Ich dachte erst, dass das eine Schauspielerin ist, die da liest. Ich dachte noch, dass die gut beraten wäre, diese Prosa über dieErfahrungen der Protagonistinnen mit dem Tod eines Mannes, der der einen Gatte und der anderen ehemaliger Geliebter ist, nicht gar so weinerlich und von Abscheu gegenüber dem Leben vorzutragen. Nuja, so, was gibt es auch auf der Schöngeisterbahn.
Mein erstes Gefühl war Erleichterung. Darüber nämlich, dass die Vortragende ganz woanders war, im Radio nämlich, und ich auf der Couch lag und von dortbequem zuhören konnte. Anders hätte ich dieses Gefühl unglaublicher Peinlichkeit, das sich in mir breit machte,gar nicht so richtig ertragen.
Rezensenten schreiben von streng durchkomponierten Geschichten und einer herben Melodie. Die herbe Melodie, die mich bei dieser Lesung anwehte, hatte was von einer alten Jungfer, die über ein offenes Fenster klagt, durch das es so unglaublich zieht. Fast hörte ich ein herbes „Hach“ und „Huch“ mit. Ich kriegte Atemprobleme, die sich noch verstärkten im weiteren Verlauf.
Die Technik des Streng Durchkomponierens wirkt auf mich wie die Komposition eines Werbetextes über das Sterben unter den Bedingungen einer Mittelschichts-Existenz. Wie stirbt man zeitgeistaffin. Eine mir nicht so richtig wichtige Frage.
Dieses unendlich bedeutungshuberische Aufzählen und Aufzählen von Gegenden und Gegenständen, öde, öde, öde.... Und dazu auch noch dieser reale, weinerliche Jammerton. Blutleer bis zum Koma.
Mag ja vom Zeitgeist her plausibel sein, aber am Ende ist da kein Geist mehr drin, sondern nur noch die Luftblasen des Sterbenden, der "Einatmet und ausatmet und einatmet"... na, ich will nicht weiterzitieren. Es atmet sich muffig.
Am Ende erfuhr ich, dass es die Autorin war, die aus ihrem Erzählband „Alice“ gelesen hatte. Mach doch mal einer die Fenster auf...
Kommentare 5
Magda,
es gibt Alice auch als Hörbuch auf CD. Hör es dir drei Tage hintereinander an. Danach bist du bereit deinen Wunsch: "Manchmal würde ich mich auch gern mal prügeln." in die Tat umzusetzen.
Am nächsten Tag dann die Nachrichten: "Eine etwas ältere Journalistin zog marodierend durchs Kanzleramt. Aufgrund dieses Ereignisses denken Politiker darüber nach Personen über 60 auf die -Insel der Glückseeligen- auszulagern."
Ach was. Ich randaliere immer nur schriflich. Alles Fantasien.
Trotzdem: Wenn ich im Grabe liege bin ich noch lebendiger als die.
Aber weil ich gerade hier bin:
Eine hübsche Einlassung zum Internet habe ich noch gefunden von ihr in einem Zeit-Interview.
Befragt zum Internet sagt sie:
"Ich verstehe es nicht. Und ich verstehe das Bedürfnis der Leute nicht, in diesem Raum zu kommunizieren, zu empfinden, zu sehen und zu lesen. Es ist nicht meine Welt. Wäre ich jetzt 20 Jahre alt, wäre das vielleicht anders."
Auf die Frage: Gegenwärtig empören sich viele über Google. Dort sollen Bücher jedem frei zugänglich gemacht werden.
Antwort: Das erstaunt mich nicht. Erstaunt Sie das etwa? Aber das ist nur eine bedenkliche Folgeerscheinung, das Internet ist doch schon im ganzen Anfangsgedanken bedenklich.
Ich sage ja, diese Frau ist ein einziges Hach und Huch.
www.zeit.de/online/2009/18/interview-judith-hermann-teil-2?page=3
Liebe Magda,
ich bin ebenfalls kein besonders großer Judith-Hermann-Fan, was daran liegt, dass ich zu wenig von ihr kenne. Auch ihre Lesestimme kenne ich nicht. Aber ich habe die Geschichte gelesen, auf die Sie anspielen. Und ich finde, dass Hermann sehr stimmig erzählt. Die Blutleere des Textes, die innere Emigration, Verzicht auf lebendiger Sprache (es heißt wohl jetzt Sound)ist zwar nicht mein Geschmack, doch fasziniert mich, was daraus entsteht. Ich habe einen Sog gespürt, habe die wahrlich bedrückende Atmosphäre quasi riechen können. Dass ihr das gelingt, indem sie an den Wundrändern entlangstreicht - das können nicht viele der nachwachsenden Erzähler. Hier ist kein Halbsatz zuviel, kein Sentiment billig, keine Idee verplappert. Jedes Wort dient dem Inhalt. Diese Perfektion mag befremden, sympathisch ist sie nicht. Wo versteckt sich die Erzählerin, möchte man fragen. Für mich ist die Lektüre ein irritierendes Vergnügen, eine Begegnung auf Distanz zwar, doch jenseits von Gleichgültigkeit. Oder naja, bei diesem Thema: ehe diesseits.
Herzlich
kk
Hallo ,
es ist schon so, dass ich alles von Judith Hermann gelesen habe. Also nicht einfach nur mal so kurz gelesen. Das letzte Buch allerdings noch nicht, weil es wohl auch noch gar nicht auf dem Markt ist. Das will ich anmerken, damit mein Spott nicht gar so oberflächlich erscheint.
Es ist ja ohnehin ein Problem mit ihr, dass sie andauernd mit ihrer ganzen Erscheinung literarisch betrachtet wird. Sie wirkt dadurch generell wie ein Kunstprodukt. Und dann ist ihr das unangenehm, aber sie macht dann auch mit und dieses ganze Ungefähre ist immer wie ein lascher Händedruck.
Wenn Du sagst, es sei ein Sog, dann hast Du sicher Recht, aber es ist eben keiner, wo ich sagen würde, „Ach, das ging mir nahe, kein Stück“. Man bemüht sich entweder irgendwie draufzukommen, wie die das macht und das ist mir bei Autoren, die mir nahe gehen, nicht so wichtig.
Oder man entfernt sich wieder von ihr und ist also abgestoßen.
Allein schon wenn ich ihre Sätze mit diesen sorgfältigen Aufzählungen lese, dann ist das eben alles kalkuliert und kalkuliert und kalt und kalt.
Dieses Kunstfertige, das ist mir absolut „verdächtig“. Weil man es eben spürt. So viel Kunst hat sie nun wieder nicht, dass das so daherkommt, sondern es lastet erdenschwer der Gestaltungswille auf diesem Text.
Alle, die schreiben, sind natürlich stilistisch am Feilen und gehen handwerklich ran, aber in so cooler Form ist das eben nichts, was mir nahe geht.
Und wenn man dann noch diesen halb versnobten, halb auf Empfindung getunten Tonfall hört , da merkt man, die hat außer mit sich selbst mit der Welt nichts zu schaffen. Diese ganze Inszenierung kommt aus einer Welt, die mir nicht nur fremd, sondern durch das Übertriebene auch lächerlich daherkommt.
Grüße
Magda
Liebe Magda, wenn Du alles von ihr gelesen hast, kannst Du das sicher besser einordnen, ich habe bei "Sommerhaus. später" zu früh aufgegeben. Es stimmt ja, was Du von Kälte schreibst und über das Kunstfertige; ja, es ist konstruiert. Aber wenn es nun schon so sein soll, und das scheint mir mehr als ein Trend zu sein, dann habe ich es eben lieber gekonnt. Das immerhin ist es. Vielleicht stehe ich aber auch noch zu sehr unter dem Eindruck des MDR-Literaturwettbewerbs, der am Montag in Leipzig mit einem sogenannten Wettlesen zuende ging - sieben Finalisten (von knapp 2000 Einsendern) lesen vor Publikum ihre Kurzgeschichten. Einer davon war SAID, SAID!. Und Du wirst es nicht glauben, er hatte keine Chance. Es war nicht seine erste Bewerbung. Ich habe keine Ahnung, warum er sich das antut. Was da zu hören war, war mal mehr, mal weniger schlecht, aber Gutes, wirklich Gutes war nicht dabei. Mal abgesehen vom hilflosen Kreisen ums ICH fehlen neben einer tragfähigen Idee die sprachlichen Mittel. Ich sehe keine Phantasie, ich sehe keine Botschaft, ich sehe nichts, was über den Tag hinaus reicht. Aber alle haben bereits Preise gewonnen, durchaus auch veröffentlicht. Gemessen daran ist Juduth Hermann vielleicht ein kaum inspirierendes Vorbild, aber sie ist die Bessere.
Ich lese das Buch jetzt erstmal weiter, es ist schon erschienen, grad eben.
Herzlich
kk