Mordgeschichten – Entlastender Tatsachentratsch

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Im Spandauer Forst wurde gestern eine Joggern – völlig grundlos – von einem Mann, den sie nicht kannte, niedergestochen.
Abgesehen davon, dass man noch nicht genau weiß, wie das alles zusammenhängt, Berlin ist manchmal wirklich eine schlimme Stadt und man muss nicht hysterisch sein, um sich zu fürchten.
Ich kenne in Berlin vier Leute, die Opfer von Mördern, bzw. Totschlägern geworden sind. Und in zwei Fällen hat der reine Zufall sie gerettet.

Im ersten Fall ist es eine junge Frau. Die ging Mitte der 90er Jahre – nachts gegen drei oder vier - von einer Freundin nach Hause. Sie wohnte in Berlin-Mitte am Zionskirchplatz. Plötzlich kam aus dem Gebüsch ein Kerl, ein junger Mann, sagte nur ein einziges Wort „Komm“ – später sagte sie, es habe leicht polnisch geklungen - und stieß ihr, sie von hinten umfassend, seitlich das Messer in die Leber. Sie redete auf ihn ein, sie habe keine Zeit und schaffte es noch bis zur nächsten Ecke. Der Zufall wollte, dass sich an dieser Ecke ein junges Pärchen verabschiedete, die – damals noch gar nicht immer üblich – ein Handy dabei hatten. Der zweite glückliche Zufall wollte, dass die Feuerwache dort gleich um die Ecke in der Oderberger Str. ist und die junge Frau dadurch sehr schnell versorgt werden konnte. Sie ist jetzt frühverrentet, weil sie eine so schwere posttraumatische Belastungsstörung hat, dass sie nicht mehr arbeiten kann. Massive Ängste wechseln sich ab mit Depressionen. Gefasst wurde der Täter nie.

Betroffene Nummer zwei ist die Tochter einer Freundin von mir. Die ging nachts die Straße entlang, ihr kamen junge Leute, die ziemlich betrunken waren, entgegen. Deswegen wechselte sie die Straße. Als es wieder ruhig war, hörte sie Schritte hinter sich. Ein Mann hatte sich hinter sie geschlichen und wollte sie mit einem Schal erwürgen. Nur die Tatsache, dass sie sich gerade die Nase schnäuzte – und sich dadurch die Hände zwischen den Schal und ihrem Hals befanden, retteten ihr das Leben. Sie musste sehr kämpfen bis sie den Kerl in die Flucht geschlagen hatte. Bis heute bearbeitet sie die Frage, warum sie sich nicht umgedreht hat. Sie hat den Mann doch rankommen hören.

Drittes Opfer ist ein ehemaliger Kollege. Der fuhr mit seinem Auto aus der Toreinfahrt des Hauses, in dem er sein Büro hat. Seine Frau saß auf dem Beifahrersitz. Das Auto wartete eine Weile, um sich in den fließenden Verkehr einzuordnen. Ein Fußgänger kam vorbei und trat – weil das Auto ihn behinderte – dagegen. Der Kollege stieg aus und stellte ihn zur Rede. Sofort stach er zu und ging dann völlig unbeeindruckt weiter. Die Ehefrau, die den Ernst der Lage nicht erkannte, lief hinter ihm her und wollte ihn zur Rede stellen, aber sie kehrte dann doch zurück zu ihrem Mann, der sterbend auf dem Pflaster lag. Der Täter wurde nicht lange danach gefasst und verurteilt. Er konnte sich – wie so oft – an nichts erinnern, weil er betrunken war.

Eine vierte sehr traurige Geschichte. Über lange Jahre war auf dem Alex ein Mann zugange, der sich mit Hilfe eines Ghettoblasters und zwei Kochlöffeln, mit denen er den Rhythmus zur Musik schlug, Geld verdiente. Er hatte dauergewellte blondierte Haare und war höchstwahrscheinlich schwul. Er hatte immer viele Zuhörer, es sah lustig aus, wie er da kochlöffelte.Einmal sah ich ihn in mit seinem Fahrrad und dem Anhänger, auf dem er seine Ausrüstung verstaut hatte, eine Straße entlang fahren. Vor kurzem gab es eine Meldung, dass jemand ihn in seiner Wohnung erstochen hat.

Es ist ein manchmal ein bisschen wie in den 20er Jahren. Eisige Luft in Berlin, wie Alfred Döblin in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ geschrieben hat.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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