Halt auf freier Strecke

Krankheit und Tod Ein bewegender Film über einen Krebskranken und ein Tagebucheintrag von Wolfgang Herrndorf gingen mir gestern sehr nahe und nach

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Halt auf freier Strecke

Still: Arte

"Halt auf freier Strecke" in der Arte-Mediathek (19.05-26.05.2014)

"Halt auf freier Strecke von Dresen, Geschichte eines Mannes mit Hirntumor, die mich, wie ich dachte, nachdem ich den Trailer gesehen hatte, kaltlassen würde. Zu weit ab vom eigenen Erleben."

Das schreibt Wolfgang Herrndorf am 17. November 2011

http://www.wolfgang-herrndorf.de/2011/11/einundzwanzig/

in sein Tagebuch. Er tut sich den Film - gemeinsam mit Freunden - an, findet seine Situation und sein Empfinden genau wieder in diesem Film. Der Wartesaal des Virchow-Klinikums, in dem auch er noch vor Stunden auf Behandlung wartete, jetzt erscheint er auf der Leinwand.
Der Film lief gestern auf "arte" - ein Meisterwerk um Leben und Tod. Milan Peschels gewaltige Schauspielkunst.

Für Herrndorf ist die schlimmste Stelle, der Besuch der ratlosen, hilflosen, tiefgetroffenen Eltern und deren Versuch, zu plaudern und zu erzählen wie immer. "Ich sterbe, und du erzählst mir ungefragt deinen ganzen nicht enden wollenden, langweiligen Lebenslauf, Mädchen auf irgendeiner Party." kommentiert Herrndorf seine eigenen Empfindungen in ähnlicher Situation.

Andreas Dresen zeigt eine Familie, die sich dem Tod des Ehemannes, Sohnes und Vaters am Ende stellt und ihn bis zum letzten Atemzug behält und begleitet, weil Leben und Tod zusammengehören. Es bleiben viele Probleme ausgeklammert. Alltags-Existenzfragen z. B. wer das Haus jetzt abbezahlt, wer für die Pflege aufkommt werden nicht behandelt, damit die wirkliche Existenzfrage immer bei Frank, dem Sterbenden bleibt.

Herrndorf zitiert höchst empört eine Filmkritik:
“Das Gute an diesem Film ist, dass er so scheiße ist, dass er einen überhaupt gar nicht erst berührt” schreibt ein Rüdiger Suchsland in der FAZ." und kommentiert erbittert: "Vielleicht auch mal das Hirn untersuchen."

Ein Film also, der auf bittere Weise "beglaubigt" ist durch das Urteil eines Menschen, der das gleiche Leiden hatte. Im Gegensatz zu Frank im Film aber hat Wolfgang Herrndorf selbst sich anders entschieden.
Er schreibt in seinem Tagebuch "Arbeit und Struktur:

Niemand kommt an mich heran
bis an die Stunde meines Todes.
Und auch dann wird niemand kommen.
Nichts wird kommen, und es ist in meiner Hand.

Sehr bewegt den ganzen Abend nach diesem Film.

Einen Spaziergang am Hohenzollernkanal, an dem sich Herrndorf erschossen hat, habe ich hier beschrieben.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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