Integration: Erhellender Perspektivenwechsel

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Welche Bevölkerungsgruppe käme vielen Bürgern dieses Landes sofort in den Sinn, wenn sie mit folgenden Charakteristika beschrieben würde?

Sie sind nicht genügend integrationsbereit

Sie neigen zum Rückzug in Parallelgesellschaften

Ihr Frauenbild ist patriarchalisch-konservativ

Sie lehnen die Demokratie ab.

Genau, man würde im entsprechenden Umfeld hierzulande sofort auf die Gruppe der Muslime schließen. Es geht in diesem Falle aber nicht um Muslime.

Es sind die Latinosin den USA, die in der Mehrheit einen sehr „volksfrommen“ und heimatverwurzelten Katholizismus ausüben, denen eine ähnliche Ablehnung entgegenschlägt und die mit sehr ähnlichen Vorwürfen konfrontiert sind, wie die Muslime in Deutschland

Diesen sehr erhellenden Perspektivenwechsel hat die Soziologin Dr. Andrea Althoff, die auch an der Bundeswehrführungsakademie Hamburg lehrt, auf einer Veranstaltung im Berliner Wedding vorgekommen. Sie war der Einladung der Haci Bayram Moschee e.V , einer schon seit 1976 bestehenden Gemeinde, und desSoldiner Kiez e.V. gefolgt.

Das Thema war in die Frage gekleidet: „Die Moschee als Integrationsfaktor?

Andrea Althoffs Beitrag „Ein transatlantischer Vergleich. Latinos in den USA und Muslime in Deutschland“ stellte Erstaunliches und Bedenkenswertes zur Debatte. Wobei sie sich bei den Muslimen in Deutschland auf Türken und türkischstämmige Deutsche konzentrierte.

Ein solcher Vergleich ergibt folgende interessante Gemeinsamkeiten:

Beide Gruppen sind die größte Migrantengruppe im Land

Beide Gruppen haben ungefähr den gleichen Lebenshintergrund

Beide Gruppen gehören meist der gleichen Schicht an

Beide Gruppen haben eine durchschnittlich niedrigere Bildung

Beide Gruppen haben eine höhere Geburtenrate als die Mehrheitsgesellschaft

Dr. Althoff vertrat die These, dass in den USA die Ablehnung gegenüber den Muslimen – auch nach dem 11. September 2001 – noch immer, im Vergleich zur Ablehnung gegenüber den Latinos, weitaus geringer ausfällt. Viele Muslime dort haben einen afro-amerikanischen Hintergrund, sind Teil der US-amerikanischen Gesellschaft. Die aus Mexiko eingewanderten Latinos hingegen, die nach dem Ersten Weltkrieg die Gruppe der früher europäischen Einwanderer ablösten, werden jetzt als „das Fremde, Andere“ definiert.

Deutlich wird, dass die Ablehnung von Migrantengruppen viel weniger mit der Religion – in Deutschland mit dem Islam – zu tun hat, sondern mehr mit den Verunsicherungen der Identität der Mehrheitsgesellschaft in einer sich pluralisierenden Bevölkerung.

Ein Beispiel für die Ähnlichkeit bestimmter Zuschreibungen im transatlantischen Vergleich bietet eine Untersuchung zur Religiosität der Latinos. Sie stellt u.a. fest, dass die Rolle, welche die Latinos in der amerikanischen Politik und im öffentlichem Leben spielen, tief durch die unverwechselbaren Merkmale ihres Glaubens beeinflusst ist. Die meisten Latinos sähen Religion als moralischen Kompass ihres eigenen politischen Denkens und Fühlens an und sie erwarteten das Gleiche von ihren politischen Führern. „In allen religiösen Traditionen betrachten die meisten Latinos die Kanzel als den geeigneten Ort, soziale und politische Probleme zu lösen, erwarten das gleiche von ihren politischen Führern.“

Der Grundverdacht, weniger den Gesetzen eines Landes verpflichtet zu sein als den eigenen Glaubensüberzeugungen scheint diesseits und jenseits des Atlantiks eine Rolle zu spielen. Hierzulande firmiert er unter dem Stichwort „Scharia“.

Abgewandelte

„Gretchenfragen“

Wie es die einzelnen Staaten mit der Religion halten, das hat auch Wirkung auf das Verhältnis zu den Migranten, die ihre Religion sehr demonstrativ leben. Beeinflusst der – im Gegensatz zu den USA – generell negative Diskurs über Religion in Deutschland auch den Diskurs über muslimische Einwanderung und erschwert er letztendlich die Integration von Muslimen? Verstärkt die in Ostdeutschland vorherrschende Religionslosigkeit diesen Effekt noch einmal? So die Fragen der Soziologin. Ich würde das bezweifeln, aber es gibt darüber aussagefähige Studien.

Ich würde einwenden, dass der ständige Aufbau von Konfliktlinien – hier christliche Kultur und dort der Islam – ebenfalls einen beträchtlichen Teil zu dieser Entwicklung beiträgt. Auch Matusseks „Katholisches Abenteuer“ leistet da seinen populistischen Beitrag.

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir unterstrich in einem kürzlichen Interview für "derFreitag", dass die Integrationsdebatte in Deutschland islamisiert sei und fast jeder Konflikt im Zusammenleben von Deutschen und Nicht-Deutschen über den Islam erklärt würde. Bei der deutschen Mutter, die beim Elternabend fehlt, läge es an der sozialen Schicht. Die türkische Mutter komme angeblich nicht, weil sie muslimisch ist. So könne man natürlich jedes Problem in Deutschland erklären. Es helfe nur nicht.

Moscheen und Kirchen –

mehr als Orte des Gebets...

Sowohl in Deutschland als auch in den USA wurden unter den Bedingungen der Migration die Moscheen und Kirchen zu mehr als nur Orten des Gottesdienstes. Die Notwendigkeit der Hilfeleistung bei der Eingliederung, beim Spracherwerbs oder bei der Arbeitssuche erweiterte ihre Aufgaben.

Aus diesem Grund haben sich in den USA auch die Buddhisten oder Hindus, die sonst sehr unverbunden agieren, zu Kongregationen zusammengeschlossen, um als Institution helfen zu können. Dr. Althoff: „Religiöse Bewegungen und Institutionen haben also große Integrationskraft entfaltet und „lange Zeit marginalisierte, teilweise auch aggressiv bekämpfte Religionsgemeinschaften wie Katholiken, Juden oder die schwarzen Kirchen ins Zentrum der Zivilgesellschaft geführt.“

Und wie ist es nun mit den so misstrauisch beobachteten Vereinen, wie der Haci Bayram Moschee e.V? In vielfältigen Aktivitäten bemüht sie sich um die Mitglieder der Gemeinde. Auch dieser Abendvortrag ist ein Zeichen dafür. Aber in Deutschland wird das weitgehend ausgeblendet.

Das Auge der Medien fällt auf einen solchen Verein meist nur dann, wenn ein „Hassprediger“ dort aufgetreten ist oder andere Aktivitäten vermutet werden, welche die Integrationsverweigerung belegen.

...sondern auch Integrationsfaktor

Legt man die vier gängigen soziologischen Gesichtspunkte für Integration an, dann hat auch hier ein Vergleich seinen Sinn.

Strukturelle Integration wird zum Beispiel gestärkt, wenn Kirche oder Moschee die Verbindungen zum Arbeitsmarkt herstellen. Auch Hilfe bei Behördengängen gehört dazu.

Soziale Integration wird gestärkt, wenn Kirchen und Moscheen sich nicht nur bei der Religionsausübung betätigen, sondern Dialoge, kulturellen Austausch fördern.

Identifikatorische bzw. emotionale und kognitive Integration wird vielseitig gefördert, wenn Sprachvermittlung angeboten, Hausaufgabenhilfe organisiert und viele andere Angebote einen Zugang zur umgebende Gesellschaft bieten.

Ja, Moscheen sind ein Integrationsfaktor. kann die Antwort nur lauten. Sie können es umso besser sein, je mehr Zugehörigkeit zur Gesellschaft ihnen zugestanden wird.

Samuel Huntington

fand neue Gegner

In den USA, hat vor einigen Jahren der durch seinen „Kampf der Kulturen“ hinlänglich bekannte Samuel Huntington nach dem Islam neue Gegnerschaften – diesmal wieder im eigenen Land – ausgemacht. Im 2004 erschienenen Buch "Who are we?" wendet er sich vehement gegen die Kultur der Hispanisierung des Landes. Die Bastion , die er verteidigt ist die der WASP – der White Anglo-Saxonian- Protestants – und er macht dabei denkerische Volten, wie sie auch einem Sarrazin eigen sind. Die Ängste sind die Gleichen – in Deutschland wie in Übersee: Die Furcht vor „Überfremdung“ in einer pluralisierten Welt und dabei die Konzentration auf die größte Gruppe der Migranten ganz gleich welche Religion sie ausüben.

Verstärkte Ressentiments

seit Sarrazin

Da liegen ernste Gefahren. Es werden immer mehr Menschen auch Deutschland „pluralisieren“ ohne dass es „sich abschafft“. Seit Thilo Sarrazins Buch erschienen ist, haben bestehende Ressentiments gegenüber Muslimen und alte Vorurteile neue giftige Nahrung erhalten. Und: Sarrazin ist hoffähig geworden, offene und unterschwellige Zustimmung zu seinen Thesen wird konstatiert.

Allein die Debatte, die sich um die Islam-Passage in der Rede von Christian Wulff zur Deutschen Einheit entspann, spricht für sich. Und seine Feststellung, es gebe „Nachholbedarf“ auf vielen Gebieten der Integration hat ihm wenig Pluspunkte gebracht. Er nannte in dem Zusammenhang Integrations- und Sprachkurse für die ganze Familie, Unterrichtsangebote in Muttersprachen, islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern und selbstverständlich in deutscher Sprache.

Es ginge ihr keineswegs darum, so Andrea Althoff, bestehende Probleme klein zu reden. Es hängt auch sehr vom Charakter der einzelnen Moscheegemeinde ab, wo sie organisiert ist und wie ihr Selbstverständnis ist. Ja, es gibt die Zwangsehe und es gibt patriarchalische Zwänge. Dagegen muss Position bezogen werden, aber nicht, in dem man den „Feind im eigenen Lande“ beschwört, die betroffenen Migrantengruppen so tatsächlich zum Rückzug in parallele Gesellschaften motiviert und dabei laut „Integrationsverweigerung“ schreit: „Problematisch ist insbesondere, dass ein ausländerfeindlicher Diskurs, säkulare anti-religiöse Vorurteile, eine liberal-feministische Kritik am Islam als per se patriarchalisch und fundamentalistisch und die Angst vor islamischen Terrornetzwerken verschmelzen zu einem uniformen anti-muslimischen Diskurs. Für einen Dialog ist dies fatal, weil es praktisch ein Aufeinander zugehen von Einwanderungsgruppen und ihren Gastgesellschaften ausschließt. Letzteres wird aber für eine erfolgreiche Integration dringend benötigt.“

Ich war sehr nachdenklich auf dem Weg zurück vom Wedding nach Pankow. Es ist eine ganze Grenze dort gefallen. Und doch bestehen in der ganzen Gesellschaft Grenzen, die zu überschreiten so schwer ist. Ich frage mich, warum Sarrazin soviel Erfolg hatte mit seinem Buch. Vielleicht, weil es immer einfacher ist, Tabugrenzen zu überschreiten als wirklich Grenzen zu überwinden. Möglicherweise ist das bei der Mehrheitsgesellschaft genau so wie bei den Migranten. Ich jedenfalls wusste nicht viel und weiß nicht genug über diese Welt. Aber ich frage mich, wie wollen Menschen denn zusammenleben – auch hierzulande – wenn Ablehnung, ständiger Terrorverdacht, ja auch Verachtung wie bei Sarrazin das Klima bestimmen? Im Jahr, da sich der Tag des Mauerbaus zum 50. Mal jährt kann man die bevorstehenden, an die Vergangenheit gerichteten „großen Worte“ auf die Gegenwart verwenden und mahnen: „Dicht machen hat nichts gebracht.“ Und nur in einer Richtung kann man sie nicht überwinden, die Grenzen. Man muss sich aufeinander zu bewegen.

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Der Islam-Irrtum

www.svr-migration.de/?page_id=2658

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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