Manfred: Spitzname Louis*

Kunst und Handwerker Ein Kultur-Beitrag über die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bescherte mir ein ungewöhnliches Wiedersehen mit einem Klassenkameraden

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Die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig hatte schon immer einen hervorragenden Ruf in der Welt der Kunst und dies vor und nach 1989. Einer seiner berühmten Rektoren war Bernhard Heisig, von dem Bundeskanzler Helmut Schmidt einst porträtiert wurde.

Einer seiner Meisterschüler, Neo Rauch, ist heute ein weltweit etablierter Maler und Repräsentant der „Leipziger Schule“.

Ich kenne die Hochschule eigentlich nur als Ort fantasievoller Faschingsfeten mit langer Tradition, die auch zu der Zeit als ich noch in Leipzig wohnte, legendär waren. Aber, ich bin dorthin nie vorgedrungen. Man musste schon jemand kennen, brauchte Beziehungen und ich hatte keine.

Erst im vergangenen Jahr kam mir die Hochschule in Leipzig wieder ganz intensiv und überraschend vor Augen und in den Sinn als ich durch eine Leipziger Bekannte auf einen Beitrag des artour Kulturmagazins hingewiesen wurde.

Viele Jahre arbeiteten in der Hochschule für Grafik und Buchkunst drei Handwerker. Die haben sich immer über ihr eigenes Aufgabenfeld hinaus interessiert und engagiert. Einer von ihnen – und am längsten dabei - ist Manfred (Louis*) Tränkner - lange Zeit Fahrer von Bernhard Heisig - aber auch immer und überall handwerklich zugange, wo man ihn brauchte.

„Abgestaubt“ –

Kunst aus dem Keller

So organisierte er im Jahr 2005 mit anderen zusammen die Ausstellung Abgestaubt. Der Titel mit dem schönen Doppelsinn verweist auf Bilder und andere Kunstobjekte – meist zurückgelassene Diplom- und Absolventenarbeiten – die dem Keller entrissen wurden, wo sie Manfred (Louis) aufbewahrt und aufgehangen hatte.

Abgestellte, vergessene Kunst, von manchen Absolventen vielleicht auch gern hinter sich gelassen - das alles barg der Keller, der lange Jahre immer belebt war – von den Handwerkern, die dort werkten, halfen und vielfältig einbezogen waren in das Leben dieser Kunst- und Bildungsstätte.

"Wiedersehen" mit einem

Klassenkameraden

Die Initiatoren und Akteure wurden interviewt und das bescherte mir ein – virtuelles - Wiedersehen mit einem einstigen Klassenkameraden. Manfred Tränkner, Spitzname: Louis.

Mit ihm bin ich von 1954 bis 1960 in die 44. Grundschule in Leipzig gegangen. Wir wohnten nur zwei Häuser auseinander in der Leipziger Josephstraße, die ziemlich heruntergekommen war zu jener Zeit und jetzt gerade erst anfängt, wieder ein bisschen neues Leben zu atmen.

Ich gebe zu, ich habe ihn nicht so sehr beachtet, obwohl ich – da gibt’s ein Klassenbild – nicht weit weg von ihm saß. Wir sind beide drauf auf dem Bild. Meine Kinderliebe allerdings galt seinem sechs Jahre alten Bruder. Der stand manchmal mit seinen Kumpanen auf der Straße. Josephstraße - hinter der grünen Tür und ich drückte mich in seiner Nähe herum oder beobachtete ihn aus der Ferne und wenn er mich ansprach, erstarrte ich.

Der Kopf - eine andere Kunstgeschichte

Doch zurück zur HGB und „Louis“. Alexander Morgenstern, der lange Jahre an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte, hat das Leben im Keller während seiner Studienzeit so fasziniert, dass er die drei Handwerker über ihre Arbeit und ihre Meinung zur Schule und dem realen Leben befragt hat. So ist ein Buch entstanden. „Der Kopf“ – eine andere Kunstgeschichte“ hat er es genannt und Manfred „Louis“ - seit 1979 an der Schule tätig, kommt am meisten zu Wort.

So habe ich erfahren, wie mein Klassenkamerad an der HGB zugange war, half, verrückte Ideen umzusetzen, seinen Chef, den Bernhard Heisig nicht nur fuhr, sondern ihm auch beim Umgang mit den Tücken des Lebens zur Seite stand, in der Gegend herumkam und eine Menge interessante Leute kennenlernte. Und, dass der wichtigste Ort der Kunst – der Kopf – im Keller zu finden war.

„Beide waren relativ erdverbundene Naturen. Das war so eine gut abgestimmte Paarung“, lese ich über Heisig und seinen Fahrer. „Louis war direkt und Heisig war ein Poltergeist. Bei beiden gab es kaum hintenrum Geschichten: immer frei heraus. Heisig war generell mit den Handwerkern und den Angestellten auf einer Ebene. Das war ihm ein guter Ausgleich zu einigen abgehobenen Quatschköpfen an der Hochschule“. (Über „Louis“ Tränkner und Bernhard Heisig)

Über viele Seiten wird eine ganz und gar ungewöhnlich Berufsgeschichte über einen eigentlich ganz gewöhnlichen Beruf erzählt. Die DDR war eine „arbeiterliche Gesellschaft“, schreibt der Soziologe Wolfgang Engler in seinem Buch „Die Ostdeutschen“.

Das Buch von Alexander Morgenstern ist ein wunderbarer Nachwende-Beweis für das, was zu DDR-Zeiten oft behauptet, hier wirklich eingelöst wurde. Selbstbewusstsein und Kreativität, denn Kreativität wurde nicht nur bei den Knappheiten der Vergangenheit gebraucht, auch bei den Herausforderungen der neuen Zeit war manches davon nützlich.

„Für mich bedeutet Louis in erster Linie togetherness“, sagt da einer über ihn schon im Post 89er Duktus, „Der hat nicht immer alle geeint, aber schon so ne Gruppe an Leuten. Ich hab von einer ganzen Reihe von Leuten gehört, dass die sich durch ihn ober bei hm an der Schule willlkommen gefühlt haben, weil er jemand war, der die Leute miteinander verbunden hat“.

So einer ist er also der Manfred Tränkner – ein Schulkamerad – der mich im nachhinein zum Staunen bringt. Kann sich einer am Ende seiner Berufszeit was Besseres wünschen als so ein verrücktes, schönes Buch über sein langjähriges Tun und Treiben als Handwerker, Kunstbewahrer und –aussteller. Ein "spiritus rector" im besten Sinne, ein Seelentröster, Tüftler und Abenteurer der Landstraße? Beneidenswert und wunderbar.

* Louis entstand als Spitzname wegen der leichten (Nach)namensverwandtschaft (Tränkner) mit dem Bergsteiger Luis Trenker.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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