Jenseits von Fluchten und Buchpreisen

Hiddensee Die Insel ist für unsere Autorin früher wie heute einer der schönsten Orte. Doch sollte man sie literarisch nicht zu sehr verschleißen – das fördert nur die Entfremdung

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Der gerade mit dem deutschen Buchpreis bedachte Lutz Seiler jammerte gegenüber der Moderatorin von Titel, Thesen,Temperamente beim Buchspezial in Frankfurt a.M über die Rezeption seines Romans „Kruso: „Aber es ist halt nicht autobiographisch, es ist nicht die Rekonstruktion des Sommers ’89 und überhaupt nicht der DDR – meines Erachtens, es ist kein verdammter Wenderoman“.

Hi hi hi, das nützt ihm nichts. Die „öffentliche Stimme“ sendet ihm das Echo: Doch, doch, doch. Warum eigentlich? Weil es so sein soll.

Nach dem Charakterisierungs-Ranking werden Wenderomane von Männern geschrieben, sie spielen in bestimmten Gegenden, auf „Türmen“ oder bei „abnehmenden Lichtverhältnissen“, in bestimmten Kreisen, verweisen auf Fluchtgedanken – innere und äußere - und verkaufen sich gut. Sie sagen was erwartet wird: Nämlich, dass es in all dem Elend, das da so war, immer auch Elemente des Aufbegehrens, des fantastischen Hoffens trotz Scheiterns und neuer Horizonte gegen die Resignation gab, auch wenn der verhangen war oder so ähnlich. Dass der Wenderoman eine Männerangelegenheit sei, beklagt ein FAZ Rezensent und es stimmt ja auch. Vielleicht ist es aber so, dass Wenderomane von Frauen einfach nicht beachtet werden. Frauen sind sowieso wetterwendisch, da ist das alles nicht so eklatant.

Der Lobgesang auf Kruso auch hier im Freitag, (Michael Angele: Kein unschuldiges Wort), also erinnerte mal wieder an die Insel, an Hiddensee, das in Texten, mal besser, mal schlechter, besungen, bedichtet und erklärt wird. Schon zu DDR Zeiten schrieb z. B. Herbert Nachbar Hochzeit auf Länneken und behandelte da, wie das sozialistische ganz "Neue" sich auch in der Liebe zweier Menschen Bahn bricht. Später stimmte das rabiate "Neue" nachdenklich, wie man in Hanns Cibulkas Notaten aus Hiddensee Sanddornzeit lesen kann. Und am Ende ist Hiddensee wieder Versatzstück für einen „hidden sense“, den alle suchen.

Hier zum Beispiel sucht ihn ein Zeit-Reporter, der meint: „Wer zu DDR-Zeiten nach Hiddensee kam, hatte das Land verlassen, ohne die Grenze überschritten zu haben: Ein Besuch auf der Insel mit Lutz Seiler, der seinen ersten, überragenden Roman "Kruso" an diesem Märchenort spielen lässt.“

So ein Unsinn, guter Gott, es gab schon ein paar Orte mehr, in denen es „gut“ war und nicht jeder war ein Fluchtpunkt oder wurde erst nach Fluchten gefunden. Hiddensee als Pathos-Begriff ist beliebig und hört sich langsam verschlissen an.

Hiddensee 1987

Und rein weiblich

Zwei Jahre bevor der junge Ed mit „Kruso“ seine Erfahrungen auf der Insel machte, hatte ich ein wunderschönes Hiddensee-Erlebnis. Das war 1987 und rein-weiblich. Ein temporärer kleiner Glücksfall. Ich war ziemlich kaputt damals. Eine Erholungskur sollte es sein nur für Frauen des Betriebes, aber die durften – wenn sie wollten - ihre Ehemänner mitbringen. Seltsamerweise gab es nur ein Paar, das gemeinsam angereist war und das war die ganze Zeit ziemlich isoliert, denn der Rest waren nur wir Frauen.

Alle, die sich dort in der Inselbar in Kloster auf Hiddensee trafen, waren so verschieden und passten dann doch zueinander und/oder wurden in ihren Eigenheiten akzeptiert. Es wuchs eine fast komplizenhafte Harmonie, die kaum gestört wurde, weil alle den tiefen Wunsch hatten, dass es doch so bleiben möge.

Jetzt – in der Erinnerung und mit soviel Literatur im „Nacken“ – könnte ich was faseln vom gelebten Willen zur Utopie, die aber ihren Ort in Hiddensee gefunden hat. Ach was, es war ein so schöner Zustand. Mir tat gut, allerlei hinter mir zu lassen. Eine – wirklich „ortlose“ völlig hoffnungslose, Liebe, eine Arbeit, die mich zwar ernährte, aber zunehmend beschwerte und viele Unschlüssigkeiten und Grübeleien.

Lange Gänge

Am Spülsaum

Wir Frauen fanden fast immer den richtigen Rhythmus des Miteinanders, des Abstands, der Heiterkeit. Wir wollten uns vertragen in dieser kostbaren Hiddensee-Zeit, wir bestanden darauf. Ich erinnere endlose, schweigende Spaziergänge am Strand – am Spülsaum, auf der Suche nach Steinen – besonders Hühnergöttern. Da hatte ich mich an zwei, nicht sehr Gesprächige gehängt und wir liefen, still und aufmerksam nach unten blickend, nebeneinander her, entfernten uns voneinander und näherten uns. Wir trafen uns abends am Strand und feierten die häufigen Sonnenuntergänge mit einem Piccolo. Wir genossen eine kleine Freiheit, das mit der „großen Freiheit“ war uns nicht so wichtig.

Wir blickten in die Richtung, in der die Halbinsel Moen lag, die Dänische, Ferne, Unerreichbare, die bei „Kruso“ eine Rolle spielt. Aber, wir suchten sie nicht verzweifelt und sehnten uns da nicht hin. Wir hörten, dass man früher in sehr kalten Wintern auf dem Eise bis dorthin fahren konnte. Das war „einst“, aber jetzt war April und kein Eis, von anderen Abhaltungen ganz zu schweigen.

Hort der Mahnung-

Die Inselkirche

Wir besuchten die Inselkirche und lauschten dem damaligen Pfarrer, seinen Mahnungen und seiner Sicht auf die Welt. Die Kirche war schon immer eine Insel der Besinnung und stiller Kritik an den Verhältnissen, nicht nur in Ost, sondern auch in West. An der Wand hingen bedenkenswerte Notate von Dorothee Sölle, der Theologin.

Wir gingen voll angemaßten einheimischen Hochmuts jeden Tag zum Anleger und warteten auf die Schiffe aus Stralsund, die die „Eintagsfliegen“ brachten, die Kurzbesucher. Im April waren es noch nicht so viele. Wir freuten uns über die kleine Abwechslung, räsonierten aber laut über die Störungen.

Mir folgte vom Hafen immer ein offensichtlich herrenloser Hund, der sich in mich verliebt hatte. Mir war das genug an Anhänglichkeit in dieser Zeit. In den Sinn kam mir eine Strophe aus

Appolinaires'

Das Lied des Ungeliebten

Als einst Ulyß ins Heimatland
Zurückgekehrt der listenreiche
Hat ihn sein alter Hund erkannt
Die Gattin harrte sein vorm weichen
Gewebten Teppich unverwand

Ein wenig war schon vom fernen Sommer zu spüren. Die April-Luft war kalt, fast noch eisig, aber der Strandkorb-Verleih hatte uns einige Körbe hingestellt und in denen lag man in wohliger Wärme unter der Sonne. Wenn man sich vorbeugte, bestrafte der eisige Wind für diese Vorwitzigkeit. Einmal ging ich sogar ins Wasser – bei ca. 8 Grad, aber ich stand nur, traute mich nicht einzutauchen.

Wir unterhielten uns über unsere Alltage anderswo. Eine Kollegin beklagte, dass die Bischöfe der Katholishen Kirche, der sie angehörte, noch immer von den Gläubigen forderten, sich nicht an diesem Jugendweihe-Bekenntnis zu beteiligen. Aber sie selbst entboten ihre Glückwünsche an die Repräsentanten der „Staats- und Parteiführung“, tranken ihnen beim Empfang zu. Eine Kollegin aus Leipzig war mit den Bürgerkriegsflüchtlingen in den 50er Jahren aus Griechenland in die DDR gekommen. Sie erzählte von den ersten DDR-Erfahrungen und einer Reise, die sie kürzlich zu Verwandten machen konnte. Wir hörten neugierig und gern zu über ihre Abenteuer in Pyräus, aber wir dachten trotzdem nicht lange an andere Strände und Häfen. Wir auf Hiddensee, dachten ans Festland und freuten uns über eine Flucht, die uns – offiziell gestattet und genehmigt – für einige Zeit hierher gebracht hatte.

Viele Jahre später kam ich noch einmal mit meinem Mann nach Hiddensee. Wir liefen am Strand entlang, freuten uns am lebhaften Wind, suchten Steine und warfen sie wieder ins Wasser. Das ist der verborgene Sinn von Hiddensee. Steine sammeln, Steine zerstreun. Die Insel Moen suchten wir auch diesmal nicht. Es gingen keine Schiffe dorthin wie von Warnemünde nach Gedser.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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