. In jedem Mann, in jeder Frau – soweit sind sich schon einmal alle Debattenteilnehmer einig -sind männliche wie weibliche Anteile, die Transgender-Formen spielen in diesem Diskurs ebenfalls eine Rolle. Es fließt so allerlei. Vor allem die Zuschreibungen selbst, was nämlich männlich ist und was weiblich, geraten ins Wanken. Sehr komplex ist das und eigentlich – so könnte man denken – für Männer und Frauen eher befreiend. Aber das ist offensichtlich nicht so. Zurück zu ehernen hierarchischen Gewissheiten wollen die Vertreter einerverunsicherte Männlichkeit und deshalb ist dieses Thema ein „Minenfeld“ oder wird sorgfältig mit Fallen und Streitpunkten bestückt.

Wie breit die Übernahme des höchst zweifelhaften und umstrittenen Bildes von Gender Mainstreaming ist, machte eine Resolution der Jungliberalen kürzlich deutlich, die das Gender Mainstreaming als große Gefahr für die freiheitliche Persönlichkeitsentwicklung bezeichneten. Zastrow und noch andere haben ganze Arbeit geleistet. Nur: Gender Mainstreaming ist nach wie vor in der EU verankert und wird angewendet.

Rechtsradikal-rechtslastig: Nur ein Vorwurf?

Was ist nun an Teilen einer Männerbewegung rechtsradikal oder rechtslastig? Natürlich, meint Gesterkamp, sei nicht jeder, der in der „Jungen Freiheit“ publiziert, rechtsradikal, aber es sei eine Grauzone entstanden, ein Dunstkreis. So argumentierten Männerbewegungen wie MANNdat, man schenke ihrem Anliegen keine Aufmerksamkeit, weshalb sie auch in der „Jungen Freiheit“ publizieren müssten. Auch Bewegungen wie AGENS – Die Befreiungsbewegung für Männer - bewegen sich von der Begrifflichkeit her z.B.im Fahrwasser von Arne Hoffmann, der das Internetportal „Genderama“ betreibt und regelmäßig die „Junge Freiheit“ mit Beiträgen bedient. Der Rundfunk-Journalist Jürgen Liminski (Deutschlandradio), der sich im von Gesterkamp als „familienfundamentalistisch“ apostrophierten Familiennetzwerk Deutschland engagiert, publiziert regelmäßig in eben diesem Blatt und ist mit einer Aussagen wie: „Die Politik entzieht der Keimzelle des Volkes schleichend die Lebensgrundlage“ im Duktus der Rechten angekommen.

Endlich mal eine Definition

Was das so merkwürdig und ständig angegriffene Gender Mainstreaming überhaupt bedeuten soll, erläuterte später in der Debattenrunde Dr. Regina Frey vom Genderbüro Berlin. Gender Mainstreaming sei mehr als das, was man so „Sexcounting“ nenne. Also zählen, wie viel Frauen und Männer in bestimmten Positionen sind .

Sie brachte endlich mal wieder jene Definition ins Spiel die eigentlich allen, die sich damit befasst haben, einleuchtet.

Gender Mainstreaming soll die Auswirkungen aller Gesetze, Entscheidungen und Entwicklungen auf beide Geschlechter untersuchen und in den Blick nehmen.

Es soll ein Instrument zur Herstellung von Gerechtigkeit sein, kein politisches Entmannungsinstrument. Sicher ist die Kritik berechtigt, dass Gender Mainstreaming – im Frauenministerium angesiedelt - deutlicher auch Männerfragen in den Blick nehmen muss. Ein entsprechendes Referat ist ja demonstrativ und medial beachtet im Köhler/Schröder-Ministerium entstanden. Auch die Forderung, dass die Männergesundheit mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte, ist legitim. Aber Frauenpolitikerinnen fordern seit Jahrzehnten eine geschlechterspezifische Auswertung von Gesundheitsdaten, das wäre den Männern ja durchaus zugute gekommen.

Dass Jungen und junge Männer – vor allem aus Migrantenkreisen – besondere Aufmerksamkeit brauchen, damit sie in den Schulen eine bessere Chance bekommen, alles o.k. – nur, wer wird von Seiten der Frauen dagegen sein. Erwiesen ist allerdings auch, dass die Geschlechterzugehörigkeit der LehrerInnen nicht das entscheidende Kriterium für den Erfolg der Jungen ist.

Gender Mainstreaming nützt auch Männern

Das Feindbild Feminismus verstellt den Blick auf legitime Forderungen der Frauen und der Männer. Das sieht auch das gerade im Entstehen begriffene „Bundesforum Männer“, dessen Organisator, Jens Janson, im Podium saß. Er erklärte, dass Gender Mainstreaming zum Beispiel für ihn bedeutet, die Vereinbarungsproblematik nicht nur als Frauenfrage einzuordnen, sondern sie auch explizit für Männer zu stellen. Das aber ist nur möglich, wenn dialogisch – zum Beispiel mit dem Deutschen Frauenrat , deren Vertreterin Ulrike Helwerth da zustimmte – gearbeitet wird.

Diese antifeministischen konservativ-getönten Männerrechtler sind – das wurde deutlich – eine laute Minderheit. Sie waren auch nicht eingeladen. Und ich finde: Wenn man allein den Ton beobachtet, in dem diese Minderheit sich äußert, dann erklärt das, warum die Debatten mit ihnen nicht fruchtbar sein können. Militanz ist gar kein Ausdruck dafür.

Es gibt durchaus in der Männerbewegung kritische Kräfte, die Vernunft und Kooperation das Wort reden. So hat die Männerarbeit der EKD eindeutig und klar gegen den Geschlechterforscher Gerhardt Amendt Position bezogen, der alle Frauenhäuser als Orte des Hasses schließen wollte und das Leiden von Frauen mit Gewalterfahrung lächerlich machte. Die Männer der EKD distanzierten sich deutlich von den evangelikalen Strömungen in den eigenen Reihen.

Gibt es eine „braune Ecke“? Nein, aber es gibt Tendenzen. Ohnehin wird zunehmend konstatiert, das manch rechtes Gedankengut eher der Mitte der Gesellschaft entspringt, als in Springerstiefeln herumrennt. Da liegt die Gefahr – auch in den Geschlechterauseinandersetzungen.

Flogen sie nun die Fetzen? Nicht wirklich. Allerdings gab es ein paar süffisante Anmerkungen, zum Beispiel fragte ein Teilnehmer sich und das Publikum, wie es möglich sei, dass fast alle Leserbriefschreiber zu politischen und wirtschaftlichen Themen männlich seien. Aber ansonsten hielt sich alles in Grenzen.

Eine ältere Dame fragte, ob eigentlich die LINKE eine dezidierte Männerbewegung hätte. Hat sie nicht. Aber immerhin haben die „Grünen“ kürzlich ein Männermanifest in die Welt gesetzt.

Also es flog nichts. Hinter mir saß Hans-Olaf Henkel, der ehemalige BDI-Chef. Der schüttelte immer mal wieder den Kopf, aber zu Wort hat er sich nicht gemeldet. Er war glaube ich auch mehr männlicher Begleiter.

Seltsam – als ich am Abend nach Hause fuhr, sah ich in der U-Bahn zwei junge Männer, die Hände ineinander, die Kopfe zusammen mit einer jungen Frau plaudern über sich und ihre Zuneigung und ihre zukünftigen Pläne. Manchmal gibt’s solche Zufälle. Sie verabschiedeten sich mit „Love“ von ihr. Und später im Fernsehen gab es noch einen sehr interessanten Beitrag über Tango-tanzende Männer, miteinander tanzend, natürlich.

Sah klasse aus. Es ist vieles in Bewegung.Die Männerbewegung sollte sich tänzerischer bewegen und nicht so brachial.

Wenn die Gesellschaft so ins Wanken gerät, wie in der Gegenwart, erschüttert das auch die Geschlechterverhältnisse und Schuldige werden gesucht. Besser wäre es, gemeinsam die Probleme zu schultern, aber ich sehe ein, dass dies eine zu versöhnliche-nette Forderung ist. Also – STREITEN: Ja. KLOPPEN: Nein.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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