Einmal im Monat gehe ich Singen. Zusammen mit anderen sangesfreudigen älteren Damen nehmen wir ein sehr gemischtes Repertoire durch. Es reicht von ganz normalen Volksliedern wie „Jetzt gang i ans Brünnele“ bis zu revolutionären Werken wie „Partisanen vom Amur“. Wir sind da flexibel. Sehr beliebt ist auch Bella Ciao.
Dieser Tage nun wollten wir einmal Liedgut einarbeiten, das uns eher fern ist. Kommerslieder zum Beispiel. Und weil gerade Varusschlacht-Jubiläum ist, haben wir dieses Ding „Als die Römer frech geworden“ durchgenommen.
Da kommen so Verse vor wie:
In dem Teutoburger Walde,
huh! wie pfiff der Wind so kalte!
Raben flogen durch die Luft,
und es ward ein Moderduft
wie von Blut und Leichen. :|
Das Teil ist lang und trotz der Debatte, die sich darob entsponnen hatte, sangen wir es durch. Es gab aber ernsthafte Bedenkenträgerinnen. Das sei doch so grausam, erklärten sie und auch so militaristisch.
Wir mussten also mehr diskutieren, statt zu singen: Es mag ja sein, dass das Lied – im historischen Kontext seiner Entstehung -ein bisschen reaktionär ist. Aber ist es nicht legitim, mit dem Entsetzen Scherz zu treiben? Jede Moritat hat blutige Verszeilen.
Und wenn ich an das uralte Fakultätenlied denke, das zum Beispiel über die Mediziner vermeldet, dass sie kreuzbrave Leut seien. Und warum sind sie das?
„Denn sie wühlen in den Därmen um die Hände sich zu wärmen.“
Na, wenn das nicht brav ist.
Immer versucht das Volk, versuchen die Leute, die Schrecken von Kriegen und Gewalt zu bannen, indem sie sie verballhornen. Einer der größten Könner auf diesem Gebiet ist ein gewisser Wippchen von Bernau – der anderswo noch einen eigenen Beitrag wert ist – ein ausgedachter Kriegsberichterstatter. Ein Meister der schiefen Bildes. Ein Metaphernjongleur allererster Sorte. Der berichtet begeistert von den Schauplätzen großer Gemetzel – die alle aber gar nicht stattgefunden haben. Die Exklusivität und das Authentische seiner Reportagen begründete er einmal wie folgt: „Ich stand auf einem Leichenhaufen und konnte alles genau beobachten.“. Da isses wieder, das gute Mittel. Immer wenn es zu schlimm wird, hilft der Spott. Ähnliches gibt es von Tünnes und Schäl, bei der einer der beiden berichtet, wie er im deutsch-französischen Krieg gekämpft und so „Leiche auf Leiche getürmt“ hat. Und wie der greise Heldenkaiser vorbeigekommen sei und gedroht habe: „Lass dat sin Tünnes, man kann et och zu doll driewe“. Das alles ist von Ironie bestimmt, aber auch – wie gute Satire und Ironie immer – von der Erkenntnis durchschauert, dass dem allemetwas Entsetzliches zugrunde liegt. Und dann befreit man sich auf diese Weise davon. Oder durch das Singen von Kommesliedern wie „Als die Römer frech geworden“.
Wie machen das heute eigentlich die jungen Leute? Die kennen das ja gar nicht. Und Lieder singen die doch auch nicht. Ach ja, die stellen ihren Computer an und meucheln virtuell und möglicherweise machen die darüber auch keine Witze, weil sie sich gar nicht entsetzen. Die wollen nur wissen, wo es die härtere Version von diesem Spiel gibt, das da so schön brutal losgeht. Die wollen wissen: Wer liefert ihnen die authentischsten, blutüberströmtesten Leichen von der Varusschlacht, wer steigt auf einen virtuellen Leichenberg und schildert die neuesten Kampftechniken. Die fragen nach, weil es ums Gewinnen geht: Zählt jede Leiche oder nur die direkt erlegte – oder wie oder was? Haben die auch einen ironischen Abstand oder wollen die das alles so Eins zu Eins? Lachen die auch mal? Haben die Bilder in sich, die sie durch das Spiel bannen wollen oder wollen sie eher im Gegenteil - Entsetzen verstärkt erleben? Sind das welche, die ausziehen, das Fürchten zu lernen? Oder ist das virtuelle Kampfspielen auch nur eine einzige virtuelle Ironie? Ich weiß es nicht. Es ist mir ein bisschen unheimlich.
Kommentare 12
Die jungen Leute von heute sind böse. Und böse Menschen singen keine Lieder.
Liebe Magda:
Ich kann mir solche Lieder gar nicht ohne eine verrauchte Kneipe, reichlich Alkohol und einen gewissen Männerüberschuss vorstellen. Dort würden sie mich möglicherweise irritieren, jedenfalls kaum beängstigen. Anders ist das beim Imaginieren comptergestützter Lustmeuchelei. Dies ist auch mir reichlich unheimlich. Nicht nur, weil ich mich damit nicht auskenne. Sondern weil es eine einsame, eine ungeteilte Schauerfreude ist, deren Motive wie Entwicklung mindestens in einer Grauzone bleiben.
Mich würde auch interessieren, inwieweit ironische Brechung hier eine Nebenrolle spielt. Denn wie in jenen Liedern versteht sich etwa auch der Generationen faszinierende Struwwelpeter als Schrecken, um Schrecken zu bannen. Zumindest in der Originalfassung. Ängsten zu begegnen, in dem sie bis zum Letzten ausgemalt werden, kann wohl ebenso trösten wie mobilisieren. Wilhelm Busch hat das aufs Böseste aufgenommen. Und wird verstanden.
Welche Ängste aber sind es, denen hierzulande mit Gewaltspielen begegnet wird? Da muss doch eine Übertragung stattgefunden haben, und diese Übertragung lässt sich nicht abschalten wie der Computer. Das ist es, was mir unheimlich ist.
Herzlich
kk
Ja, furchtbar böse und egoistisch und brutal. Geh nun mein Freund und bessere Dich. Ich hätte noch andere blutige Lieder, die kannst Du auswendig lernen, damit Du nicht böse bleibst.
Jetzt räum mal Deine Socken weg. :-(())
"Wer liefert ihnen die authentischsten, blutüberströmtesten Leichen von der Varusschlacht, wer steigt auf einen virtuellen Leichenberg und schildert die neuesten Kampftechniken..." ...Analogien zu Computer-Gewaltspielen - das müßte wirklich genauer untersucht/diskutiert werden. Bannung von Gewaltexzessen durch Ersatzhandlungen bzw. symbolische Handlungen? Unterscheidung von realen und fiktionalen Räumen? Da gibt es bis dato kaum etwas Brauchbares an Untersuchungen. Bekannt sind vor allem die Warnungen von Prof. Peiffer.
@kay.
"Welche Ängste aber sind es, denen hierzulande mit Gewaltspielen begegnet wird? Da muss doch eine Übertragung stattgefunden haben, und diese Übertragung lässt sich nicht abschalten wie der Computer. Das ist es, was mir unheimlich ist." Du triffst genau den Kern des Problems. Bin in dieser Frage auch ratlos.
Hallo Bildungswirt,
danke für die interessante Kommentierung. Ich mache ja immer mehr so Erwägungen, die gar nicht belegt sind, aber vielleicht - Dein Kommentar beweist es - sind es doch ganz legitime Fragen.
@ kay. finde ich auch sehr überlegenswert. Was wird gebannt mit diesen Computerspielen?
Hallo Magda,
ich sehe es erst einmal recht pragmatisch. Solche Computerspiele führen dazu, dass ein SPD-Oberer wieder verkünden kann, Deutschland würde am Hindukusch verteidigt und Deutschland es auch real tut ohne große Proteste.
Es ist für Eltern der Antikriegsbewegung bestimmt ein interessanter Anblick zu sehen womit ihre Kinder/Enkel sich die Zeit vertreiben.
Ansonsten starb Julius Stettenheim 1916, zu Beginn des Ersten und vor dem Zweiten. Die damalige Betrachtungsweise führte offensichtlich nicht zur Befriedung.
streifzug,
Zur ersten Anmerkung: das ist zwar sehr direkt, aber sicher im Endeffekt eine der Resultate.
Es geht bei Stettenheims (Wippchens)Betrachtungen ja auch nicht um Befriedung, sondern um höchst schräge Kriegsberichte, die eigentlich auch keine sind. Sein Anliegen war wohl eher, schiefe Metaphern in die Welt zu setzen, die wirklich sehr amüsant sind.
Schon nach dem ersten Weltkrieg wäre das - zugegeben - nicht mehr gegangen, der Krieg hat andere Dimensionen angenommen, über die man nicht mehr in dieser Weise scherzen konnte.
Hä?
Kuckt doch zB. einfach mal auf die kirchlichen Rituale. Das ganze entwickelte sich aus dem (mit)erlebten Gewaltexzeß an einer konkreten Person.
Hä?
Kuckt doch zB. einfach mal auf die kirchlichen Rituale. Das ganze entwickelte sich aus dem (mit)erlebten Gewaltexzeß an einer konkreten Person.
Titta schrieb am 22.06.2009 um 11:17 Hä?
"Kuckt doch zB. einfach mal auf die kirchlichen Rituale. Das ganze entwickelte sich aus dem (mit)erlebten Gewaltexzeß an einer konkreten Person."
Nee, Titta, ist mir auch zu einfach. Opferrituale sind tausende von Jahren älter als die Kreuzigung. Die greift ja auch andere Rituale auf. Das geht viel weiter zurück.
Daß sich christl. Rituale nicht selbst erfunden haben, ist klar, deshalb auch mein >zB. Die religiöse wie die Alltagskultur sind voll von Ritualen, nur unsere moderne Gesellschaft hat die nicht immer mehr so im Blick, war das, was ich eigentlich mit meinem Kommentar sagen wollte.
PS.
Die Kreuzigung war kein Opferritual.