Das war schon lange fällig, auch wenn möglicherweise jüngere Leser*innen dieses gar nicht so friedlich vereinigten Landes nicht mehr mit allen Anekdoten, die Christoph Hein in seinem kleinen Band Gegenlauschangriff niedergeschrieben hat, etwas anfangen können. Mit dem Titel will Hein übrigens den Mut des Schauspielers Manfred Krug ehren, der in der Tat in den 70er Jahren die DDR-Oberen mit moderner Technik belauscht hat.
Wer einen Teil seines Lebens in der DDR verbracht hat, damals aufmerksam, politisch wach, oft auch zornig war, kennt noch die meisten Debatten und Geschehnisse, über die Christoph Hein schreibt. Und wer die Verwerfungen und – ja, auch – Wunden, die ein einseitig dominierter Einigungsprozess geschlagen hat, ein bisschen verfolgt hat, liest vieles mit grimmigem Einverständnis.
Schon bevor der kleine Band auf dem Markt war, schlug er mediale Wellen. Hein hatte sich gedrängt gefühlt, seine Jahre zurückliegenden Erlebnisse mit dem Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck (Das Leben der Anderen, Werk ohne Autor) einmal kritisch öffentlich zu benennen. Hein, der im Abspann des Films als „Historischer Berater“ aufgeführt wird, schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „Nein, Das Leben der Anderen beschreibt nicht die Achtzigerjahre in der DDR, der Film ist ein Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt, vergleichbar mit Tolkiens Mittelerde.“
Das rief den FAZ-Autor Andreas Platthaus auf den Plan, der erst einmal erläuterte, wie wenig Hein Anteil an von Donnersmarcks Opus gehabt hätte und dass dieser nicht wisse, was Fiktion ist. Komisch ist daran allerdings, dass er dann in der Ablehnung dieser Fiktionen eine reale zynische Relativierung des DDR-Regimes erkennen will und anprangert. Dabei wollte Hein nur deutlich machen, dass die Schrecken und Ärgernisse damals anderswo saßen und dass Tapferkeit von einst abgetan wird, wenn sie nicht in die verordnete dämonisch-dramatische Schablone passt.
Verordnete Starrheit
Nicht nur der Großregisseur behandelt ja die DDR wie ein Materialdepot, aus dem beliebig zusammenkreiert werden kann, was in das eigene künstlerische Bild passt. Hein will daran erinnern, dass es Entwicklung gab, dass die SBZ und DDR der 1940er und 50er Jahre etwas anderes waren als die DDR der 80er Jahre. Dass aber alle historische Betrachtung – auch wenn vermeintlich von der Spätphase erzählt wird –, über den Leisten der grusligen, von widersprüchlichen Machtkämpfen und jähen Wendungen zerklüfteten Anfangsjahre geschlagen wird, schafft ein verzerrtes Bild und erzeugt eine verordnete Starrheit. Dieser will Christoph Hein nicht nur mit einer Anekdote in seinem Buch entgegentreten.
Es gibt bittere Reminiszenzen, zum Beispiel an die zerbrochene Freundschaft mit dem berühmten Schriftsteller Thomas Brasch durch des Vaters, des DDR-Funktionärs und späteren Ministers Horst Brasch, bösartige Intrigen. Die Anekdote zu den Vorgängen um Heins berühmte Rede auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR 1987 („Die Zensur ist überlebt, nutzlos, paradox, menschen- und volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar“) ist es wert, in Erinnerung behalten zu werden. Verbandspräsident Hermann Kant konnte sich damals nur aus der Affäre ziehen, indem er auf sein Ohrenleiden hinwies, er mithin nichts verstanden hätte, und so begründete, wie Hein es mit dem Text bis aufs Podium geschafft hatte.
Die Erinnerung an die Erfahrungen, die Hein vor fast 15 Jahren im Zusammenhang mit seiner geplanten Ernennung zum Intendanten des Deutschen Theaters gemacht hat, sind von leichtem Sarkasmus durchzogen. Wer das damals verfolgt hat, weiß, wie unerbittlich diese Jagd war. Voll mit Anwürfen, mit diesem Intendanten zöge ostdeutscher Mief ins Theater ein.
Das Verhalten der Journalisten macht er auch mit seiner Anekdote um einen Spiegel-Reporter zum Thema. Der war einer der Journalisten, die sich Heins Stasiakte besorgt hatten. Er habe ein Gespräch mit den Worten eröffnet: „Herr Hein, wir haben leider nichts gegen sie an der Hand.“ Die Reaktion auf diese Anekdote, die Volker Weidermann im Spiegel dazu serviert, liest sich wie ein Kommentar zum Umgang zwischen „West und Ost“. In gönnerhaftem Ton und tief betroffen über verletzte journalistische Tugend wird Christoph Hein unterstellt, er verweise auf einen bestimmten Spiegel-Korrespondenten. Ob er sich nicht in Jahreszahlen getäuscht haben könnte und überhaupt ein bisschen zu sehr mit dem Gedächtnis spielt. Das ist so und Hein hat es jetzt in einem Gespräch mit der Zeit auch bedauernd eingeräumt. Aber man könnte hier wirklich mal das entgegenhalten, was sonst aus der anderen Richtung für die Kunst geltend gemacht wird: Auch die unvollständige Erinnerung macht Wahrheiten deutlich.
Heins Anekdoten sind gerade jetzt sehr aktuell. Es mehren sich die Stimmen derer, die dringend darauf verweisen, dass der Ton zwischen „West und Ost“ sich ändern muss. Es gibt nicht nur eine Art verordnetes Reden über die DDR, es gibt auch einen höchst klischierten Umgang mit den Menschen im Osten. Das kränkt. Komik und Ironie sind die beste Art, damit umzugehen.
In Theodor Fontanes Roman Frau Jenny Treibel über großbürgerliche Protzerei und Selbsterhebung wird dem Professor Wilibald Schmidt von einem seiner Kollegen vorgeworfen „Du warst immer fürs Anekdotische, fürs Genrehafte. Mir gilt in der Geschichte nur das Große, nicht das Kleine, das Nebensächliche.“ Und der Professor antwortet gelassen: „Das Nebensächliche, so viel ist richtig, gilt nichts, wenn es bloß nebensächlich ist, wenn nichts drin steckt. Steckt aber was drin, dann ist es die Hauptsache, denn es gibt einem dann immer das eigentlich Menschliche.“ Wie wunderbar passt das auf Heins Anekdotenband.
Info
Gegenlauschangriff. Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege Christoph Hein Suhrkamp Taschenbuch 2019, 122 S., 14 €
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