Leipziger Erinnerung

Hauptbahnhof Der Einbau der Logistik für den Leipziger Citytunnel bringt alle Räder zum Stillstehen und fördert in mir Bilder von gestern zu Tage

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„Der Leipziger Hauptbahnhof steht still“, erklärte ich heute meinem Mann beim Frühstück. Und der antwortete grinsend, „Grundgütiger“. Das ist ein Ritual, welches Carl Sternheims Stück „Die Hose – aus dem bürgerlichen Heldenleben“ entlehnt ist. Da nämlich erklärt der Held Theobald Maske seiner Frau, dass die "Seeschlange wieder aufgetaucht" sei und sie antwortet mit oben beschriebenem Schreckensruf.

Aber, diesmal war der Aufschrei gar nicht nötig, denn es hat mit dem Stillstand in Leipzig alles seine Ordnung. Keine Personalprobleme wie in Mainz, auch „kein starker Arm“, der will, dass alle Räder stillstehen . Nein, sie bauen dort – schon seit gestern - nur die Logistik für den Betrieb des neuen Leipziger Citytunnels ein, habe ich gelesen.

Ein kleines Rädchenwerk an Erinnerungen setzte sich leise in Gang. Ach, wie oft bin ich dort abgefahren – zu Beginn des Studium noch mit einer Träne, obwohl es nach Berlin ja so weit nicht war. Zweieinhalb Stunden, heute ist es ein bisschen über eine Stunde.

Wie gern – obwohl noch eine Weile unter den Nachwirkungen einer im Zug erlittenen Enge- und Gedränge-Phobie leidend - kam ich nach Hause. Ging die breite Treppe hinunter und lief zum Taxistand, obwohl dort immer eine Riesenschlange war und fuhr zu meiner Mutter nach Liebertwolkwitz.

Wie sah er aus, der große Wartesaal mit Gastronomie? Alte, nachgedunkelte Holztäfelungen und ein Geruch nach Bier und Bockwurst. Immer hatten sie – sagte mein Mann – so Senfgläschen mit kleinen Löffeln auf den Tischen. Genau, erinnerte ich mich, obwohl mein Mann und ich zu ganz verschiedenen Zeiten in Leipzig waren, und meist war der Senf ziemlich vertrocknet. Er ist Berliner und war da immer nur dienstlich.

Er ist ein Klotz der Leipziger Hauptbahnhof, aber er hat trotzdem was Beruhigendes. Es ist dieses Kopf-Bahnhof-Gefühl. Hier ist erst mal Schluss und Neubeginn und man kann nichts verpassen. Der Lokführer muss ans andere Ende oder früher musste man gleich ne neue Lok vorn installieren. Alles so schöne Reisefermaten, bei denen man nie wusste, wie lange sie andauern. Ich aber stieg gelassen aus – war zu Hause.

In Berlin war ich lange nicht "zu Hause" und der jetzige Berliner-Hauptbahnhof ist auch heute noch eine zugige Zumutung mit Zugverspätungen und Kälte und kühlem Wind. Etwas Temporäres, Baustellenhaftes soll vielleicht die Berliner Dynamik symbolisieren, aber am Ende ist es nur ungemütlich. Auch in den Ladenstraßen, die jetzt da sind, zieht es, sie führen ins Dunkel, wohin eigentlich?

Auch im Leipziger Hauptbahnhof gibt’s schon lange eine Einkaufsmeile. Aber sie ist unten, im Warmen. Da kann man auch gemütlich was essen, was mir in Berlin nie in den Sinn käme. In Leipzig sind sie beim Umbau halt auf dem Teppich geblieben und damit bei den Reisenden.

Einmal stand auch ich vor dem völlig verschlossenen und gesperrten Hauptbahnhof. Aber, ich wollte eh nicht mit dem Zug fahren. Wir waren in Italien gewesen mit so einem Busreisen-Anbieter. Schon auf der Hinfahrt hatte ich dramatische Reise-Gefühle. Durch die elenden schon immer reichlich schäbigen Gassen meiner Kindheit kämpfte sich der Bus durch ein Wahnsinnsgewitter. Aber – Goethe kam mir in den Sinn - in den Süden, nach Italien. War das symbolisch und war das erbaulich, allerdings auch ziemlich laut und ängstigend. Auf der Rückfahrt beschloss der Fahrer, vor dem Hauptbahnhof zwei Stunden zu rasten. Es hatte gerade einen dramatischen Busunfall gegeben und jetzt achtete man wieder auf die Lenkzeiten. Also standen wir da rum – gingen hier um die Ecke und da um die Ecke, nur der Hauptbahnhof blieb stumm und öde und verschlossen.

Jetzt ist er aber nicht verschlossen nur nicht in Betrieb und das auch nur bis Sonntagmorgen. Das ist was anderes. Kein Grund für „Grundgütiger“.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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