Geschichte und Gegenwart

Politik der Dominanz Das Gedenken an die Beendigung der Blockade gegen Leningrad am 27. Januar 1944 erinnert daran, dass auch Denkblockaden zerstörerisch sind

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Die Historiker aus allen Lagern, die Politiker von einst und von heute haben sich des Ereignisses "bemächtigt". Sie forschen und decken auf und ordnen ein.

Für die Menschen, die damals dort lebten und das überstanden, war es der Triumph des Lebens über den Tod. Darauf verweist eine bewegende Reportage der Deutschlandradio-Korrespondentin Gesine Dornblüth über ein altes Ehepaar, das die Blockade überlebt hat.

Dies kam mir in den Sinn, als ich dieser Tage einen guten Text von Zeit-Autor Christoph Dieckmann über die Geschichte und vor allem über das Verhältnis der alten Bundesrepublik zur ehemaligen Sowjetunion las, in dem er für einen empathischeren Blick nach Osten plädiert. Er berichtet von seinem Jahresend-Ritual mit dem Gang zum sowjetischen Ehrenmal in der Schönholzer Heide in Pankow.

Und er erinnert an die unendlichen Leiden der Bevölkerung der damaligen UdSSR und den Kampf der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland, von dem nur noch die Vergewaltigungen und Plünderungen ins Gedächtnis geschrieben sind - jedenfalls in Westdeutschland. Und er plädiert für mehr Mitgefühl mit dem Leiden dieses Volkes.

So manches von dem, was Christoph Dieckmann schreibt, deckt sich mit meinen Erinnerungen. Auch ich bekam als junge Schülerin einen Freundschaftsbrief von einer sowjetischen Schülerin. Wir liebten Märchenfilme wie "Die schöne Wassilissa" oder "Die feueerrote Blume".

Ich fand in den 70er und 80er Jahren so manchen Film aus der UdSSR mutiger als das, was damals die DEFA produzierte. Dachte an "Bahnhof für zwei" und an "Moskau glaubt den Tränen nicht".

Vier Wochen war ich 1985 in Moskau und fand das Leben der einfachen Leute so anstrengend, so von der ständigen Jagd nach den ganz normalen Waren des Alltags bestimmt, so aufreibend und rau, dagegen das Leben in der DDR viel leichter und komfortabler. Warum ein Land, dass doch die größten Opfer gebracht hatte am Ende noch immer bei ständiger Knappheit und Kargheit verharrte, hatte viele Ursachen, aber die Wesentlichste war am Ende die Wirtschaftsform, die ineffektiv war, auch die enormen Ressourcen, die für die Rüstung bereitgestellt wurden.

Der Beitrag in der Zeit wurde bald ergänzt durch eine bittere Erwiderung ,

die postuliert, dass Regimes kein Mitgefühl brauchten, etwas das Dieckmann mit seinem Beitrag wohl auch gar nicht ausdrücken wollte.

Es geht im Umgang mit dem "Osten" nicht ohne Verweise und Relativierungen und Rede-und Gegenrede. Das gilt nicht nur für die ehemalige Sowjetunion, das gilt auch für die gegenwärtige Russische Föderation. Die Kritik ist meist eine reine Verdammung und spricht eine höchst dominante Sprache. Das allerdings wiederum nicht nur gegenüber der RF.

Dieser Tage erschien in der Frankfurter Rundschau ein ganz hervorragender Artikel von Antje Vollmer.

Sie analysiert die Strategie des „Westens“ vor allem gegenüber Russland, China, aber auch vielen anderen Staaten, die mit westlichen Interessen zu tun haben oder gar "kollidieren" als eine unveränderte Politik der Dominanz, der Arroganz des „Menschenrechts-Bellizismus“ und der nicht gehaltenen Versprechen. Vor allem gegenüber Michael Gorbatschow war das der Fall, wie sie besonders hervorhebt. Er hat sich verschätzt, als er auf Fairness und mehr Partnerschaft gehofft hatte.

Und sie zitiert den ehemaligen sowjetischen Staatschef selbst: „Im gesamten westlichen Staatensystem, so müsse er rückblickend feststellen, habe nur ein Triumphalismus ohnegleichen und reine Siegermentalität geherrscht. Das sei am Ende der Grund gewesen, warum Russland, nach dem politischen Ausverkauf und der ökonomisch-politischen Anarchie der Jelzin-Jahre, einen Machtmenschen wie Wladimir Putin geradezu gebraucht hätte, wollte es nicht gänzlich aus der Weltpolitik verschwinden.“

Die Chance, nach dem Sieg im „Kalten Krieg“ in anderen, neueren Dimensionen und nicht nur ständiger westlicher Hegemonie zu denken und zu handeln, wurde in der Tat verspielt und das kostet erneut Menschenleben und Ressourcen.

Es entsteht allerdings auch die Frage, ob in jenen 90er Jahren anderes überhaupt zu erwarten war. Waren nicht auch die "Grünen" damals der Auschwitz-Kossovo-Keule ihres Vorsitzenden und Außenministers erlegen?

Das „Ende der Geschichte“ galt es zu vollenden, Antje Vollmer erwähnt Fukuyamas damaligen Bestseller. Es war ein triumphalistischer, mit „Sendungsbewusstsein“ legierter und verbrämter Zeitgeist, der sich da Bahn brach. Allen voran die US-Amerikaner, aber nicht nur sie.

Antje Vollmer hofft auf Änderung dieser Politik. Aber ich habe da wenig Hoffnung. Der Kampf für „westliche Werte“ anderswo mit Waffen und einseitiger Propaganda höhlt die „demokratischen Werte“ im "Westen" und auch hierzulande aus. Allgemeines ständiges Gegeifer gegen einzelne Länder, die „Menschenrechts-Waffe“, dort wo es sich gerade politisch auszahlt und den eigenen Interessen entspricht, das ist so durchsichtig, so destruktiv und wirkt in der Tat wie eine trübe und zerstörerische Begleitmusik für einen Niedergang – nicht des Westens und seiner Werte - sondern der gesamten politischen Kultur. Es herrschen Blockaden, militärische und politische überall. Sie zu überwinden wäre eine wirkliche Chance.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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