Landgrafenstraße – ein sentimentaler Fontane-Spaziergang

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Es ist schön, wenn man bei einem Spaziergang etwas im Sinne hat, das antreibt. Nein, kein Ausflugsziel, mehr ein innerer Drang, nach etwas zu sehen, das schon eine Weile die Fantasie beschäftigt. So ging es mir mit meinem kürzlichen Sonntagsspaziergang. Ich wollte – bei so wunderschönen Wetter und so angeweht von einer kleinen schmerzlichen Sehnsucht – mal wieder auf Fontanes Spuren wandeln.


Auf den Spuren von "Irrungen,Wirrungen"

Genauer: Auf den Spuren von „Irrungen, Wirrungen“ wollte ich wandeln, die mich nicht loslassen, so wie den Helden Botho von Rienäcker die Liebe zu Lene nicht loslassen will, die er aber nicht heiraten kann und nicht will, weil sie nicht sein Stand ist. Und die Heldin Lene heißt mit ihrem vollen Namen wie ich. So ist das alles, wenn man sich erst einmal drauf einlässt. Und ich tu das manchmal gern, weil sich – wie Tucholsky sagt – in der Melancholie die Seele erholt.


Eine kleine Gärtnerei am Zoo

Ich weiß, dass Fontane seine Helden in Gegenden ansiedelt, die er genau kennt. So auch hier.

„Irrungen, Wirrungen“ spielt nicht weit vom Zoologischen Garten in einer kleinen Gärtnerei am Schnittpunkt von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße. Die Helden lebten und liebten, litten und verzichteten in jenem Geviert, das auch ich jetzt durchwandere.

Ja, ja natürlich weiß auch ich, dass alles Fantasie, alles erdacht und gar nicht geschehen ist. Fantasie aber trifft sich beim Lesen mit dem Realen. Die Gefühle, mit denen ich die Geschichte las, sind real, die Zeiten, in denen ich sie gelesen habe und der Trost, den ich bei der Lektüre gesucht und gefunden habe, auch. Es passiert ja, dass man mit jemandem nicht zusammenkommen kann. Real ist Fontanes große, bewegende Erzählkunst. Es hat schon alles seine Richtigkeit, wie Fontane reden lassen würde, vielleicht.

Die Landgrafenstraße geht von der Kurfürstenstraße ab und ist eine Parallelstraße zur Keithstraße, in der auch schon berühmte Fontanesche Helden logierten. Und natürlich kenne ich die Gegend ein bisschen, aber ich wollte mich mal „fremd stellen“, weil das literarischer ist und spannender .


Jenseits von Macht und Glanz

Ausgestiegen bin ich am Brandenburger Tor, kam vom U-Bahnhof „Unter den Linden“ die Treppe hinauf und durchschritt schnell das monumentale Bauwerk.

Alles dort herum ist von Macht und Glanz, vergangenem und gegenwärtigem, bestimmt, von Wichtigkeit und Auftrumpfen und darum musste ich dort schnell vorbei. Es geht nicht um so etwas. Es war eine ganz wunderbare Zeit für mein Vorhaben, so kurz nach neun und die Touristen hielten sich zu dieser Zeit noch zurück. Neben der Straße des 17. Juni – mein Gott wie hieß die denn früher? – aha Charlottenburger Chaussee - führt ein ruhiger Weg im Grünen dahin bis zur Siegessäule.


Ich hätte den Weg abkürzen und mich seitwärts in die Büsche des Tiergartens schlagen können, aber ich wollte nicht. Ich befürchtete ein bisschen, dass ich vom Wege abkommen und mein Ziel, die Landgrafenstraße dann doch verfehlen würde oder, abgelenkt von anderem, gar nicht mehr finden wollte. Man muss also an der Siegessäule in die Hofjägerallee einbiegen. und weiter an den vielen neuen Botschaften vorbei bis zur Schillstraße. Dort kommt man zur Kurfürstenstraße und wenn man die ein Stück vorangeht, ist man an der Landgrafenstraße. Dort also lebte Botho von Rienäcker nach seiner Hochzeit mit Käthe von Sellenthin. Nicht lange vorher hat er sich von Lene verabschiedet und sie gibt ihm am Ende zwei Küsse, ganz erschöpft, weil es viel Kraft kostet, ihn heiter gehen zu lassen.


„So stand sie noch lange...“

Und da ist es dann besser bei Fontane selbst zu nachzulesen:

„Als er an der andern Seite der Straße stand, schien er, als er Lenens ansichtig wurde, noch einmal umkehren und Wort und Kuß mit ihr tauschen zu wollen. Aber sie wehrte heftig mit der Hand. Und so ging er denn weiter die Straße hinab, während sie, den Kopf auf den Arm und den Arm auf den Gitterpfosten gestützt, ihm mit großem Auge nachsah. So stand sie noch lange, bis sein Schritt in der nächtlichen Stille verhallt war.“


Und dann heiratet er also und zieht in die Landgrafenstraße, die ich nun auch erreicht habe. Ach, es ist hier genauso wie mit der Bellevuestraße, Bothos Junggesellenwohnung, da haben andere Mächte, der Liebe zuwidere, gewütet. Kaum ein Haus, das dort steht, stammt noch aus der Zeit. Es sind Wohnungsneubauten und ein Hotel – entstanden wohl so in den 60er Jahren - zu finden. Längst stehen Häuser auch auf beiden Seiten und so war es wohl schon in den Zeiten des vergangenen Jahrhunderts und vor dem Kriege. Man hätte also von der Seite, die ich entlang gehe, gar keine Sicht mehr in Richtung Tiergarten und Wilmersdorf-Charlottenburg, wie beschrieben.


„Haar bindet“ und „ein süßer Schmerz“

So ging ich durch die kurze Landgrafenstraße hindurch und pflegte jenen „süßen“ Schmerz, von dem Botho immer mal wieder heimgesucht wird. Zum Beispiel als er Lenens Briefe verbrennt und den kleinen Strauß, den sie – auf seinen Wunsch – mit einem Haar umwunden hat, obwohl sie warnt: „Haar bindet“. Er leidet, er leidet, aber er liebt in diesen Momenten auch besonders.


Später bricht er von dieser Landgrafenstraße auf in einer Droschke nach Neukölln zum Friedhof. Lenens alter Pflegemutter will er, wie versprochen, einen Kranz aufs Grab legen.

Da singen Spielleute ein Lied, das er einst mit Lene zusammen sang: "Ich denke dran, ich danke dir mein Leben, doch du Soldat, Soldat, denkst du daran?"


Und hier muss Fontane selbst 'ran

„Botho, die Stirn in die Hand drückend, warf sich in die Droschke zurück und ein Gefühl, unendlich süß und unendlich schmerzlich, ergriff ihn. Aber freilich das Schmerzliche wog vor und fiel erst ab von ihm, als die Stadt hinter ihm lag und fern am Horizont im blauen Mittagsdämmer die Müggelberge sichtbar wurden.“


Ach dieser Fontane. So ein Jammer, so traurig, aber so weit bin ich ja auch noch gar nicht. Erst muss Botho, der inzwischen geheiratet hat, jenen Gideon Franke empfangen, der seinerseits nun die Lene heiraten will, ein Witwer mit einem weiten Herzen. Und der wird ihm berichten – nachdem er weiß wie alles zugegangen ist zwischen Botho und Lene und es billigt und meint, so habe sie es ihm auch gesagt – dass die alte Frau Nimptsch gestorben ist. Botho wird sich – als Franke nach dem Erörtern allgemeiner alltagstheologischer Fragen gegangen ist – an den Immortellenkranz erinnern, den er der alten Frau Nimptsch versprochen hat.

„Ach, wer weinen könnte“

So ging ich – dieses alles im Sinne – durch die Landgrafenstraße, ans Lützowufer, wo Lene im Roman Bothos ansichtig wird, der mit seiner jungen Frau dort lustwandelt, und sich im letzten Moment noch so zur Seite wenden kann, dass er sie nicht bemerkt und wie sie eine Ohnmacht anwandelt und ihr die Luft nimmt und sie seufzt: Ach, wer weinen könnte“. „Ach, wer da nicht mitweint“, sage ich.


Ein Ende mit Spargel

Am Ende war es Zeit wieder heimzukommen. Ich nahm den Bus in Richtung neuer Hauptbahnhof und kaufte dort unterwegs – dem Alltäglichen zugewandt – eine ordentliche Portion Spargel. Spargel, genau, auch den gab es in der Dörrschen Gärtnerei, in der so die Szenen der Liebe zwischen Lene und Botho spielen. Die sind ja auch immer so schön zwischen dem Alltagstrivialen und ihrer Liebe geboren.

Ein Spargelessen, ganz real und mit Besinnlichkeit genossen, sehr im Fontaneschen Sinne und dem der Lene Nimptsch. Nur Botho kriegt nichts ab, der hat ja Käthe genommen.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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