Warum Beschönigen gar nichts bringt
Ich hatte den Befund, der in meiner Tasche steckte, schon gelesen, als ich einer 20 Jahre jüngeren Freundin in unserer Stammkneipe verkündete: „Es ist nie gut, sich über sein Alter was vorzumachen.“ Dabei war mir selbst gar nicht nach kühlem Realismus zumute, sondern nach Trost. Da waren sie, all die Fachtermini über die Beanspruchung und Abnützung der Apparatur, die uns zum aufrechten Gang befähigt. Da traten zum Beispiel auf: ein Cervicocephalsyndrom mit Myogelosen, das sind Muskelverhärtungen. Eine abgeflachte Lordose, eine Verkrümmung, an der Halswirbelsäule kann ich ebenfalls vorweisen.
Man altert nicht gemütlich vor sich hin. Ganz plötzlich fühlt man sich mit einem Schlag um Jahre gealtert, manchmal ist es ein Blick in den Spiegel, oder das Aufstehen vom Sessel fällt – mit einem Mal – schwerer als gestern.
Leben ist Verschleiß. Mir geht es besser, seit ich mich dieser Erkenntnis stelle. Das Alter ist keine Krankheit, aber die ständige Altersbedrohung ist eine. „Das Alter ist nichts für Feiglinge“, erklärte einmal die Hollywood-Schauspielerin Mae West. Mittlerweile ein geflügeltes Wort. Andere, wie die gerade 75 Jahre alt gewordene Schauspielerin Senta Berger, charakterisieren das Älterwerden unverhüllter als „Zumutung“.
Wir sind schlichtweg länger alt. Im Jahr 2030 soll die durchschnittliche Lebenserwartung 90 Jahre betragen – und so kommt das Phänomen länger und deutlicher in der Öffentlichkeit vor.
Wenn wir auf der Straße verschwinden
Das Nicht-mehr-wahrgenommen-Werden - es macht älteren Frauen zu schaffen. Eine Freundin, eine schöne Frau in den 50ern, erzählte, dass sie manche Blicke vermisst. Dass sie dieses „Verschwinden“ schmerzvoll erlebt.
Aber das geht auch Männern so: Kürzlich beklagte sich der Schauspieler Winfried Glatzeder über dieses Übersehenwerden. Er fühle sich ausgesondert. Wenn er die Straße entlanggehe, gucke man an ihm vorbei. Er werde nicht mehr wahrgenommen. Das sei im Beruf ähnlich. Glatzeder ist jetzt über 70 – so wie ich.
Mir selber macht das Übersehen wenig aus, weil ich nie eine sehr auffällige Erscheinung war und eher unter „ganz nett“ fiel. Und noch falle. Aber ich mache mich – auch als Bloggerin – gern kenntlich und erlebe, dass ich mit meiner Altersangabe und einem halbwegs realistischen Foto im Internet und in sozialen Medien manchen Kontrahenten Argumente lieferte. Es gibt Leute, die mit Begriffen wie „senil“ oder „arme alte Frau“ einen Punkt machen wollen.
Alte Menschen gelten als gesundheitspolitisches Problem und eher konservatives WählerInnen-Potenzial – so wird das öffentlich diskutiert. Aber als Subjekte, als einzelne Menschen verschwinden sie. Vor allem Frauen. Wenn in Talkshows sowieso schon wenige sitzen, dann noch weniger ältere. Und wenn doch einmal, dann sollen sie über Probleme reden, die mit ihrem Alter zu tun haben. Die Lebensaussagen älterer Menschen sollen die jüngeren eher ermutigen, statt sie an Endlichkeiten des Lebens zu erinnern.
Womit kann man noch so rechnen
Manchmal möchte man appellieren: Redet darüber, dass das Alter beschwerlich ist. Redet über die Angst vor der Gebrechlichkeit. Über die Furcht vor dem Ende. „Ich werde mir doch sehr fehlen“, diesen ironischen Satz hat Kurt Tucholsky einmal geschrieben.
Aus der Welt zu verschwinden, da ist ja auch eine Ungeheuerlichkeit, die nicht nur im Alter das Denken überfällt. Selbst bei so einem trivialen Skandal wie dem verzögerten Bau des monströsen Berliner Flughafens, denke ich manchmal darüber nach, ob ich seine Eröffnung noch erleben werde. Manche Männer rechnen sich aus, wie viele Fußballweltmeisterschaften sie noch sehen werden. Ja, es stellt sich ein, dieses Rechnen, wenn über zukünftige Projekte berichtet wird. Ich erinnere mich gern an meine Mutter, die mir einmal freudvoll sagte: Du wirst es erleben, das neue Jahrtausend, du bist dann gerade mal 54 Jahre alt. Sie war damals über 70, und so alt bin ich heute.
Alles ist unsicher, wenn man älter wird und immer noch älter. Man muss das richtige Maß finden.
Wo nur sind die zornigen alten Weiber
Das öffentliche Reden übers Alter benutzt gefällige Klischees, zum Beispiel „Unruhestände“. Als Zuschreibung für einen noch aktiven Pensionär im Ruhestand. Ich kenne das nur als zunehmende Ungeduld: an der Kasse, bei Ämtern.
Die wird sonst eher jungen Leuten zugeschrieben. Aber die gucken geduldiger auf ihr Handy als ich. Es heißt immer, ältere Menschen sind gelassener, aber das stimmt nicht immer. Oder man sagt: Menschen sind glücklich, wenn sie „noch gebraucht“ werden. Auch das ist mir ein bisschen verdächtig. „Gebraucht“, das sind alte Menschen sowieso, das Leben hat dafür gesorgt. Das ist ein Zustand, keine Anforderung. Übrigens wird dies oft im Zusammenhang mit Frauen verwendet, Männern steht die noch immer kraftvolle, zornige Wortmeldung im Vordergrund.
Die Putzfrau Susanne Neumann, Gewerkschafterin und SPD-Mitglied, die manchmal öffentlichkeitswirksam ins Rennen geschickt wird, um ihrer Partei ins Gewissen zu reden, ist eine Einzelerscheinung. Die zudem stets etwas inszeniert wirkt. Zornige ältere Männer hingegen gibt es fast schon als Label. Zornige alte Weiber kaum, Treten sie zu lebhaft in der Öffentlichkeit auf, werden sie mit Spott bedacht - wie im Moment SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles.
Bei alten Frauen geht das nur, wenn sie sich ganz bewusst stilisieren oder künstlerisch unterwegs sind. Wie „Die drei alten Schachteln“, die in den Nullerjahren auf der Bühne standen. Eine von ihnen war Brigitte Mira. Damals war sie 85.
In der Liebe werden wir nachsichtiger
Zu zweit ist es leichter, zumindest wenn beide voll erwerbstätig waren. Was ja noch immer ein Vorzug des Ostens ist. Viele ältere Menschen müssen nach dem Prinzip leben: „Ich bin alt und brauche das Geld“. Meist geht es Alleinstehenden so, in der Mehrzahl Frauen. Sie sind häufig Missbrauchsopfer der nach unten definierten Rentenformeln. Ich jedenfalls bin erleichtert, dass ich nichts mehr wirklich tun muss. Und wenig Sinnsuche betreibe. Übrigens: Auch nicht nach rückwärts, auch nicht als Bilanz. Wenn ich zurückschaue, dann als Erinnerung, die nicht Versäumnisse abrechnet.
Mein Mann und ich unterhalten uns oft über die auf einmal so lang schon zurückliegende Zeit der täglichen Pflichten und 8-Stunden-Tage. Und sind froh, dass es jetzt vorbei ist. So gut und wichtig es ist, sich im Alter zu betätigen, so sehr von Belang sind auch die schönen Rituale der Beschaulichkeit, des Gleichmaßes der Alltagsverrichtungen und der Ruhe. Altersweisheit ist mir allerdings ziemlich fremd. Milde, „altersmilde“ und nachsichtig bin ich mit dem Menschen, der mir am nächsten ist.
Mein Mann ist einige Jahre älter als ich, und ich habe gerade in den letzten Jahren erlebt, dass Älterwerden nicht ein ständiges „Abwärts“ bedeutet. Krankheiten kommen und vergehen. Das macht mir, die mein Mann mit den Worten verspottet, ich sei noch so „herrlich jung“, doch Mut. Das Alter zeigt, worauf es ankommt. Es braucht Wohlwollen füreinander. Nachsicht. Im Alter zeigt sich für uns deutlicher, warum wir einst zusammenbleiben wollten. Wir passen jetzt vielleicht sogar besser zusammen als früher.
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