Haptik als Printargument?

Zeitungskrise Das Wichtigste an einer Zeitung scheint zu sein, dass sie raschelt, dass man Kaffee drauf verschütten kann, dass sie überall im Wege ist. Und, dass man sie anfassen kann.

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Viel wichtiger ist aber, dass man sie irgendwo kaufen muss. Das sehe ich ja auch ein.

Aber, dieser Tick mitdem haptischen Erlebnis, der immer mal wieder ins Feld geführt wird, um Print die höheren Weihen als sinnliche Erfahrungsquelle zu verleihen, ist mir nicht ganz zugänglich. In meinem beruflichen Leben hatte ich genug Zeug zum Anfassen. Wer mal kurz in einer heißen Setzerei gearbeitet hat, der weiß, wie sich das anfühlt. Anfassen sollte man die Bleizeilen, die da runterfallen auch nicht gleich, tut nämlich weh. Und wenn dann die erbosten Metteure einem Zeilen in den Rücken werfen, weil sie mit der „Zange kürzen“ müssen und nix richtig passt, dann war das der absolute „Haptick“ für einen Tag.

Und was das andere Sinnliche an Printmedien betrifft. Ich mochte den Geruch von Druckerschwärze noch nie. Außerdem sah man immer aus wie Schwein, wenn man in der Setzerei und Mettage zugange war.

Es gab also weniger sinnliche, aber - unbestritten – besinnliche und auch traurige Momente, als das „Bleisatzschiff“ in die neuen Folienhäfen einfuhr. Plötzlich war eine ganze Berufsgruppe überflüssig. Die Setzer und Metteure vor allem. Ich habe darüber schon mal geschrieben. Bleisatz und Umbruch

Das ist auch lange her. Die Zeiten vergehen. Und hier geht’s ja nicht um die einstigen Produzenten, sondern um die gegenwärtigen Konsumenten, die ein sinnliches Papier-Erlebnis preisen und loben. Die wollen ein bürgerliches Zeitungsgefühl, ein haptisches eben und keinen online Häppchenjournalismus. Hat übrigens schon mal jemand erlebt, wie gemein man sich an Papier schneiden kann? Fürchterlich.

Print ist von Dauer
das Internet ist temporär?

Nicht nur weil bezahlt werden muss für Artikel und Beiträge wird Print so vehement verteidigt, sondern weil irgend so ein merkwürdig verdrehter Ewigkeits- und Dauerbegriff durch die Gegend geistert. Print ist von Dauer, Internet ist temporär. „Was man schwarz auf weiß besitzt...“ Wer schöpferisch ist, der kriegt seine Kreativität gedruckt dokumentiert und bezahlt, auch wenn er oder sie lügt „wie gedruckt" . So ungefähr ist die Tendenz.

Ich finde, es ist eher umgekehrt. Natürlich kann niemand was dagegen machen, wenn jemand ein ganzes Zeitungsportal vom Netz nimmt. Aber ansonsten: Ewig, endlos findet man noch Sachen im Internet, nicht ohne Grund ist ja deshalb die Nervosität so groß, wenn man sich dort eine Blöße gegeben hat. Es sollte ohnehin so ein zentrales Archivierungs-System geben im Internet. Wenns das nicht schon gibt.

So ist die gedruckte Ausgabe eigentlich wie eine Quittung dafür, dass man den Wert erkannt hat, der da hergestellt wurde. Und dafür bezahlt.

Außerdem – wenn es nicht ums Geld ginge, dann würden beide Editions-Arten prima miteinander und nebeneinander auskommen. Was man auch wählt, man muss es halt bezahlen oder so.

Wie auch immer: Der Mangel an „Anfassen“ ist mir wurscht, weil ich lieber Online lese und auch immer mehr E-Books bestelle. Die Schriftstellerin Ruth Klüger hat in mehreren Statements ihr Votum für E-Books abgegeben, aber sie würde auch nie ein Entweder/Oder daraus konstruieren. Es hat für ältere Menschen vor allem den Vorteil, sich die Buchstaben auf eine komfortable Größe einstellen zu können.

Haptischer Reiz ist für z.B. mich das Tänzeln der Fingern auf einer Tastatur, das macht Spaß, das macht schon beim Schreiben einen Rhythmus, auch wenn man nicht weiß, ob das Endergebnis so rasend harmonisch ist. Grußkarten kann man dann immer noch mit der Hand schreiben.

Was ein bisschen im Internet auf der Strecke bleibt, ist die Gestaltung. Aber, auch da toben ja die Kämpfe – um Formate um Bildgrößen usw.

Wirkliche mediale
Missempfindungen

Wenns was gibt, worunter ich wirklich leide, dann ist es nicht der Mangel an haptischem Reiz bei Wortmedien. Es ist die fürchterliche und miserable Stimmkultur bei Rundfunk und Fernsehleuten. Diese fröhlich-ungeschulten fast meckernden Stimmen, diese per Stimmlippe verstreute Heiterkeit, dieses ständige falsche Betonen – immer auf der ersten Silbe – das macht mich wirklich verrückt.

Mit Haptik ist es nicht so weit her. Man kann, um dieses Bedürfnis zu befriedigen, eine Menge andere Dinge anfassen, aber nicht unbedingt eine Zeitung umblättern. Man kann jemand Liebes entblättern, wenn einem so ist. Raschelt auch ein bisschen.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wie-die-gratis-kultur-das-internet-verschlief/view

Ein guter redaktioneller Beitrag, wie ich finde, der allerlei geklärt oder bestätigt hat aus meiner Sicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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