Ich bin nicht naturverbunden

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(Aus der Serie frühjahrsmüdes Maulen und Meckern)

Ich habe eine defizitäre Persönlichkeit. Wurde mir kürzlich schlagartig klar, als ich im Baumarkt war, um zwei harmlose Topfpflanzen zu kaufen. Das wäre mir nicht passiert, wenn ich das schöne Wetter in meine Beschaffungspläne einbezogen hätte. Der Baumarkt hat eine große Pflanzenabteilung und dorthin hatten Familien mit Vater, Kind und Kegel und Mutter kurzfristig ihren Lebensmittelpunkt verlegt. Eine Art moderner Vor-Osterspaziergang war zu besichtigen. Sie wollten alle, alle jetzt aber flink die Natur in den trauten Vorgarten holen.

„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

durch des Frühlings holden belebenden Blick,

beleben auch Sie Ihre Gartenfläche

mit Primeln von Späth, 30 Pfennig das Stück“

(Tucholsky)

Man riss sich unter den Nagel, was zum Auspflanzen dort bereitlag und stand.

Und ich? ich will gar nichts. Ich bin einfach nicht naturverbunden. Ich habe seit Monaten hier künstliches Herbstlaub in einer Vase stehen. Auf die entsetzte Nachfrage einer Freundin erklärte ich: „Ich liebe die Natur als Zitat gewissermaßen. Als Genrebild, aber ich verschwende nicht viel Lebenszeit darauf.“

Ich bin ein Großstadtkind – mir waren die winzigen Kleingärten der Umgebung einstmals vor allem ein gutes Jagd- und Raubgebiet. Unreife Stachelbeeren und saure Äpfel waren das Ergebnis. Als ich meinen Mann - der immerhin einen Teil seiner Kindheit im Garten seiner Großeltern in der Uckermark verbracht hat - zu seiner Naturverbundenheit befragte, erinnerte er sich der langweiligen, langwierigen Arbeiten am Spargelbeet, das man im Frühjahr „hochzieht“ und im Herbst wieder „runterzieht“ (oder ist es umgekehrt?) Er erinnerte sich, wie er im Kirschbaum saß und ordnungs- und auftragsgemäß die Körbe voll pflückte, obwohl er sich lieber ins Feld geschmissen hätte, um den Himmel anzugucken. Der Himmel ist nicht Natur, der Himmel ist was Ernstes. Arbeit, Arbeit, Arbeit war die Natur. Erdbeerpflücken kenne ich auch noch selbst – anstrengend und zermürbend. Gebückt übers Feld schleichen für einen Hungerlohn.

Naturverbundene Menschen gibt es in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Die einen fühlen sich schon naturverbunden, wenn sie ihre Zigarette auf der zugigen Kneipenterasse rauchen. Andere fühlen sich verbunden, wenn sie in der Erde wühlen. Anderen reicht es, sich auf die Erde nur zu werfen. Auch so ein – mir unverständliches – Ritual. Kaum ist der Boden nicht mehr ganz durchweicht, schmeißen sich die Familien mit ihren Kindern, die Blasenentzündung nicht fürchtend, auf die noch kahle Wiese und der Jubel beginnt. Jetzt warte ich nur noch, dass die dann singen: Die Zähre quillt, die Erde hat uns wieder“.

Also ich bleibe – wenn’s noch zu kalt ist – der Erde mindestens um 1,55 cm entfernt. Wenigstens grillen sie im Schlosspark nicht. Das gilt nämlich auch noch als naturverbunden. Ganze Schweine oder – nach Glaubensvorstellung - Zicken auf Spieße zu stecken und ein Autodafé zu veranstalten.

Ich sage ja: Natur ist immer unzivilisiert, wahrscheinlich halte ich deshalb Abstand. Ich bin ein Kulturmensch. Kultur ist auch ein Defizitbetrieb, aber wenigstens nur finanziell. Kulturinfarkt droht. Na, so schlimm ist es bei mir nicht. Aber, kann mir wer was pumpen?

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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