Kunst zwischen Namibia und Deutschland

Kirsten Wechslberger Seit einiger Zeit lebt die Künstlerin hier in Berlin. Ein Gespräch über ihre Arbeit, ihre Erfahrungen und ihre Meinungen zu den Debatten der Gegenwart

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„Meine Idee war es, zum Nachdenken über das Erbe der Apartheid und des Kolonialismus anzuregen“, sagt Kirsten Wechslberger über ihre Installation „Merging Layers“
„Meine Idee war es, zum Nachdenken über das Erbe der Apartheid und des Kolonialismus anzuregen“, sagt Kirsten Wechslberger über ihre Installation „Merging Layers“

Foto: kirstenwechslberger.com

Seit einiger Zeit ist Kirsten Wechslberger, die aus Namibia nach Berlin kam, Mitglied des Pankower Frauenbeirates. Ihre Eltern stammen aus Deutschland und den Niederlanden. Als Künstlerin widmet sie sich sowohl der Bildenden Kunst als auch Performances. Sie will hier in Berlin den Blick weiten, neue Möglichkeiten erkunden, und neue Erfahrungen machen, erzählt sie, aber gerade in der Gegenwart wirkt die Entwicklung in ihrer Heimat auch bis hierher. Die Debatten um die Vergangenheit Deutschlands, die in manchen Straßennamen, die z.B. nach Akteuren der Kolonialzeit wie Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal, Spuren hinterlassen hat, sind laut und leidenschaftlich geworden. Und die Umbenennung der U-Bahn-Station „Mohrenstraße“ hat einen Streit erzeugt, der in dieser Schärfe dann doch verwirrt und erstaunt.

Das spielt auch in Kirsten Wechslbergers Kunst eine Rolle. Sie war noch ein Kind, als Namibia unabhängig wurde, aber die Erfahrungen jener Zeit machten deutlich, wie schwer es ist, zu wirklicher Gleichheit zu gelangen. Und deshalb bricht diese Debatte auch in Namibia immer wieder auf.

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Bei der Arbeit

Die weiße Minderheit

muss sich Fragen stellen

Fragen der eigenen Identität sind nicht nur für Menschen mit weißem Hintergrund von Bedeutung. Das Land ist von sehr vielen verschiedenen Stammesmitgliedern und Völkerschaften bewohnt, und noch immer sind die meisten Menschen dort mit ihrer sehr prekären sozialen Situation beschäftigt. Noch immer ist die Minderheit der Weißen Namibier meist gutsituiert und muss sich nach der eigenen Privilegiertheit befragen oder befragen lassen. Manche weißen Namibier*innen flüchten in die Abwertung der schwarzen Bevölkerung. Kirsten meint, dass solche Debatten ohne Hinterfragen der eigenen Identität gar nicht auskommen und dass sie nicht nur subjektive Befindlichkeiten, sondern auch Identität als sozialen Hintergrund umfassen. Wenn Menschen zu zehnt in einer kleinen Wellblechhütte wohnen, dann sind andere, die vielleicht ein Ein-Zimmer-Apartment bewohnen, schon reich. Die Kluft ist einfach zu groß.

In ihrer Installation Merging Layers (Verschmelzende Schichten) hat sie die prägenden Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart im Blick. Sie erklärt ihre Kunst und hält dies auch für einen wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit:

„In der Arbeit benutze ich das Schachbrett als Symbol für zwei einander gegenüberliegende Seiten. Meine Idee war es, zum Nachdenken über das Erbe der Apartheid und des Kolonialismus anzuregen. Wie haben westliche oder europäische Regeln und Vorschriften, Betriebssysteme und Wertesysteme die der namibischen Volksgruppen und der gesamten Bevölkerung ersetzt? Wie fruchtbar und unterstützend sind diese neuen Systeme für die große Bevölkerung Namibias? Und – wer sind die Gewinner und Verlierer?“

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Wir kommen – im Zusammenhang mit den Regeln und Gesetzen, die den Menschen oktroyiert sind - auch auf die Sprache der dortigen Stämme, die viel mehr über die Menschen erklärt, aber leider werde sie nicht an den Schulen angeboten. Dort herrscht eben das Westliche und – vorwiegend – das US-amerikanische. Die Sprache der Owambos z. B. hat keine Worte für einen korrekten Zeitabschnitt sowohl für die Vergangenheit als auch die Zukunft und andere Stämme z. B. die Namas, Damaras und Khoe San haben so einen Klicklaut, den wir gar nicht verstehen. Deren Art, mit Worten zu „malen“, ist anders, weil sie sich auch anders in der Welt bewegen. Dort ist vieles langsamer und die Frage entsteht: Muss denn auch alles so schnell sein? Ist es dort nützlich, wie ein Engländer oder ein Deutscher in der Berufswelt zu agieren? Wenn Sprache etwas über Völker oder Menschen sagt, dann gilt das auch für das Deutsche, meint sie. Sprache sei hier, wie die Menschen sind – so geordnet und geregelt.

Privilegierung und

Diskriminierung

In Deutschland gibt es – in anderer Form, vor anderem Hintergrund - auch wieder Strukturen, die Fragen aufwerfen, nach Identität, und nach Privilegierung oder Diskriminierung. Mit ihrer Kunst reagiert sie darauf. Sie sieht, dass auch hier das „Andere“, „Fremde“ als Bedrohung erlebt wird, eine Gefahr für die eigene Identität jener, die so heftig abwehrend reagieren. Sie meint, dass solche Dynamiken verhindern, durch die Auseinandersetzung mit Unterschieden persönlich zu wachsen, zu erkennen, wo Empathie nötig ist, wo aber auch Grenzen gesehen werden und z. B. erkannt wird: „Ich bin ja nicht schwarz“.

Ich frage sie nach ihrem Eindruck von der gegenwärtigen Debatte. Sie meint, dass es bei vielen Menschen nicht um „böse“ oder „böswillig“ geht, sondern darum, dass sie nicht geübt sind im Umgang mit anderen. Ich frage andererseits, ob das ganze nicht doch eine Herrschaftsdebatte ist, die geprägt ist vom Jammern der „weißen“ Mehrheit über Zumutungen über eigene Bedrängtheit und Diskriminierung.

Kirsten Wechslberger meint dazu, sie sei allerdings sehr dafür Anwürfe und Zuschreibungen genau zu besehen. Wenn sie in einem Artikel liest, dass das bloße Angucken als rassistisches „Anstarren“ erlebt würde oder jemand seine Tasche vom Sitz nimmt, wenn sich jemand Fremdes daneben setzt, dann gehe ihr das zu weit in der Einordnung. Immer gehe es doch auch um die Situation, um den Hintergrund. Besser wäre es doch, zu fragen, vielleicht die anderen und sich selbst.

Stereotype sind zu

einfache Antworten

Wer bin ich, wie bin ich geworden. Und wie sind die anderen so geworden? Solche Fragen entstehen. Auch unter Linken gibt es ja einen Streit um Identitätspolitik. Der Hang zu einfachen pauschalen Antworten ist auch bei ihnen weit verbreitet. Das alles lenke vom wirklichen Kampf ab, zerstreue und spalte die Menschen. Intersektionalität ist der Begriff, den mir Kirsten Wechslberger näherbringt, denn ich selbst habe ihn zwar mehrfach gelesen, aber noch nicht viel drüber nachgedacht. Es bedeutet, dass man wirklich alles vom Menschen mit einbezieht, nicht nur schwarz-weiß, sondern auch sexuelle Orientierung, oder die Herkunft. Ohne das Einbeziehen dieser Faktoren gehe es nicht erklärt sie. „Noch immer gehen wir ja auf Demos alle zusammen und ich weiß dabei dennoch nicht, wie es ist, eine schwarze bisexuelle Frau in Deutschland zu sein“. Wo ich lebe, was ich schaffe, wo ich gearbeitet habe, das alles gehört zu meinen Erfahrungen. Wir aber neigen zu sehr zum Stereotypisieren.

Dieses Thema behandelt sie sehr eindrücklich in ihrer Performance Shaping Identity . Sie stellt sich vor als jemand, dessen Sein sich aus vielen Einflüssen, Erfahrungen zusammensetzt und setzt sich dieser Vorstellung auch ganz konkret aus, denn sie liegt dabei nackt in einem hölzernen Sarg.

„Der Körper ist teilweise mit Verpackungsmaterialien umhüllt, während eine Videoinstallation auf sie projiziert wird. Die auf ihrer Haut sichtbaren Projektionen bestehen aus Papierausschnitten, die ihre früheren Beziehungen, Verbindungen und Trennungen mit Menschen symbolisieren. Sie wirkt exponiert und verletzlich. Die starken Symbole, die mit dem Sarg verbunden sind, stehen im Kontrast zu den zarten Farben und Formen der Projektionen, ihrer subtilen und ruhigen Stimme, während sie einige ihrer stabilen und fließenden Identitäten rezitiert. Diese Aufführung legt nahe, wie einige Identitäten, vielleicht diejenigen, die stabiler sind, oft unbewusst auf Menschen projiziert werden und bis zum Tod einer Person fortbestehen. Während die fließenderen Identitäten, die die Individualität der Menschen prägen, durch Wahl entstehen, genauso wie Kirsten Wechslberger die Identitäten mit ihrem Publikum teilen wollte. Diese bewegende Performance, die in Kombination mit dem Rest der Arbeit der Künstlerin Emotionen, Gefühle und Gedanken hervorruft, gibt ihrem Publikum viel zu denken und zu fühlen in ihrem eigenen Leben und Erleben, einschließlich der Entstehung ihrer Identitätslabels.“

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Zusammengesetzt aus Herkommen

Erfahrung und Orientierung

Diese Performance ist so aktuell und so gegenwärtig. Wir alle sind aus so unterschiedlichen Erfahrungen, Herkommen und Orientierungen zusammengesetzt, dass wir das Gleiche auch bei anderen sehen sollten, auch bei Gegnern und Menschen mit anderen Meinungen. Es ist vielleicht mehr Verständnis zwischen Menschen möglich, wenn man sie nicht als Verkörperung nur eines Stereotyps sieht. Kirsten Wechslberger meint, sie schafft Kunst ja vor allem, weil sie während der Arbeit, während der Konzeption und sogar direkt während der Performance selbst eigene immer wieder neue Erfahrungen macht. Und das teilt sich auch mit und erweitert den Blick derer, die ihre Kunst erleben und betrachten.

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(Die gezeigten Fotos stammen nicht von mir, sondern stammen von Sascha J. Bachmann und Kirsten Wechslberger)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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