Jochen Schmidt und die Heinersdorfer Brücke

Der Wächter von Pankow Die Heinersdorfer Autobahnbrücke, unter der die S-Bahn Richtung Berlin-Bernau oder Berlin-Buch durchfährt, entstand in den 80erJahren im Schiebetaktverfahren.

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Das mit dem Schiebetaktverfahren habe ich erst gestern erfahren, alles andere weiß ich, denn ich wohne in Pankow-Heinersdorf und blicke fast täglich entweder auf den Autobahnzubringer ...

wie hier vor einigen Tagenhttps://lh3.googleusercontent.com/-kU12wsgT0is/VnFGncsz6PI/AAAAAAAAJ8M/8dBx3H0omUk/s912-Ic42/Heinersdorfer%252520Br%2525C3%2525BCcke_blau.jpg

oder von der Heinersdorfer Brücke auf die Gleise...

hier ein Bild vom vergangenen Herbst.

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Der Schriftsteller Jochen Schmidt wohnte früher in Berlin-Buch, jetzt im Prenzlauer Berg, das heute auch zu Pankow gehört.

Gestern las er im Buchlokal Pankow

https://lh3.googleusercontent.com/-f-z7N2Ix-MA/VnCGfhOH-WI/AAAAAAAAJ7A/QHv61JHHndI/s640-Ic42/Jochen%252520Schmidt%252520scharf.jpgaus seinem neuen Erzählband Die Wächter von Pankow eine Geschichte mit dem Titel Das hast Du mir schon mal erzählt. Sie handelt davon, dass er immer, wenn er mit der S-Bahn nach Berlin-Buch fährt oder auch zurück seiner Begleiterin erzählte, er sei dabei gewesen, als die Brücke entstand. Und dann sinnt er darüber nach, wie, wann und warum er das immer erzählt.

Das sind Sachen, die man zu kennen meint, auf die man aber nicht kommt. Das war so verrückt, wie es nur Jochen Schmidt kann. Schmidt interessiert sich ohnehin für das Schon Mal Erzählte, das er aber dann ganz anders erzählt. So interessiert er sich für die DDR, in der er aufgewachsen ist, der er aber nicht einfach so „nachtrauert“ (was man heutzutage sofort klären muss) sondern auf die er blickt, weil sie insgesamt für Vergänglichkeit steht und für eine irritierende Vergesslichkeit in der Gegenwart über das Vergangene.

Melancholische Grundierung

Das alles ist ernst, aber Jochen Schmidts Erzählungen sind sehr lustig und amüsant, weil sie diese melancholische Grundierung haben. Dallmayer prodomo – so eine andere Geschichte über sonderbare Gedankengänge zwischen den Gängen eines Supermarktes. Was tut man bloß, wenn man irrtümlich eine Packung koffeinfreien Kaffee gekauft hat, den man nicht wollte. Viele Möglichkeiten tun sich auf. Schmidt, der sehr schön lesen kann – eigentlich kichert er immer ein bisschen bei seinen eigenen Texten - las sehr verhalten, denn er hat Stimmbandknötchen von seinen vielen Leseauftritten.

Eine kürzliche Chinareise und ein Porträt über die Schriftstellerin Karen Duve sowie die Ergebnisse seiner FAZ-Lektüre waren ebenfalls sehr hörenswert.

Mich verbinden mit Jochen Schmidt die Stimmbandknötchen ich hatte sowas vor vielen Jahren, eine Facebook-Bekanntschaft, der gemeinsame Wohnort, die gemeinsame Vergangenheit, nur dass ich in dieser Vergangenheit länger gelebt habe als er.

Deshalb bin ich seiner Einladung gern gefolgt.

Eine ältere Dame als Leserin

Es gibt noch einen anderen Grund, den ich fast vergessen hatte. Jochen Schmidt hat mal in einer Sendung über Berliner Lesebühnen – er gehört zur Chaussee der Enthusiasten - erklärt, er stelle sich beim Schreiben immer ne ältere Dame vor als Leserin, jemanden, der schon ein bisschen was erlebt hat im Leben. Leider werde er vom Verlag immer als jemand gesehen, der sich an ein junges Publikum richtet, was völlig falsch sei.

Schmidt sagte in dem Feature auch: Die Welt verändert sich, man kann nicht verlangen, dass es so bleibt wie früher, aber ich verlang' so ein historisches Bewusstsein, wenn man an einem Ort lebt, wie es früher war. Dafür stehen wir mehr und mehr, find ich, die Lesebühnen. Viele von uns sind ja Fossilien. Wir sind so Übriggebliebene einer untergegangenen Welt. Das ist, glaub ich, auch ganz interessant für die Zuschauer.

Ja, das ist interessant. Jochen Schmidt hat inzwischen mit seinem Roman „Schneckenmühle“ über eine Kindheit in der DDR und einigen Erzählungsbänden nicht nur zu diesem Thema auf sich aufmerksam gemacht.

Déjà-vu am späten Abend

Als ich nach Hause kam, erzählte ich meinem Mann von Schmidts Geschichte über die Heinersdorfer Brücke und sofort fiel er ein: Ach, ich habe doch damals einen Bericht über den Bau gemacht und sie haben in der Redaktion nachgefragt, wer da fotografiert hat. Und – was soll ich sagen – ich habe ihm erklärt: „Das hast Du mir schon mal erzählt.“

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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