Kurt Tucholsky Briefe an eine Katholikin

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Hohe Achtung trotz „trennender Überzeugung“

„Sie hatten die Freundlichkeit, einmal das zu tun, was in Deutschland so selten ist: über den trennenden Graben hinweg nicht mit faulen Äpfeln zu werfen, sondern Briefe von Verstand zu Verstand zu schreiben“.

Dies ist der Beginn einer publizistischen Arbeit von Kurt Tucholsky, die unter der Überschrift „Brief an eine Katholikin“ 1930 in der „Weltbühne“ erschien. Dieser offene Brief hat eine private Vorgeschichte. Die Journalistin Marierose Fuchs, eine der Zentrumspartei nahestehende Katholikin, die auch sozial sehr engagiert und im karitativen Bereich tätig war, hatte sich in einem Beitrag für die Zeitung des Zentrums „Germania“ mit Tucholskys Buch „Mit 5 PS“ auseinandergesetzt. Darin warf sie ihm „einen erschreckenden Mangel an Ehrfurcht vor trennender Überzeugung“ vor. Das hatte Tucholsky so betroffen gemacht, dass er ihr – vorerst privat – in einem Brief seine Meinung dazu offen legte. Im Band des Verlages Volk und Welt „Kurt Tucholsky Briefe Auswahl 1913 bis 1935 kann man den privaten Teil dieses Briefwechsels nachlesen. (Es gibt einen schon 1970 bei Rowohlt erschienenen Band dazu, den ich allerdings erst nach der Wende kennen lernte: „Briefe an eine Katholikin“ – M.G. )

Was an diesem privat und öffentlich geführten Gedankenaustausch heute noch so fasziniert, ist die Fähigkeit zweier Persönlichkeiten – auch wenn wir nur Tucholskys Meinung lesen, erschließt sich daraus die Ansicht seiner Briefpartnerin - , Konflikte zu benennen, auch wenn sie nicht lösbar sind, den eigenen Standpunkt nicht verratend, doch den des Andersdenkenden kritisch zu akzeptieren und sich trotz heftiger Kontroversen niemals persönlich zu verletzen.

„Heute kann ich es kaum noch verstehen, was mich an Tucholskys Arbeiten schockierte“, schreibt die Adressatin im Jahre 1970. „Zuviel Entsetzliches, was er damals voraussah, haben wir in den letzten Jahrzehnten erlebt. Jetzt nach dem zweiten Weltkrieg, erscheint mir seine Sprache nicht nur rein und gepflegt, sondern seine Gedanken bei aller berechtigten Schärfe von einer heute nicht mehr oft anzutreffenden Besinnlichkeit“ .

Als Tucholsky ihr in einem Brief seine öffentliche Antwort in der „Weltbühne“ ankündigte, tut er dies, nicht ohne zu versichern, dass niemand sie als Adressatin erkennen wird und dass er sich keineswegs den unritterlichen Vorteil verschaffen werde, der darin liegt, dass „Sie kein dialektisch geschulter Priester sind (Einem solchen unterläge ich glatt) Ich halte es für kindlich, so etwas auszunutzen ... dergleichen besagt für und gegen den Katholizismus gar nichts,“ schreibt er an Marierose Fuchs.

Immer wieder legt Tucholsky in seinen Briefen Wert darauf, dass er sauber unterschieden haben will zwischen der katholischen Kirche als Hort des Glaubens und als politischer Katholizismus im Staat, wie er sich in der Weimarer Zeit durch die Zentrumspartei artikulierte. Niemals also möchte er religiöse Gefühle verletzen, aber er wendet sich mit der gleichen Vehemenz dagegen, dass jeder Angriff auf politische Haltungen und Entscheidungen der Zentrumspartei statt mit sachlicher Auseinandersetzung mit dem Schrei des angeblich verletzten religiösen Anstandes „Das Heiligste ist in Gefahr!“ demagogisch abgewehrt wurde. Dazu stellt er lapidar fest: „Dann müsst Ihr das nicht auf den Kampfplatz schleppen – es fällt ja auch keinem Priester ein, mit dem Allerheiligsten unbedeckt, in eine Elektrische zu steigen.“

Hier spricht kein

patentierter Freidenker

Es geht ihm darum, den Missbrauch der Religion für die Durchsetzung politischer Ziele anzuprangern, nicht um einen Angriff gegen den Glauben. Tucholsky, der sich selbst einmal als ein „Suchender in allen Lagern“. beschrieb, wandte sich in diesem Sinne auch an Marierose Fuchs: „Sie sehen, dass hier kein patentierter Freidenker spricht, keiner, der da glaubt, mit einer Feuerversicherungskasse sei die Glaubensfrage gelöst“ und fordert nachdrücklich, „beschränkt ihr euch auf das geistige Gebiet, so sei Diskussion zwischen uns, Debatte und Gedankenaustausch, macht ihr reaktionäre Politik, ..., dann aber sei zwischen uns Kampf. Mit größter Hochachtung äußert er sich auch über das soziale Engagement seiner Briefpartnerin, die zum Kreis des damals in Berlin wirkenden katholischen Pfarrers Carl Sonnenschein gehörte: „Ihr habt viel Gutes getan, man soll es Euch danken und nicht hinter jeder wohltätigen Handlung die kalte Berechnung des Kundenfanges sehen.“

Aber immer wieder sieht er auch die Grenzen und die politische Problematik solcher Tätigkeit. Sie liegt letztendlich im Widerspruch zwischen der voll zu unterstützenden täglich geleisteten Hilfe für die Bedürftigen einerseits und dem systemerhaltenden Charakter solcher Hilfe andererseits, wenn politische Konsequenzen aus der Erfahrung des Elends nicht gezogen werden, die Verhältnisse wohl angeklagt, ihre Veränderung jedoch nicht akzeptiert wird.

So sagte Tucholsky damals ebenfalls im Brief, dass die Diagnose der sozialen Leiden wohl richtig, die Therapie jedoch falsch sei und kommt zu der rhetorischen Frage: „Sie wissen, wer auf dem rechten Flügel des Zentrums sitzt, Großindustrielle, mit denen macht man keine soziale Politik“.

Bewunderung für

Denkgebäude und Geschichte

Niemals könne ein anderer das katholische Erlebnis ganz zu erfassen, räumt er ein. Er selbst, so schreibt er, habe bei Ablehnung des Grundgehaltes große Bewunderung für das Denkgebäude die beeindruckende Geschichte des Katholizismus . Mit tiefem Vertrauen zu seiner Briefpartnerin berührt er auch ihn stärker beschäftigende fragen des Glaubens. Warum glauben Menschen, wem hilft der Glauben und wie? Und auch er wisse auch, dass mit dem Kampf für bessere Lebensbedingungen nichts für eine „gute und hohe Sterbestunde“ getan sei, und eröffnet damit seine inneren Zweifel, sein rastloses Suchen und vor allem auch seine sich später verhängnisvoll auswirkende Lebensangst.

Marierose Fuchs zeigt sich ihm charakterlich und menschlich ebenbürtig, auch dies stellt sich bei der Lektüre der Briefe anrührend heraus. Sie beantwortet Vertrauen mit Vertrauen. Eine Annäherung zwischen zwei Menschen findet statt wie sie nur möglich ist, wenn man trotz trennender Überzeugung große Achtung füreinander empfindet. Diese Annäherung wird auch deutlich, wenn es um persönliche Probleme geht. Ganz ohne Vorbehalte schildert Marierose Fuchs ihm – man kann aus Tucholskys Briefantworten ungefähr ersehen, was sie bedrückte – ihre große Erschöpfung, eigene innere Zweifel, auch eine enttäuschende Liebeserfahrung. Die Behutsamkeit, mit der Tucholsky diese ihm liebgewordene Frau zu beraten versucht, um ihr ohne moralische Überlegenheitsgesten aus einer Krise zu helfen, dies gibt bewegende Einblicke in seinen menschlich integren Charakter. „Aber wie Ihnen aus der Einsamkeit helfen? Sie fliehen oft in die Arbeit und – verzeihen Sie mir – vielleicht manchmal in die Religion. Man hat Ihnen gesagt, wie einmalig, wie unwiderruflich das alles ist. Sie sind davon überzeugt, ich will Sie nicht mit einer anderen Meinung beunruhigen. Ich wünsche Ihnen nur, dass Sie einmal auf einen Mann stoßen, der Ihnen das gibt, was Sie so bitternötig brauchen: Zweisamkeit auf Dauer.

„Quälen Sie sich nicht zu sehr“, schreibt er an sie „Es gibt doch, wie Sie mir immer wieder richtig geschrieben haben, einen fröhlichen Katholizismus – einen lebensbejahenden - ..., da sollten Sie sich etwas holen: Leben, Arbeit, einen Mann, einen Freund, eine Freundin...da ist es“.

Ein politisches und

menschliches Dokument

Es gehört zur publizistischen Meisterschaft Kurt Tucholskys, dass er politische Probleme, wenn auch mit gespitzter Feder und bissiger Ironie, doch immer menschlich abhandeln konnte. Dieser Briefwechsel ist ein politisches und ein menschliches Dokument. Er ist ein Austausch von Unvereinbarkeiten ebenso wie ein versuch, Gemeinsamkeiten zu finden, einen Dialog zu führen, der beide Partner bereichert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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