Keine Lichtlein bei den Müttern

Bücherkalender Magda verbindet eine dunkle Buchbesprechung mit vorweihnachtlichem Gemecker

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Keine Lichtlein bei den Müttern

Foto: jokebird/photocase

Die Vorweihnachtszeit ist immer traulich und gemütlich, es soll gekuschelt werden und Wärme gespendet. Das ist gut so. Wenn dann die Familie kuschelt und „Mutti“ (öffentlich) und Mutti (privat) für uns sorgen, dann ist doch schon mal alles auf dem richtigen Weg. Gerade habe ich in der Neue Zürcher Zeitung gelesen, dass die mütterliche Zuwendung die Stressempfindlichkeit mindert. Das ist wichtig, vor allem auf dem Weihnachtsmarkt, wo einen Leute immer mit ihrem kandierten Apfel am Mantel hängen vor lauter Stress oder Vergessen im Glühwein suchen, weil sie so gestresst sind.

Die Erkenntnis mit der Zuwendung wurde im Tierexperiment gewonnen. Wie wir dann bei Ratten beobachtet haben, kümmern sich manche Weibchen ausgesprochen liebevoll um ihre Brut und lecken diese ständig ab, während andere ihrem Nachwuchs nur wenig Aufmerksamkeit schenken. Das Leckverhalten der Mutter beeinflusst sowohl die Hirnentwicklung als auch das Körperwachstum des Kindes.

Ach Du Güte, wie wenig konnte ich es leiden, wenn meine Mutter ein Taschentuch anleckte, um mich damit von den Folgen des wahllosen Herumsuchens im Großstadt-Dreck zu reinigen. Einmal habe ich dabei eine tote Ratte gestreichelt, bestimmt ist auch dieses arme Tier an Vernachlässigung – unbeleckt - gestorben. Nach dieser Tat wurde jedenfalls ich sehr sehr intensiv gereinigt – also geleckt.

Trotzdem halte ich die Erinnerung an meine Mutter in Ehren und denke gern an sie. Sie war ein prima Kumpel, vor allem als ich älter wurde und sie geschickter wurde bei der Komplizenschaft für einige meiner pubertären Streiche.

Genug davon - es geht hier um Bücher

Ich weiß nicht, ob meine Mutter auch dunkle Seiten hatte, aber bei dem Mütterlichkeitsbeitrag in der NZZ kam mir ein Buch in den Sinn, das mich vor einigen Jahren erbost hat.

„Der Lilith-Komplex – die dunkle Seite der Mütterlichkeit“ heißt das Werk des Hallenser Psychiaters Hans Joachim Maaz. Der hat schon nach der Wende sämtliche Deformationen der gewesenen DDR Bürger schriftlich festgemacht und definiert. Das war zu Beginn ganz befreiend, aber ging nach einer Weile auch auf die Nerven, denn nur pathologisiert wollten sich die Ossis nun auch nicht betrachtet sehen.

Was für den Autor Mütterlichkeit ist, darüber schreibt er schon in der Einleitung: In diesem Zusammenhang will ich die wesentlichen mütterlichen Eigenschaften und Fähigkeiten – «gebären», «nähren», «gewähren», «beschützen» – sowohl in ihrem individuellen Wert für das Kind als auch in ihrer symbolischen Bedeutung für das soziale Zusammenleben hervorheben.

Das konnten wir uns aber schon vorher ausrechnen. Weichheit, Fürsorge, Nahrung Spenden und Liebe und alles so schöne Sachen. Das alles fehlt gar sehr, es fehlte in der DDR, es fehlt jetzt den meisten Frauen. Und es fehlt allüberall, trotz „Mutti“ auf dem Thron.

Mütterlichkeit im hier gemeinten Sinne zielt nicht allein auf

die Aufgaben und Funktionen von Müttern, sondern auf

mütterliche Werte und Normen in der Gesellschaft. Natürlich

können auch Männer «mütterlich» sein, und sie sollten

diese Fähigkeiten auch leben können (wie Frauen auch «Vä-

terlichkeit»), aber vor allem geht es um mütterliche Formen

in der Politik, in der Wirtschaft und in der Kultur.

Kurz vor Angela Merkels Kanzlerschaft hat Maaz schon mal angemeldet, was er bei ihr bestimmt vermissen wird. Mütterliche Werte nämlich.

Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte könnte nun eine Frau an der Spitze der Macht stehen. Ein bemerkenswerter Erfolg, wäre dies Ausdruck einer endlich überwundenen sozialen Benachteiligung und eine Würdigung mütterlicher Werte. Aber genau diese Eigenschaften kann ich bei Angela Merkel nicht erkennen. Ihr Verhalten weicht kaum von dem der Macho-Männer ab: leistungsstark, klug, fleißig, ehrgeizig, aber eben auch kühl, rational, emotionslos, nur nichts Persönliches und Internales erkennen lassen.

Zurück zum Lilith-Komplex. Der nun also wird nicht nur bei „unbeleckten“ DDR-Bürgern, sondern gesamtdeutsch diagnostiziert: Lilith war laut biblischer Überlieferung die erste Frau Adams und sie war auch nicht aus seiner Rippe, sondern aus Erde geschaffen wie Adam selbst. Sie war aufmüpfig und floh eines Tages aus dem Paradies in die Wüste.

Nach dieser Pleite schuf der Herrgott dem Adam was Passenderes aus Eigenmaterial - die Eva nämlich und die war friedlicher. Lilith aber geistert nun als Mythos, als die ungestüme, kinderfeindliche und zerstörerische Seite der Frau durch die Gegend.

Freischweifende Frauen - Von Männern aufgegriffen

Und: wie es so ist mit freischweifenden Frauen ohne große Bindung – sie werden aufgegriffen. Meist von Männern, in diesem Falle von Maaz, der sich – in Anlehnung an die vielen Komplexe, die es schon gibt – den Lilith-Komplex ausdachte und damit sehr marktkompatibel gehandelt hat.

Der Lilith-Komplex will sagen; dass Frauen hin und wieder auch mal die Nase voll haben von ihren Bälgern, dass sie die schreienden Blagen manchmal nicht leiden können und dorthin wünschen, wo der Pfeffer wächst. Das aber gäben die meisten Frauen einfach nicht zu und deshalb übertrügen sie diese verdrängten Abneigungen nonverbal auf ihre Kinder, die das natürlich merken und einen Schaden kriegen von dieser unausgedrückten Ablehnung.

Mit dieser These hat Maaz viele Frauen glücklich gemacht, weil die sich bislang diese Lilith-Sache, diese von der Mütterlichkeit abgespaltene dunkle Seite gar nicht eingestanden haben. So jedenfalls scheint es. Ein Wohltäter dieser Maaz, der dann noch gleich ein paar andere Schlagwörter in die Runde wirft. Er findet Müttermangel, Müttervergiftung, Mütterbevorzugung und nennt den gesamten Zustand in kluger Anlehnung an ein anderes Schlagwort die „mütterlose Gesellschaft“. Eine starke Störung in der Mutter-Kind-Beziehung sieht er an allen Ecken und legt damit den Müttern einen ganzen Sack an Problemen auf.

Rezensentin Renate Rammelt, die das Buch für den Freitag mal besprochen hatte meinte sehr gallig dazu: Die Störungen der Mütterlichkeit in unserer Kultur sind die Wurzeln für alle individuellen, familiären und gesellschaftlichen Konflikte. Auf den Punkt gebracht kann das heißen: Frauen sind Schuld an Gewaltverbrechen jeglicher Art, vom Missbrauch bis zum Krieg. Ein hartes Los! Zumal vom Vater so gut wie nie die Rede ist, das heißt doch: Als Opfer seiner eigenen Mutter erfährt er das Bedauern des Autors.

Wie auch immer - Die Mütter sind schuld

Wenn sie aber gar nicht fehlt, die Mütterlichkeit, sondern vorhanden zu sein scheint, dann ist es auch wieder nicht richtig. Dann ist sie oft herbeigezwungen, weil die Frauen die andere Seite in sich negieren und es ist darum ein Jammer, dass die Mütter mit ihrem sich fortpflanzenden Schaden die Gesellschaft in die allerbösesten Neurosen treiben.

Statt den Müttern endlich mal abzugewöhnen, immer eine gute Mutter, stets perfekt sein zu wollen und immerzu alle Kinder zu lieben, drischt er ihnen zusätzlich noch einen weiteren Komplex ein.

Meist sind und waren es Männer, die die Probleme der Frauen pathologisierten und sie damit zu defizitären Wesen machten. Die Kategorie „Problembeladenheit“ gehört in diese männliche Perspektive und halst den Frauen alles auf, was es an Gespaltenheiten, Zerrissenheiten, Zerstörerischem gibt. Vor einigen Jahren und auch jetzt ist gerade mal wieder die Mutter dran. Und dann wieder deren Mutter und überhaupt es ist eine Art von Männersingsang – aber nicht nur - der im Hintergrund summt:

Sei wie wir Dich wollen/Sei wie wir Dich wollen/Lass Dich definieren/Damit wir die Kontrolle nicht verlieren

Amen.

Tröstlicher Gesang von Rudi Schuricke:

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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