Leben und Sterben

Moraldebatte In einer Zeitschrift der Friedrich-Ebert-Stiftung will der Autor die Sichtweise umfassend ändern.

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Die Generationenkrise

Der Kulturschaffende und Theologe Simon Kannenberg regt sich umfassend darüber auf, dass der Schutz der Alten auf Kosten der jüngeren Generation erfolge. Auch er hat allerdings – wie viele andere Schreiber in dieser Richtung – kaum Vorschläge, wie der Schutz der Alten erfolgen soll. Er hat so kleine, vage Ideen, Z. B. bestimmte Einkaufszeiten für Ältere und ähnliches.

Und dann hebt er ethisch-moralisch an: Dringend schlägt er vor, dass die Fokussierung auf die Infektionszahlen ersetzt werden sollte durch die Fokussierung auf das Wohl der jüngeren Generation. Und dann kommt der – auch nicht neue – längere Exkurs über die Medizin, die sich zu weit weg vom Sterben bewegt habe und es darum nicht mehr beherrsche.

„Das eigentliche ethische Problem liegt aber darin, dass wir es trotz hoch entwickelter Medizin und ungeheuren moralischen Ansprüchen immer noch nicht geschafft haben, ein gesellschaftlich reifes und reflektiertes Verhältnis zu Krankheit und Sterben an sich zu entwickeln. Denken wir die Sache noch einmal vom Grundsätzlichen her: Leben und Sterben gehören unweigerlich zusammen. Die Medizin hat es nun im Laufe der letzten Jahrzehnte geschafft, das Sterben sehr weit hinauszuzögern und sich zur Beherrscherin über fast alle bekannten Krankheiten zu machen. Die Probleme, die dadurch entstehen, dass die Medizin für das Sterben bislang keine Verantwortung übernommen hat, liegen seit Jahren offen, wie die Diskussionen um Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten zeigen. Zu oft erscheint der Tod immer noch als Medizinversagen .

Zu diesem Thema haben sich schon eine Menge Leute zu Wort gemeldet. Und auch sie philosophieren hoheitsvoll über die Köpfe jener hinweg, um die es geht: Um die Alten nämlich. Der Autor plädiert für mehr Kinderrechte, so als könnten die über solche Fragen entscheiden. Das erhärtet schon den Eindruck, dass er polarisieren will, auch über die Köpfe der Kinder hinweg übrigens, die ihn auch nur als Diskurswaffe interessieren.

Dann bekennt er sich – um das Ganze etwas abzumildern – zu den Maßnahmen, die gegenwärtig getroffen worden sind, aber das liest sich wie eine berechnete Abwiegelung.

So, wie die ethischen Prämissen in der Medizin und in unserer Gesellschaft zurzeit gesetzt sind, sind manche Schutzmaßnahmen natürlich alternativlos und ich werde niemanden dazu auffordern, das Abstandsgebot zu missachten oder an den gebotenen Stellen keine Maske zu tragen. Auch die Schließung der Kindergärten und Schulen ist unter den gegenwärtigen ethischen Prämissen nahezu unumgänglich. Allein, die ethischen Prämissen erweisen sich spätestens in dieser Krise jedoch als falsch und bedürfen einer grundlegenden Neuausrichtung. Wir müssen als Gesellschaft wieder lernen, dass Krankheit und Sterben Teile unseres Lebens sind, und Verantwortung auch dafür tragen. Ansonsten wird das Leiden nur auf die nächste Generation übertragen und in anderer Form fortgesetzt.

Da wird deutlich, wohin die Reise geht.

Es ist seltsam: Die Kritiker der einschränkenden Maßnahmen zum Infektionsschutz argumentieren ständig, sie befürchten, dass mit der Einschränkung der Grundrechte ein Schritt in Richtung mehr Kontrolle und Unfreiheit erfolgt, der am Ende auch nicht zurückgenommen werde, sondern zu einer generellen Richtungsänderung in Richtung Abbau von Freiheiten führen werde.

Andere besorgte ZeitbeobachterInnen – auch ich - befürchten allerdings, dass Debatten wie sie hier z. B. der Autor aber auch Herr Augstein und Herr Berger führen, die Richtung ebenfalls ändern und dabei ein feines Gespür dafür haben, dass hier schon längst die Dämme beginnen zu bröckeln. Das verdeutlichen die Debatte um erhaltenswertes Leben, um Entscheidungen über Leben und Tod, nicht nur der Alten, aber vor allem über sie.

Sie können das unbesorgt tun, denn der Zeitgeist driftet in ihre Richtung. Die Errungenschaften der Gerontologie und Geriatrie scheinen da weniger als Segen denn als Fluch, der das biologische Ende unverantwortlich hinausschiebt.

Manche Autoren, auch Herr Kannenberg, vergessen, dass auch sie einmal älter werden und dann manches anders aussehen kann und zwar für jeden auf ganz unterschiedliche Weise.

Auch die Alten haben ein Recht auf ihre individuelle Freiheit. Die einen sind müde, erschöpft und lebenssatt, andere wünschen sich noch eine Weile Aufschub und Zweisamkeit mit der ihnen lieben Partnerin oder Partner und Lebensmenschen. Sie wollen nicht in eine Aufrechnungs-Debatte genötigt werden, die mit ihrem Alter weniger zu tun hat, sondern mit dem Versuch, Tabus zu brechen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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